Verstecken

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Als ich gerade am Ende des Meetings bin, klingelt das Telefon. Es ist Andrea und sie klingt ziemlich aufgeregt, was etwas ist, das ich bei ihr noch nie erlebt habe.

„Mr. Grey, Ihr Sohn ist weg. Wir können ihn nicht finden", gesteht sie zögerlich und kleinlaut.

Ich seufze, ich sollte wie von der Tarantel gestochen aufspringen und ihn suchen, aber ich tue es nicht. Ted ist nicht sauer gewesen, als ich gegangen bin, und er würde nicht abhauen, da bin ich mir ganz sicher. So, wie ich ihn mittlerweile kenne, macht er einen Erkundungsausflug. Und da es hier kein Spielzimmer gibt, wie schlimm kann es werden?

„Wie kam es dazu?", frage ich, um meine Gesprächspartner nicht unbedingt mit der Nase darauf zu stoßen, dass ich ein Kind habe, dass mich nicht für knallhart und verhandlungssicher hält, und überlege, wo er hin sein könnte.

„Er wollte verstecken spielen und wir haben das gemacht, und jetzt finden wir ihn nicht."

Ok, er hat es mal wieder geschafft, dass erwachsene Menschen nach seiner Pfeife tanzen. Woher hat er nur dieses Talent?

„Wo ist sein Begleiter?", frage ich und Andrea klingt langsam panisch.

„Den hat er mitgenommen."

Ich schüttle den Kopf. Wie konnte er nur Taylor und Andrea austricksen?

„Geben Sie mir Taylor."

„Sir?", höre ich Taylors Stimme, aber auch er klingt nicht wirklich beunruhigt.

Ted hat uns schon öfters ausmanövriert, wir gewöhnen uns langsam daran.

„Suchen Sie ihn und sorgen Sie dafür, dass er das Gebäude nicht verlässt. Ich bin in ein paar Minuten bei Ihnen", befehle ich und seufze leise auf.

„Und Taylor, besorgen Sie ihm ein Handy. Ich würde gern die Möglichkeit haben, ihn zu orten."

Ich wende mich wieder an meine Gesprächspartner, die mich verwirrt ansehen.

„Mein Sohn macht einen ungeplanten Ausflug", erkläre ich seufzend. „Wenn Sie keine weiteren Fragen mehr zu dem Vertrag haben, würde ich mich gerne darum kümmern."

Die Herren nicken mir zu und ich gehe aus dem Sitzungssaal und eile die zwei Etagen hoch in mein Büro. Andrea ist völlig aufgelöst, die Praktikantin blass wie ein Laken und Taylor hängt am Telefon und raunzt Anweisungen in den Hörer.

Im Büro liegen überall Papiere und Stifte verstreut und es sieht ein wenig aus, als wäre ein Tornado durchgefegt.

„Was ist hier los?", frage ich ruhig und werfe Andrea einen Blick zu, der ihr deutlich signalisiert, dass ich eine sachliche, aufschlussreiche Antwort wünsche.

„Er hat erst gemalt, und dann wollte er verstecken spielen. Taylor war kurz draußen und ... nun ja ...", Andrea stammelt munter vor sich hin.

Die Praktikantin flieht, kreidebleich, und ich sehe mir einige von Teds verstreuten Werken an.

Eins fällt mir ins Auge und ich nehme es in die Hand. Zwei Erwachsene, eine Frau und ein Mann, die Händchen halten und ein Kind, ein Hund und eine Katze.

Er hat nicht unbedingt Talent, aber ich würde dieses Bild meiner Familie nicht gegen einen Picasso eintauschen wollen.

„Warum haben Sie nicht gesehen, wohin er gegangen ist?", frage ich bemüht ruhig und Andrea wird nun puterrot.

„Er hat gesagt, ich dürfte nicht mogeln", gibt sie kleinlaut zu.

Mein Junior ist einfach ein Genie, wenn es darum geht, vernunftbegabte Erwachsene in unmögliche Situationen zu bringen. Ich verkneife mir ein Lächeln und bemühe mich um ein ernstes Gesicht. Immerhin, ich bin hier der Chef und die versammelte Mannschaft hat sich von einem Siebenjährigen mit Hund austricksen lassen.

50 Shades of HopeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt