Wir sind noch ein paar Tage in dem dunklen Raum gefangen. Zumindest kommt es mir so vor, denn wir wissen nicht wie schnell oder langsam die Zeit vergeht. Aber an einem Tag (es könnte auch Nacht gewesen sein, wer weiss) erwecken ungewöhnliche Geräusche unsere Aufmerksamkeit.
Ein plötzliches, lautes Surren ertönt und wir werden wachsam.
„Was ist das?", rufe ich, um den Lärm zu übertönen. Der Boden fängt an zu vibrieren.
„Keine Ahnung", ruft Cale zurück. Seine Hand greift nach dem Schwert. Ich zücke ein Messer und halte es fest in meiner Hand. Wir sind gewappnet, für alle Fälle. Die Wand links von uns teilt sich und gibt die Sicht frei auf einen weiteren, grauen Raum, doch das Ende sehen wir nicht. Es wird versteckt von der schwarzen Dunkelheit. Das Surren erstirbt, als die Wand weg ist. Mit einem rastenden Klicken ist es vorbei. Cale hebt die Kerze und ich mache zögerlich einen Schritt nach vorne.
„Wer... wer seid ihr?", kommt es ängstlich von der Dunkelheit. Es klingt wie ein Mädchen. Im schwachen Licht des Kerzenscheins erkenne ich mit der Zeit zwei Silhouetten.
„Ich bin Cass und das ist Cale", sage ich. „Und ihr?"
Die Silhouetten erheben sich und treten mit langsamen, zögerlichen Schritten auf uns zu. Wir legen unsere Waffen zur Seite. Es sind ein Mädchen und ein Junge.
„Ich bin Belle", sagt das Mädchen.
„Beck", sagt der Junge.
Das Mädchen hat braune Augen und lange, dunkelblonde Haare, hinter denen sie sich versteckt. Der Junge hat schwarze Augen und Haare.
„Wie lange seit ihr schon hier?", fragt der Junge, der Beck heisst.
„Seit ein paar Tagen", antwortet Cale, „Sie ist später gekommen" Er nickt in meine Richtung.
Belle nickt. „Ebenso." Sie mustert kurz unsere Waffen. „Wir haben auch welche." Sie zeigt auf ihren Gürtel. Darin stecken auf jeder Seite zwei silbern blitzende Äxte. Beck zeigt auf seinen Bogen. Den Köcher mit den Pfeilen hat er sich schon umgehängt.
Cale streckt die Hand aus und fragt: „Verbündete?" Beck nimmt seine Hand und schüttelt sie. „Verbündete", antwortet er. Ich lächle Belle an und sie lächelt zurück.
„Gut, also, weiss irgendjemand von euch, wie wir hier hergekommen sind?" Cale stellt die Kerze in unsere Mitte und setzt sich. Wir tun es ihm nach und Beck schüttelt den Kopf.
„Belle weiss gar nichts und ich nur Bruchstücke."
„Verrückt", murmle ich. „Wieso sind unsere Ausgangssituationen gleich?"
„Wie meinst du das?" Belle sieht mich verwundert an, aber Beck hat anscheinend einen klugen Kopf.
„Also wisst ihr auch nichts. Ihr seid in so einem Raum gelandet, mit einigen Taschen voller Esswaren und für jede Person Waffen. Ausserdem sind die Erinnerungen weg – bei beiden. Ich nehme an, dass du dich aber auch an manches erinnerst, oder?" Cale nickt.
Belle ist inzwischen wieder aufgestanden und betrachtet neugierig die Decke. Sie erinnert mich an ein neugieriges, kleines Kind.
„Seht", sagt sie. Unsere Blicke folgen ihrer ausgestreckten Hand, die nach oben zeigt. Direkt ins Zentrum der Decke, von dort aus sich ein braunes und rotes Etwas die graue Decke mit dünnen Strichen zuwachsen lässt.
Fast hätte ich das feine Rascheln überhört, das vermutlich Belles Aufmerksamkeit geweckt hat.Es dauert eine Weile, bis wir begreifen, was dieses Etwas ist.
Die Efeuranken haben die Decke komplett zugemauert und wachsen nun die Wände nach unten. Ich könnte schwören, dass sie vorher noch nicht da waren, als sich die Wand getrennt hat. Für normale Pflanzen sind sie aber zu schnell, denn man kann förmlich sehen, wie sie wachsen. An den dünnen, braunen Ästen wachsen Efeublätter, die jedoch nicht grün, sondern feuerrot sind.
Wir stehen auf und Beck hält die Kerze hoch. Mein Blick streift die Kerze, als mir etwas an Becks Handgelenk auffällt.
Es ist ein Tattoo. Eine schwarze Efeuranke schlängelt sich einmal komplett durch sein Handgelenk.
„Was ist das?", fragt Beck. Er zeigt auf die Pflanze und lenkt meine Gedanken wieder zu den braunen Strichen. Ich mustere die Ranken genauer.Der Ursprung scheint aus der Mitte der Decke zu kommen. Ich kneife die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Da ist ein klarer, weisser Edelstein in Form eines Dreiecks. Ich will wissen, was es mit dem Dreieck auf sich hat, denn mein Instinkt sagt mir, dass es um diesen Stein geht. Mein Gefühl sagt mir, dass es stimmt und es hat meistens Recht. Ich sehe mir eine Ranke genauer an und greife nach ihr.
Ich habe sie kaum berührt, als es passiert.
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Station 10 #Wattys2016
Mystery / Thriller(Titel vorher: Lose - Verliere nie das Wesentliche aus den Augen!) Cassandra erwacht in einer seltsamen Anlage, ohne zu wissen, wer sie ist und woher sie kommt. Aber sie ist nicht alleine: Cale ist mir ihr in einem Raum. Erst nach und nach kehren ei...