Plötzlich ertönte ein lautes Krachen und Splittern. Wir reissen instinktiv die Hände und Arme vor unsere Gesichter. Der Boden ist übersät von verschieden grossen Glasstücken. Die riesige, massive Glaswand ist weg. Die Splitter knirschen unter unseren Füssen, als wir unsicher einige Schritte darauf zu machen. Auf der anderen Seite sehen wir nichts, es ist einfach nur schwarz. Ich zupfe einige klare, durchsichtig schimmernde Glassplitter, die an meinen Kleidern hängen geblieben sind, als mein Blick auf den Boden gleitet. Etwas stimmt nicht, sagt mein Gefühl und ich weiss, dass es so ist. Mein Gefühl hat fast immer Recht, aber ich komme nicht darauf, was es ist. (Eigentlich stimmt an diesem Ort rein gar nichts, aber ihr wisst ja, was ich meine.) Ich gehe in die Hocke und hebe eine Stück hoch. Ich habe wieder die Glasscheibe vor Augen und die Erinnerung spielt im meinem Kopf, wie ein Film. Da fällt es mir, wie Schuppen von den Augen. „Wartet", sage ich. Die anderen drehen sich überrascht nach mir um. „War das Glas nicht so milchig?" Ich halte das Glas hoch, das ich in der Hand habe. Die milchigen Flecken, die sich über das ganze Glas ausgebreitet haben, haben begonnen sich in der Luft zu verteilen. Es ist tatsächlich Nebel. Die Frage ist nur: Was für einen?
Der Nebel kräuselt sich in der Luft, als tanze er. Fasziniert von dem Schauspiel bemerke ich nicht, wie Avan und Ariadne aufgetaucht sind, obwohl auch ihre Schritte von dem Knirschen des Glases angekündigt werden. Den beiden folgen zwei weitere Jugendliche, wieder ein Mädchen und ein Junge. „Das sind Don und Domina", sagt Ariadne. Ihre Stimme erinnert mich an ein Windspiel. Sanft, entspannend und irgendwie auch zerbrechlich. Ich reisse meinen Blick los vom Nebel und sehe die vier an. Don ist ein hochgewachsener Junge, mit roten Haaren und unzähligen Sommersprossen. Domina hat schwarze Haare, die ihr bis zur Schulter reichen und grüne Augen. Sie ist viel kleiner als Don, ungefähr so gross wie ich, und scheint die Jüngste von uns zu sein. „Ich nehme an, dass er Wasser hat", sage ich zu Belle. Sie nickt. „Muss so sein." Dann fragt sie ihn: „Don, an deinem linken Handgelenk hast du ein Tattoo, das aussieht, wie ein Armband, stimmt's?" Er nickt, ohne nachzuschauen, anscheinend hat er es schon entdeckt. „Darf ich es sehen?", fragt Belle. Wortlos schiebt er seinen Ärmel hoch. Es sind aneinandergereihte Tropfen. Die Spitzen zeigen alle zu seiner Hand hin, während die Rundung sich in die entgegengesetzte Richtung zeigt. „Tatsächlich", sage ich. „Wasser." Ich sehe die Jungs nacheinander an. „Cale mit Feuer, Beck mit Erde, Avan mit Luft und Don mit Wasser. Warum haben nur die Jungs eigentlich die Tattoos? Irgendetwas muss es mit dem auf sich haben!" Beim letzten Satz sehe ich Belle an. Ihr Gehirn arbeitet schon, denn sie sieht nachdenklich die verschiedenen Mustern auf den Handgelenken an. Ich sehe um mich. „Wie habt ihr eigentlich die Glasscheibe zerstört?", fragt Cale. „Zuerst hat sich die Wand getrennt, wie sie es gesagt hat", Ariadne zeigt auf mich. „Dann trafen wir auf Domina und Don." „Wir haben herausgefunden, dass man in jeder Ecke und in der Mitte, das Zeichen setzen muss und in einer Ecke war es bereits vorhanden", erklärt Avan weiter. Ich höre, ein feines Splittern, als ob jemand die Glasreste zusammenfegt. Aber ausser uns, ist niemand hier, oder? „Don, geh weg!", schreie ich panisch, packe seine Hand und versuche ihn wegzuziehen, bevor sich etwas Grosses, Schimmerndes und Spitziges auf ihn stürzen kann.
Während die anderen sich nämlich unterhalten haben und von dem Tattoo-Rätsel abgelenkt worden sind, hat sich der Nebel zu einer Kuppel um uns verteilt und die am Boden liegenden Scherben aufgewirbelt. Die Glasstücke haben sich zusammengesetzt, was die Ursache des Geräusches von zusammengefegtem Glas ist, und bilden eine Art schimmernder Glasmensch, der fast eine Grösse und Breite des Raumes hat. Er hat seine gigantische Faust gehoben und auf Don herabsausen lassen. Ich habe ich ihn gerade weggezogen, als die Faust den harten Boden trifft. Kleine Glasteile fliegen durch die Luft. Scherben von Scherben. Alle schreien auf und greifen nach ihren Waffen. „Danke, Kleine", sagt Don. „Klar doch", antworte ich und ducke mich, als die Faust mich knapp verfehlt. Avan und Cale sind die Ersten, die den Glasriesen angreifen. Noch mehr Splitter durchschneiden die Luft und fallen auf den Boden. Domina steht neben mir. Als die Faust auf sie niedersausen will, schubse ich sie weg. Doch ich kann mich nicht mehr rechtzeitig entfernen. Das Monster trifft mich mit voller Wucht und drückt mich gegen die Wand. Meine Füsse berühren den Boden nicht mehr und mein rechter Arm wird gegen die Wand gequetscht. Glasscherben bohren sich in meinen Oberkörper und ich schnappe nach Luft. "Cassandra!", ruft jemand, aber der Schmerz lenkt mich zu sehr ab. Als seine glänzende Haut sich entfernt, falle ich, wie ein Sack Mehl auf den Boden und sage mir, dass ich atmen muss. Durch den harten Aufprall, dreht sie die Welt und ich sehe nichts mehr scharf. Jemand kniet sich neben mich, aber ich erkenne nicht, wer es ist. Ich spüre, wie meine Kleider sich vollsaugen mit dem Blut meiner Wunden, das die scharfen Kanten und Spitzen der Scherben mir zugefügt haben. Ich schliesse meine Augen, vielleicht hört das Drehen dann auf. Jemand hebt mich hoch und trägt mich weg. Durch die Bewegung schmerzt alles noch viel schlimmer als zuvor. Ein Schmerzenslaut entfährt mir und meine Augen füllen sich mit Tränen, die meine Wangen hinunterlaufen. „Cass, bleib bei Bewusstsein, hörst du mich? Bleib bei Bewusstsein!", höre ich. „Okay", hauche ich, als ich die Stimme erkenne. Es ist Beck, was mich vielleicht überrascht hätte, wenn ich weniger Schmerzen hätte, wobei ich nicht weiss warum. „Belle! Belle!", ruft Beck. „Belle, komm schnell her! Das Küken ist verletzt!" Ich öffne meine Augen. Meine Sicht ist schon besser, aber manchmal noch verwackelt. „Küken? Schön, dass du deinen Humor noch hast!", flüstere ich. Er streicht mir das Haar vom Gesicht und grinst. „Find ich auch", sagt er. Belle rennt auf mich zu, Cale im Schlepptau, der ihr Rückendeckung gibt, bis er weiss, dass Beck sie beschützen kann. Beck tätschelt sanft meine Wange und springt auf, um Belle zu schützen, während Cale zu den Anderen rennt und ihnen hilft, das Monster zu besiegen. „Was ist mit dir passiert?", fragt Belle entsetzt, als sie sich neben mich kniet. „Eine Faust hat sich auf Domina gestürzt. Sie hat Domina weggeschubst und dabei den heftigen Schlag kassiert", erklärt Beck, während Belle alle sichtbaren Glassplitter mit einer Pinzette, aus der „Heilertasche", aus meiner Haut herauszuziehen. Ich presse meine Lippen zusammen, während weitere Tränen herunterströmen. Die Scherben haben sich grösstenteils in meinen linken Arm, Oberschenkel und in meine Seite gegraben. Beck kniet sich neben mich und nimmt meine Hand, die ich jedes Mal fast zerquetsche, so fest drücke ich vor Schmerz zu, wenn Belle eine Glasscherbe herausholt. Obwohl er meine Hand hält, ist sein Blick wachsam auf das Monster gerichtet. In der anderen Hand hält er seinen geladenen Bogen. Ich drehe meinen Kopf ebenfalls in die Richtung, in die er sieht, damit ich nicht die blutigen Splitter ansehen muss. Eine Erinnerung taucht vor meinem Innern auf. (Was für ein bescheuerter Zeitpunkt!)
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Station 10 #Wattys2016
Misteri / Thriller(Titel vorher: Lose - Verliere nie das Wesentliche aus den Augen!) Cassandra erwacht in einer seltsamen Anlage, ohne zu wissen, wer sie ist und woher sie kommt. Aber sie ist nicht alleine: Cale ist mir ihr in einem Raum. Erst nach und nach kehren ei...