In den nächsten paar Tagen geschieht nichts Ungewöhnliches. Wir essen, unterhalten uns, lernen uns kennen und verbringen eine gute Zeit zusammen. Meine Wunden verheilen mehr oder weniger und ich kann mich auch wieder ohne Hilfe bewegen. Zwar bin ich noch eingeschränkt, aber immerhin. Trotzdem geht mir der Zettel, den Sarah-Anna mir eingesteckt hat, nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe ihn tatsächlich gefunden. In violetter Tinte steht auf dem blütenweissen Papier:
Die Schlange ist beweglicher, als du ahnst.
Der Vogel mehr ausgeflogen, als du verfolgen kannst.
Die Füchsin ist hinterlistiger als du denkst.
Und beim Schatten: Glaube nie, dass du sie kennst!Unterhalb wurde mit schwarzer Tinte geschrieben:
Der Schatten kann nicht ohne den Mond überleben, während der Mond ohne den Schatten nicht existiert.
Ich kann mit diesen Sätzen nichts anfangen und halte ihn vor den Anderen geheim. Aus irgendeinem Grund widerstrebt es mir, dass sie von dem Zettel erfahren sollten. Es ist eine Sache zwischen mir und Sarah-Anna.
Doch dann werde ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen.
Auf einmal ertönt wieder das Surren und der Boden beginnt wieder zu beben. Wir hören, wie eine Wand sich von den anderen trennt und mit einem rastenden Klicken alles endet. Wir springen auf und laufen zu der Stelle, an dem die Wand gestanden hat. Ich habe eine Kerze in der Hand und will als Erste in die Dunkelheit laufen, doch Cale hält mich am Arm fest und schüttelt den Kopf. „Du weisst nicht, was drin ist", sagt er. „Hallo?", ruft Domina, die neben mir steht.
„Wer seid ihr? Gehört ihr zu denen?"
Ich wechsle einen raschen Blick mit Cale, als ich das Wort „denen" höre. Von der Stimme her, ist es ein Junge. „Ich bin Shadow", rufe ich zurück. „Du kannst uns vertrauen." Ein Junge tritt zögernd und äusserst misstrauisch in den schwachen Schein des Kerzenlichts. Seine Jeans hat schmutzige Flecken und sein Shirt sieht auch nicht mehr allzu sauber aus. Er hat blond-braune Haare und dunkelbraune Augen. Auf seiner linken Wange prangt eine Schramme. Er hat keine Waffen und an seinem Handgelenk sehe ich auch kein Tattoo. Belle und ich werfen uns einen Blick zu. Sie hat die fehlende Tinte auch bemerkt.
Ich lächle ihm freundlich zu. „Ich bin Shadow. Und das sind Cale, Domina, Belle, Beck, Ariadne, Don und Avan", zähle ich auf. „Und du?" Er sieht uns nacheinander an. „Moon", sagt er schliesslich. „Bist du allein?", fragt Ariadne. Sie klingt erstaunt. Moon nickt und schweigt. Er fühlt sich unbehaglich, ich merke es daran, wie er unauffällig einen Schritt zurück macht.
Ich sehe Don an. Etwas sagen, muss ich nicht. Ich weiss, dass er versteht, was ich möchte. Seine Stirn legt sich leicht in Falten, während er überlegt. Dann nickt er und ich lächle dankbar.
„Wenn du willst, kannst du bei uns bleiben. Shadow zeigt dir alles. Der Rest geht wieder an seine Arbeit." Damit dreht er sich um und bedeutet den anderen, es ihm gleich zu tun. „Sei vorsichtig", raunt Cale mir zu. Mein Kopf dreht sich automatisch in seine Richtung. Ich drücke ihm einmal beruhigend die Hand. Ich sage lieber mit Taten, als mit Worten. Ich zeige mehr, anstatt ich sage. Die anderen wissen es und meistens verstehen sie, was ich mit meinen Reaktionen sagen möchte. Ich trete zu Moon und bleibe vor ihm stehen.Sein Gesichtsausdruck hat sich nicht verändert. „Hey", sage ich leise. Er nickt mir zu. Ich muss nach oben schauen, denn Moon ist ziemlich gross. „Ich zeige dir alles und dann kannst du ja entscheiden, ob du bleiben möchtest, oder nicht."
„Meine Frage hat mir immer noch niemand beantwortet: Gehört ihr zu denen?"
„Zu wen?"
„Zu den Wissenschaftlern."
Das Wort „Wissenschaftler" sagt mir nichts, also sehe ich ihn nur fragend an.
„Die Leute in weissen Sachen. Eigentlich ist alles bei ihnen weiss", erklärt er.
Ich nicke einmal, um zu zeigen, dass ich weiss, was er meint und schüttle dann ernst den Kopf. Moon sieht mich an und neigt seinen Kopf leicht. „Wieso heisst du Shadow?", fragt er mit zusammengekniffenen Augen.
„Sieh dich mal um!", fordere ich ihn auf. „Was siehst du?" Er sieht mich verwirrt an. Als ob ich einige Schrauben verloren hätte. (Naja, so unter uns gesagt: Vielleicht habe ich das auch.) „Tu es einfach. Sieh dir zum Beispiel Belle an." Ich zeige auf Belle und Cale, die miteinander Kämpfen üben. Wir haben in dem Raum, in dem Belle und Beck sind vier, grosse Kreise gemalt, der sogenannte Ring. Hier üben wir ohne unsere Waffen zu kämpfen. „Was siehst du?" Es dauert eine Weile, bis Moon versteht und noch eine Weile, bis er antwortet. „Eine Kämpferin", sagt er. „Und du?"
„Sie mag die Jagd und hat ein schlaues Köpfchen. Aber sie ist auch liebevoll und kümmert sie um andere. Ausserdem ist sie sowas, wie unsere Heilerin."
„Du kennst sie aber auch schon länger", sagt er.
„Stimmt, aber ich sehe es auch. Die Art, wie sie den Gegner ansieht, versucht seine Schwäche zu finden. Ah, schon gefunden!" Belle verpasst Cale einen gekonnten Schlag in seine linke Schulter und einen weiteren in seine rechte Seite, dass er auf den Boden landet. Schon war Belle über ihn und tut so, als ob sie ihn köpft. Für eine Sekunde rümpfe ich kaum merklich die Nase. "Belle ist mehr Verteidigung im Gegensatz zu ihr: Ariadne." Mein Finger deutet auf Ariadne, die mit Avan und Don gleichzeitig trainiert. „Sieh dir an, wie sie den Hieben ausweicht. Geschmeidig, beweglich, elegant und schnell. Der Kampf liegt ihr im Blut. Ausserdem gibt sie sich immer zuletzt geschlagen. Egal, wie oft du sie besiegt hast: Sie steht immer wieder auf und kämpft weiter. Sie wird es so lange machen, bis sie gewinnt, oder stirbt."
Moons Gesichtsausdruck wird etwas weniger misstrauisch. „Stimmt."
Ich sehe unsere Jüngste an, die unser Chaos aufräumt und gleichzeitig das Essen für später kocht. Sie kocht immer alles vor, damit es später nur noch gewärmt werden muss. "Domina ist die Jüngste. Manchmal ist sie unachtsam und spürt die Gefahr nicht. Dann wird sie die Beute von einer Katze, oder so. Sie stürzt sich in alles rein, ohne wirklich zu wissen, was die Folgen sind."
„Und warum nennst du dich jetzt Shadow?", unterbricht mich Moon. Ich schweige eine Weile und überlege mir, wie ich es am besten in Worte fassen soll. „Ich bin leise und unauffällig, genau, wie ein Schatten. Ausserdem ist er immer da und folgt jemandem, solange es auch nur einen Hauch von Licht hat. Niemand achtet auf ihn, aber man würde es irgendwann merken, wenn er weg wäre."
Er nickt und der misstrauische Ausdruck verschwindet ganz. „Und wie heisst du wirklich?" „Cassandra", sage ich. „Warum heisst du Moon?" Auch er schweigt und rückt sich einige Sätze zurecht.
„Schliesse deine Augen", sagt er und meine Lider senken sich, bis ich nichts mehr sehe, ausser Dunkelheit. „Stell dir einen Vollmond vor. Eine strahlende, weisse, runde Scheibe am dunkelblauen, fast schwarzen Himmel. Die Nacht ist sternenklar. Abgesehen von den Zirpen in einer Wiese ist alles still." Seine Stimme bekommt einen poetischen Hauch und wird sanft. Ich lausche seinen Worten, begierig noch mehr zu hören. Er weiss, dass, was auch immer er sagt, ich es verstehen werde.
„Wie lange würdest du dem Mond zuschauen?", fragt er.
„Bis ich einschlafe", antworte ich.
„Warum?"
Ich lächle. Seine Methode ist gleich, wie meine. „Weil ich mich dann in meinen Träumen und Erinnerungen verliere und alles vergesse. Ich sitze, wie blöd herum und bin in meiner eigenen Welt. Meinem richtigen zu Hause."
Moon schweigt und ich öffne meine Augen. Er sieht mich seltsam an. „Du bist eine Träumerin. Du verstehst die Welt", sagt er schliesslich.
„Ich sehe nur Dinge, die andere übersehen. Sie halten es für selbstverständlich und verschliessen ihre Augen vor dem, was eigentlich gesehen werden soll", erkläre ich. Damit habe ich ihm beschrieben, wie ich die Welt sehe. Warum ich auf Kleinigkeiten achte und sie zu schätzen weiss. Moon nickt. „Ich verstehe." Mit diesen Worten haben wir ein unsichtbares Band zwischen uns geknüpft. Wir verstehen die Welt und sehen sie, wie wir es sehen sollen. Wir sind anders in Person und doch im Herzen gleich.Verrückt?
Total!--------------------
Hey<3
Feedback?
Ich weiss nicht, wo ich mit meiner Story stehe. Manchmal kommt es mir vor, als wären es hier alle Zombies geworden, so tot ist es XD
Joke, bin euch mega dankbar, dass ihr es überhaupt liest, hahaha.
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Bb, Lily C.^^
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Station 10 #Wattys2016
Misteri / Thriller(Titel vorher: Lose - Verliere nie das Wesentliche aus den Augen!) Cassandra erwacht in einer seltsamen Anlage, ohne zu wissen, wer sie ist und woher sie kommt. Aber sie ist nicht alleine: Cale ist mir ihr in einem Raum. Erst nach und nach kehren ei...