V I E R Z E H N
Leben konnte nerven. Leben war unnötig, wenn man seinen Halt verlor. Heute merkte ich es besonders. Vielleicht war ich nur empfindlich, doch ich fühlte mich alleine. Alleine in einem Raum voller Menschen. Menschen die lachten, sich unterhielten, Zeit miteinander verbrachten oder zusammen kochten. Als ich heute früh aus dem Haus gegangen war, fühlte ich mich wie in einer Zwischenwelt gefangen. Die Küche war mit Lachen gefüllt. Amanda und mein Dad kümmerten sich um Abby. Jackson schlief und mich hatte man anscheinend vergessen. In der Schule lief es genauso ab, fast zumindest. Wie gesagt, ich fühlte mich wie in einer Zwischenwelt gefangen.
»Was ist eigentlich mit dir los, Milena?« Mein Kopf drehte sich automatisch zur Seite. Anna stand vor mir, dass wusste ich. Doch ich sah sie nicht. Ich blickte durch sie hindurch.
»Nichts, was soll los sein«, erwiderte ich und drehte meinen Kopf zurück. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich mich fehl am Platz fühlte und, dass ich zu meiner Mutter wollte und es nicht konnte? Sie konnte es nicht verstehen, wenn ich es erzählte, da war ich mir fast sicher. Niemand sollte mein Geheimnis erfahren.
»Wenn du nicht darüber reden möchtest, ist es okay. Es ist auch okay, wenn du nicht gut drauf bist und Zeit für dich braucht. Ich werde dich nicht drängen Milena. Es wäre nur schön gewesen, dass du mich vorgewarnt hättest«, sagte sie. Ihre Stimme war weich und ruhig. Man hörte keine Wut heraus. Ich nickte.
»Tut mir Leid«, kam es von mir. Ja, es tat mir wirklich Leid. Doch ich konnte mich einfach nicht überwinden aus meiner Zwischenwelt zu kommen. Die zweite Sache, welche auffällig war, war die Tatsache das Zack immer wieder das Gespräch mit mir zu suchen schien, ich es aber immer schaffte mich daraus zu entziehen. Er sah gefrustet aus, zumindest hatte ich das Gefühl. Doch dieses Gefühl konnte täuschen, denn ich war mit meinem Kopf kaum anwesend. Ich bemerkte selbst, dass ich den Leuten vor den Kopf stieß.
Nachdem ich die Schule endlich hinter mich lassen konnte, atmete ich durch. Ich hatte mich noch einmal bei Anna entschuldigt und bin dann in den Bus gestiegen, welcher heute schon da stand. Auf dem nach Hause weg, starrte ich aus dem Fenster. Bäume und Häuser zogen an mir vorbei. Mehr Häuser als Bäume. Nachdem ich unsere Haustür aufgeschlossen hatte, bemerkte ich sofort, dass niemand da war, denn es war ungewöhnlich still und es standen keine Schuhe auf der Matte. Na toll, wieder allein sein, weil ich es ja auch so gerne bin.
Sofort ging ich in mein Zimmer und schmiss die Tasche in die Ecke. Ich setzte mich auf die Kante von meinem Bett und stützte meine Hände auf meinen Knien ab. Erschrocken keuchte ich auf, weil ich einen Schmerz spürte, welchen ich seit Wochen vermeiden konnte. Doch mir ging heute nur ein einziger Gedanke durch meinen Kopf und dieser Gedanke brachte mich jetzt fast um. Schnell sprang ich auf, vergrub meine Hände in den Haaren und lief durch mein Zimmer. Es muss aufhören, dachte ich. Mit schnellen Schritten ging ich ins Badezimmer und ließ mir Wasser einlaufen. Baden. Baden war jetzt genau das richtige, denn ich musste mich ablenken. Ich legte mich in die Badewanne und die erste Welle der Verzweiflung überrollte mich. Ich konnte nichts dagegen tun. Am liebsten würde ich es beenden, doch ich weiß, dass meine Mum es nicht gewollt hätte. Also blieb ich. Tat nichts, was andere verletzen könnte. Ich ließ den Schmerz durch meinen Körper laufen und versuchte der Musik zu lauschen. Tief ein und aus atmen. Ein und aus.
Als nächstes bekam ich mit, wie jemand an die Badezimmertür klopfte. Ich überlegte ob ich etwas sagen sollte oder nicht. Doch, wenn ich nichts sagte, könnte es sein, dass Jackson oder mein Vater ins Badezimmer platzte und mich nackt sah. Diese Begegnung wollte ich natürlich vermeiden. Deshalb fragte ich nach, was denn los sei und kurze Zeit darauf antwortete mein Vater.
»Milena, werde bitte fertig. Elijah ist da«, informierte er mich durch die Tür. Ich stöhnte auf. Ihn hatte ich ja total vergessen.
»Er kann wieder gehen. Ich bleibe zu Hause«, rief ich zurück. Doch ich hatte keine große Hoffnung, dass mein Vater mich in Ruhe ließ. Immerhin war es Elijah.
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High Hopes - Wenn Hoffnung alles ist, was du hast #Wattys2017
Chick-LitDas Straßenleben ist hart. Vor allem in New York und das wusste auch die 17 jährige Milena, welche schon seit Jahren mit ihrer Mutter auf der Straße lebte. Ihre Mutter war alles, was sie hatte. Ihre Hoffnung. Ihr Lebensinhalt. Doch an einem einzi...