DREIUNDZWANZIG

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D R E I U N D Z W A N Z I G

Ich konnte nicht genau sagen wieso ich mich bei diesen Fremden wohler fühlte, als bei meinem Vater. Judith war bestürzt, als ich von meiner Vergangenheit erzählte. Sie war vorhin diejenige gewesen, welche die Fragen gestellt hatte und wissen wollte warum ich mich so gut damit auskannte. Doch sie war auch diejenige, welche mich in den Arm nahm als ich bitterlich begann zu weinen, als sie wissen wollten was mit meiner Mum war und wieso ich jetzt bei meinem Vater lebte. Es tat gut mal mit einer außenstehenden Person zu reden.

»Wie lange lebst du nun schon bei deinem Vater? Wie ist es dir bisher dort ergangen? Konntest du dich gut einleben?« Judith stellte viele Fragen. Doch wie ich schon sagte tat es unglaublich gut alles loszuwerden.

»Seit fast einem Jahr. Die Zeit verging wirklich schnell und ich habe selbst mitbekommen, dass ich nicht mehr gut war. Ich bin teilweise zu einer Person geworden über die ich damals nur den Kopf geschüttelt hätte und doch möchte ich dies wieder ändern, denn ich habe ebenfalls gemerkt, wie recht ich damals mit meiner Meinung hatte.«

»Was meinst du?«, wollte jemand anders wissen. Ich hatte zwar nicht alle Fragen beantwortet, doch das schien sie im Moment nicht zu stören.

»Ich weiß nicht, wie es hier in Deutschland ist auf der Straße zu leben, ob die Menschen hier genauso rücksichtslos sind wie bei uns. Straßengöre wurde ich genannt und das war die kleinste Beleidigung. Doch wenn ich mich jetzt so ansehe, bin ich keine Straßengöre mehr, sondern eine Göre von einem reichen Vater. So etwas wollte ich gar nicht, wenn ich mich jetzt oder in einem Jahr entscheiden müsste, ob ich Mum oder Vater wähle, dann würde ich mich immer für das Leben bei meiner Mutter entscheiden, egal wo sie lebt. Doch dies ist nicht mehr möglich.« Ich machte eine kurze Pause und holte Luft. Es fiel mir schwer über das alles zu reden.

»Was ich eigentlich sagen möchte ist, dass ich den Schmerz meine Mutter zu verlieren nicht aus mir herausgelassen habe. Ich habe versucht es zu verdrängen, versucht mir Freunde zu suchen und ich habe mich sogar verliebt, zumindest glaube ich das.« Traurig lächelte ich, denn ich wusste nicht ob es so war oder nicht.

»Du glaubst?«

»Ja. All die Jahre die ich auf der Straße gelebt habe, hatte ich den Traum zu tanzen, zu singen und das mit dem Jungen, den ich liebe. Nun, als ich neu auf diese Schule kam, habe ich mich in einen Tanzkurs eingeschrieben und dort habe ich Zack kennengelernt. Wir verstanden uns gut, haben etwas unternommen und sind nun so etwas wie zusammen. Doch dann gibt es da Elijah, der Sohn vom Geschäftspartner meines Vaters. Er ist meiner Meinung unberechenbar. Er hat mich des öfteren bloßgestellt bzw. nichts gemacht wenn einer seine Freunde mich bloßgestellt hat. Dazu hat er mich geküsst und Sachen erzählt, welche nicht stimmten. Dennoch ist er jetzt mit im Urlaub und will für mich da sein. Er sucht unentwegt meine Aufmerksamkeit und ich weiß einfach nicht was ich machen soll .« Ich starrte auf meine Hände, wollte die Menschen vor mir nicht ansehen, weil ich die Antwort nicht aus ihren Gesichtern ablesen wollte.

»Milena, ich weiß nicht ob dir Bewusst ist, was für eine Ausstrahlung du auf Menschen hast, aber du scheinst wie ein einziges Geheimnis zu sein. Wir haben uns alle gefragt, warum ein so hübsches Mädchen bei uns in dieser Gasse auftaucht. Ich glaube ganz einfach, dass die Jungs diese Art anziehend finden. Vor allem haben wir aber gerade gemerkt, dass du dir gar nicht so sicher bist, auf wen du dich einlassen sollst.« Judith sprach ihre Worte mit bedacht aus, dennoch sprach sie die Wahrheit.

»Ich weiß einfach nicht, wem ich vertrauen soll.«

»Vertrauen ist eine Sache die sich langsam aufbaut, wenn man ihr die Chance dazu gibt. Es bringt nichts, wenn du dich selbst schlecht machst und nicht anfängst zu leben. Du hast schon so viel von deinem Leben verpasst, weil du auf der Straße gelebt hast, deshalb fang an zu leben. DU musst dich trauen und dich wohlfühlen.« Marlon, ein in die Jahre gekommener Mann, saß an meiner rechten Seite und hatte bisher noch nichts gesagt, deshalb war ich umso überraschter, dass er sich nun zu Wort meldete.

»Du hast recht«, begann ich, musste etwas schlucken und sprach dann weiter. »Ich hab einfach nur Angst das ich meine Mum nicht stolz machen, indem ich beginne zu leben. Ich weiß das meine Mum sich das gewünscht hat, aber ich weiß nicht ob sie bedacht hat, dass sich meine Art verändert und ich immer mehr so werde wie die Menschen, die wir verabscheuten.«

»DU alleine entscheidest wie du dich veränderst. Ob du so wirst wie diese Menschen, die ihr nicht mochtet oder ob du dich auf deine eigene Art veränderst. Du kannst so sein wie du möchtest, kannst den Menschen helfen, die Hilfe brauchen und dennoch kannst du eine Tussi sein, wenn du es möchtest.« Marlon lächelte mich an. Ich war ihnen so dankbar, dass sie so offen mit mir redeten.

»Marlon hat recht, du allein entscheidest, wie es weiter geht. Vielleicht ist dieser Urlaub genau das richtige um Elijah kennenzulernen, mit deiner Vergangenheit abzuschließen und dich zu finden.« Judith sprach mir noch einmal Mut zu. Ich atmete tief ein und stand auf.

»Ich danke euch meine Lieben und ich werde darüber nachdenken. Darf ich euch morgen wieder besuchen kommen?« Ich bekam begeistertes Nicken. Es freute mich.

»Ich bringe morgen wieder etwas zu essen mit«, versprach ich und ging. Als ich aus der Gasse kam, ging mein erster Blick auf die Uhr und danach nach links und rechts. Ich hatte vier Stunden in dieser Gasse verbracht.

Da ich noch nicht ins Hotel zurück wollte und keine Lust mehr hatte den Salon zu suchen, ging ich eine Weile geradeaus und setzte mich irgendwann in ein kleines Café. Dort bestellte ich mir etwas zu trinken und ein Brötchen. Um genau zu sein saß ich vor dem Café und beobachte die Menschen, welche an mir vorbei liefen. Nebenbei hing ich meinen Gedanken hinterher.  

»Mensch, Milena, da bist du ja.« Elijah riss mich aus meinen Gedanken. Es war noch nicht viel Zeit vergangen seitdem ich mich hier hingesetzt habe und schon war ich nicht mehr alleine. Ich sah Elijah nur an, wusste nicht was ich darauf antworten sollte. Als erste Reaktion bekam er von mir ein Handzeichen, welches ihm zeigte, dass er sich setzen sollte. Er schien überrascht zu sein, setzte sich dann aber hin.

»Wir haben dich schon gesucht. Uns wurde gesagt, dass du einen Tanzsalon gesucht hast, doch bei dem, wo dir beschrieben wurde, warst du nicht. Deine Familie ist schon zurück zum Hotel, doch ich wollte dich finden.«

»Danke.« Er schaute mich komisch an. Ich wusste genau, dass er überrascht war. Das war ich selbst, denn ich wusste nicht wieso ich danke gesagt hatte. Doch niemand sagte etwas dazu. Aus den Augenwinkel sah ich Judith und die anderen vorbei laufen. Mein Kopf drehte sich zu ihnen. Man sah ihnen an, dass sie neugierig waren, wer neben mir saß. Ich zwinkerte und drehte mich zurück zu Elijah. Ich sah, dass er gerade dabei war zahlen.

»Ich kann das auch alleine«, sagte ich zu ihm. Doch er winkte es ab. Zusammen standen wir auf und gingen zurück ins Hotel, wo mich schon ein wütender Vater erwartete.

High Hopes - Wenn Hoffnung alles ist, was du hast  #Wattys2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt