8 // drunk

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Mein Körper erstarrt, als hätte jemand freeze gesagt.

"Klang echt gut." Luke stößt sich vom Zaun ab und kommt auf mich zu. Zumindest versucht er es, denn er schwankt zuerst ein paar mal hin und her, ehe er losläuft. Anscheinend haben die Shots besser als bei mir gewirkt. Er torkelt zu mir und setzt sich ächzend neben mich.

Wo ist mein Alkohol?

"Wer bist'n du eigentlich?", fragt Luke plötzlich in die Stille hinein.

Oh Gott, ich brauche Alkohol, sonst werde ich auf der Stelle ohnmächtig. Aber ich weiß nicht, ob ich enttäuscht, wütend, überrascht oder erleichtert sein soll. Und erkennt er mich wirklich nicht oder sind nur durch den starken Alkohol seine Sinne getrübt?

Als ich zum Sprechen ansetzen will, kommt nur ein Krächzen aus meiner Kehle. Ich räuspere mich und öffne schon meinen Mund, da sehe ich im Augenwinkel, wie meine Freunde und Ashton und Michael angelaufen kommen. Unerwartet breitet sich Erleichterung in mir aus. Ich kann gerade noch so ein Seufzen unterdrücken.

Michael und Ashton strahlen uns an, während meine drei besten Freunde eher eine skeptische Miene aufgesetzt haben. Kurz bevor sie direkt vor Luke und mir stehe, springe ich auf und stürze so schnell es geht zu Olly, da er zuerst ankommt. Er legt sofort schützend seinen Arm um mich. "Alles gut?", fragt er leise.

Wahrheitsgemäß schüttele ich den Kopf. "Ich weiß es nicht. Er... er erinnert sich nicht."

Olly sieht mich mit einem undefinierbaren Blick an. "Und denkst du, es ist besser so?"

Antworten kann ich nicht mehr, denn die anderen stellen sich zu uns. Luke wurde von Michael und Ashton hochgestemmt und jetzt stand er, wackelig an Ashtons Schulter gelehnt, direkt neben mir.

Wir stehen alle lange einfach nur da, bis Luke das Schweigen bricht, indem er sich an mich wendet. "Weiß' 'u, ich hatte mal 'ne Freunnin, die sah genauso aus 'ie du."

Ich starre ihn mit offenem Mund an und auch die anderen aus der Runde sehen nicht minder geschockt aus. Im nächsten Moment will ich einfach nur in Tränen ausbrechen. Es kann doch nicht sein, dass er sich als Einziger nicht erinnert, obwohl wir den meisten Kontakt hatten. Das ist unmöglich. Und irgendwie hoffe ich, dass es tatsächlich der Alkohol ist, der Luke mich vergessen lässt.

"Wie wäre es, wenn wir alle wieder reingehen?", schlägt Ash vor und rettet damit die Situation.

"Das ist eine sehr gute Idee", meint Michael und schon zerren die beiden Luke, der widerstandslos mitläuft, zurück zu Ashtons Haus.

Als Dan etwas sagen will, unterbreche ich ihn. "Sag lieber nichts. Bitte. Lasst... lasst uns einfach auf diese Party zurückgehen und weiterfeiern, okay?"

Ich warte nicht auf meine Freunde, sondern laufe sofort los. Ich benötige jetzt sofort hochprozentigen Alkohol.

Wieder drinnen mache ich mich sofort auf den Weg zur Bar. Drew steht noch immer da und beginnt zu grinsen, als ich auftauche. "Nachschub gefällig?"

"Aber bitte irgendwas, was zu einhundert Prozent wirkt", sage ich nur.

Drews Grinsen verschwindet und er zieht die Augenbrauen hoch. "Naja... das ist... wie alt bist du?"

Ich verstehe nicht, worauf er hinaus will. "18, warum?"

"Weil ich sonst Ärger bekomme." Er nimmt eine Flasche aus dem Regal. "Der ist echt stark. Also wenn du davon nichts spürst, dann weiß ich auch nicht." Er befüllt damit ein Shotglas bis zum Rand und reicht es mir.

Wieder rieche ich daran und zucke sofort zurück. "Was ist das denn? Das riecht ja abartig."

Drew sieht mich entschuldigend an. "Dafür garantiere ich die Wirkung."

Als ich den Shot herunterkippe, beginne ich mich zu fragen, was ich hier überhaupt tue. Ich meine, ich trinke irgendetwas Hochprozentiges von einem Typen, den ich nicht einmal kenne, um... ja um was eigentlich? Um zu vergessen? Um zu verdrängen? Um eine erneute Konfrontation weniger unangenehm zu machen?

Mein Gedankengang wird jäh von dem heftigen Brennen unterbrochen, welches sich von meiner Zunge bis zu meinem Magen zieht.

Leidend schaue ich zu Drew, der auf meine Reaktion wartet. "Noch einen."

Er zögert. "Lucy, damit ist wirklich nicht zu spaßen."

"Dieses eine Mal wird mich schon nicht umbringen", versuche ich ihn umzustimmen.

"Na gut. Aber das ist echt eine Ausnahme."

Ich nicke eifrig und greife sofort nach dem Glas. Anschließend lasse ich das Getränk ein zweites Mal meine Speiseröhre verätzen.

Schließlich kann ich Drew noch zu einem dritten und letzten Shot überreden.

Was sich als Fehler herausstellt.

Wenige Sekunden später schüttele ich den Kopf, um das komische Gefühl in meinem Kopf loszuwerden, aber es geht nicht weg.

Ich schaue zu Drew und muss zweimal versuchen, meinen Blick scharf zu stellen. "Was zur...?"

Drews Antwort geht in der lauten Musik unter. Dadurch, dass meine Sinne so plötzlich getrübt sind, bin ich komplett verwirrt. Ich schwanke und muss mich am Tresen festhalten. "Ich-", setze ich an, komme aber nicht weiter. "Ich-, versuche ich es wieder, aber aus meinem Mund will einfach kein gerader Satz herauskommen.

Orientierungslos wanke ich vom Tresen weg. Der Fußboden ist bedenklich schräg. Irgendwie schaffe ich es, zur Treppe zu kommen. Ich schaffe es, mich so weit zusammenzureißen, dass ich gerade so die Treppe heraufkomme.

Oben angekommen taste ich mich wie ein Kleinkind, welches gerade laufen lernt, an der Wand entlang und öffne somit die erstbeste Tür. Ich kann gerade noch so erkennen, dass es Ashtons Zimmer ist. Er wird wohl nichts dagegen haben, wenn ich ein wenig in seinem Bett schlafe. Gott, warum bin ich plötzlich so müde?

Gähnend lasse ich mich auf sein Bett fallen und lehne mich gegen die kühle Wand. Ich ziehe die Knie an die Brust und lege den Kopf darauf. In meinem Kopf dreht sich alles und ich habe das Gefühl, er ist mit Watte ausgestopft. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen und beginne es zu bereuen, den Alkohol getrunken zu haben.

Jemand betritt das Zimmer.

Widerwillig öffne ich meine schon geschlossenen Augen wieder. Eine unscharfe Silhouette eines Mannes steht im Türrahmen.

"Sag mal, bist du vollkommen verrückt? Du kannst doch so viel von diesem verdammten Scheiß trinken."

Moment mal. Die Stimme. Woher kenne ich diese Stimme? Woher-

Die Person kommt näher und setzt sich neben mich auf das Bett. Ich spüre, wie ich stark gemustert werde und höre, wie die Person plötzlich scharf einatmet. "Nein!"

Und in dem Moment fällt mir trotz meines zugedröhnten Hirns ein, wer da gerade neben mir sitzt.

The memories I never can escape | l.r.h. | discontinuedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt