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"Lucy! Was hast du mit meinem Nagellack gemacht?", schreit Isabella, meine kleine Schwester, aus dem Bad durch das gesamte Haus.

Ich stöhne leise. Dieses Mädchen macht mich noch fertig! "Nichts!", schreie ich zurück. "Das war garantiert Ethan."

Bella antworte nicht, ich höre sie nur wütend grummeln und in Richtung Ethans Zimmer marschieren.

Meine Schwester ist drei Jahre jünger als ich, also 15, aber legt viel mehr Wert auf ihr Aussehen. Ich kann gut auf diesen ganzen Schminkkram verzichten. Mascara und Lippenstift reichen für mich vollkommen aus. Aber nicht so Bella. Sie sieht aus, wie eine Porzellanpuppe, mit den Tonnen von Make up und Puder. Ich finde es nuttig, so als 15-jährige herumzulaufen, aber sie meint, so sehen alle in der 10. Klasse aus. Wenn sie es sagt...

Mein Bruder ist 19 und nur noch selten zu Hause. Nur noch auf Partys. Aber wenn er mal da ist, spielt er Bella Streiche. Es ist wirklich witzig, wie sie sich über fehlenden Nagellack oder eine schmutzige Handtasche aufregt.

Ich erhebe mich von meinem Sofa, weil Sadie mich anstupst. Sie hat wohl Lust auf einen Spaziergang. Sadie ist meine blonde Labby-Hündin. Sie ist die einzige greifbare Erinnerung an Luke.

Luke.

Ja genau, ich meine den Luke.

Luke Hemmings.

Wir standen uns so nah und heute ist er praktisch unerreichbar für mich. Und ich bin schuld.

Ich schnappe mir Sadies Leine und meinen iPod und verlasse mein Zimmer. Als ich aus dem Haus trete, leine ich Sadie an, stöpsle ich mir die Kopfhörer in die Ohren und drehe auf volle Lautstärke.

Wherever you are von 5 Seconds of Summer beschallt mich augenblicklich und hüllt mich mit dem schönen Klang von Lukes Stimme ein.

Es schmerzt so sehr, ihn im Fernsehen oder auf YouTube auf der Bühne zu sehen. Auch seine Stimme tut weh, aber irgendwie tut sie auch gut. Ich weiß nicht.

Es ist schrecklich zu wissen, dass man wenigstens die Chance hatte. Ich hatte die ganz große Chance, aber dieser Zug ist schon lange abgefahren.

Plötzlich werden meine Gedanken von meinem vibrierenden Handy unterbrochen. Ich ziehe die Kopfhörer heraus. She looks so perfect dringt an mein Ohr. Ja, ich weiß, dass ich ein Fangirl bin. Ich schaue auf das Handydisplay. Dan ruft an.

"Ja?", melde ich mich.

"Kommst du in den Keller? Ich habe bombastische Neuigkeiten", sagt Dan aufgeregt am anderen Ende der Leitung.

"Kannst du es mir nicht jetzt gleich sagen?", frage ich. Ich hasse Überraschungen.

"Nein. Komm einfach, okay?"

"Ist ja gut", brumme ich und lege auf. Ich drehe wieder um, damit ich mein Fahrrad holen kann. Zum Keller dauert es zu Fuß eine halbe Ewigkeit. Mit dem Rad schaffe es in einer viertel Stunde, wenn ich schnell fahre.

Der Keller ist unser Probenraum. Ich spiele in einer Band mit drei Klassenkameraden. True Blue. Ich weiß nicht mehr genau, wer auf diesen Namen gekommen war (ich bestimmt nicht). In der Aussie-Sprache bedeutet True Blue echt australisches oder Original.

Ich überlege, was Dan so für bombastische Neuigkeiten haben könnte. In Gedanken versunken hole ich mein Fahrrad aus dem Schuppen und steige auf. Sadie läuft neben mir her. Nach exakt 12 Minuten komme ich an Dans Haus an. Ich stoße das Gartentor auf und parke mein Fahrrad neben der Eingangstür.

Als ich klingle, öffnet mir sofort ein strahlender Dan. Okay, ich würde sagen, etwas wirklich außergewöhnliches ist passiert, denn so aufgekratzt habe ich Dan noch nie gesehen. Ich umarme ihn, dann beugt sich Dan zu Sadie herunter und lässt sich von ihr ein Küsschen geben.

"Sie hat vorhin an einem fetten Kackhaufen geschnuppert, ich würde sie also nicht zu nahe an mein Gesicht lassen", scherze ich.

"Haha", macht Dan und erhebt sich wieder. "Die anderen sind schon unten."

Ich nicke und biege nach rechts ab, wo direkt die Treppe hinunterführt. Der ganze Keller ist unser Reich. Drei der Räume sind voll mit Bandutensilien und der vierte ist natürlich der Probenraum. Dans Eltern sind ziemlich reich, deshalb haben sie den Keller extra für unsere Band ausbauen lassen.
So etwas könnte ich bei meiner Familie nicht im Traum erwarten. Unser Haus können wir bis ans Lebensende abzahlen. Außerdem wird viel in Isabella investiert. Sie ist das Lieblingskind meiner Eltern. Mit meinem Taschengeld muss ich mir Klamotten kaufen und Sadie finanzieren und deshalb rückt die Karte für ein 5SOS Konzert immer wieder in ungreifbare Ferne. Natürlich verdienen wir mit der Band auch Geld, aber das investieren wir in Instrumente, Auftritte und unseren Keller.

Lachend umarme ich Harry und Oliver, die zwei weiteren Mitglieder von True Blue. Wir lassen uns in die weichen, schwarzen Ledersessel fallen. Dan gibt jedem eine Flasche Bier.

"Also pack aus, Alter", drängt Olly und beugt sich gespannt vor. Auch ich bin aufgeregt, obwohl ich ja nicht mal weiß, ob mich die Neuigkeit überhaupt interessiert.

Dan holt tief Luft und beginnt zu erzählen. "Vorhin bin ich zu Aldi rüber, einkaufen. Und da klebt plötzlich dieses Plakat." Er macht eine kleine Pause.

"Erzähl schon!", meint Harry.

"Auf diesem Plakat steht, das 5SOS eine Australien-Tour machen wird."

Ich schreie auf. Das kann nicht wahr sein!

Dan lächelt mich an. "Das ist noch nicht alles. Die suchen eine Vorband. Für die gesamte Tour. Die Anmeldung für das Casting ist morgen. Aber das Beste ist, dass die Tour in den Sommerferien ist." Mein Kumpel beendet seine Rede. Ein paar Sekunden ist es totenstill im Raum. Dann bricht der Sturm aus.

"DAS IST NICHT DEIN ERNST?!", kreische ich.

Auch Oliver und Harry sind nicht minder begeistert. Sie sind auch 5SOS Fans (vielleicht nicht so extrem wie ich, aber trotzdem...) und außerdem wäre das auch die Chance unseres Lebens, berühmt zu werden.

Und meine private Chance ihn wiederzusehen.

Ihn.

Luke.

Meine erste Liebe.

"Wir melden uns da morgen an und rocken das Ding, okay?", sagt Harry.

"Und wie wird das rocken werden!", erwidert Dan.

Ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Ja, es wäre bestimmt toll, ihn wiederzusehen, aber komme ich damit auch klar?

Will ich ihn überhaupt wiedersehen?

The memories I never can escape | l.r.h. | discontinuedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt