F Ü N F Z E H N

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"Wo würdest du gerne mal hinreißen?" fragt er während ich ihm dabei zusehe, wie seine Beine in der Luft hin und her baumeln.
Wir sitzen zusammen auf meinem Baumhaus, er war der festen Überzeugung das würde die Atmosphäre 'cooler' machen. Vollidiot.

"Australien, da will ich schon ewig hin." schwärme ich und sehe zu ihm, eine stumme bitte seine Antwort zu hören.

"Ausnahmsweise teilen wir eine Antwort." sagt er und zieht seinen Mundwinkel nach oben, ich kann nicht anders und starre auf seinen Zahn, warum fehlt wohl ein Stück?

Ohne groß darüber nachzudenken plappere ich los "Warum fehlt ein Stück von deinem Schneidezahn?" frage ich und sehe zu ihm auf. Zwischen den vielen grünen Blättern sehen seine Augen noch intensiver aus.

Kurz scheint er darüber nachzudenken, ob er mir davon erzählen kann, schließlich sieht er auf seine Hände. "Ich habe früher bei Straßenkämpfen mitgemacht, wenn ich zurück denke, vielleicht nicht die beste Idee aber früher war es eine Ablenkung." erzählt er und betrachtet dabei irgendwas in der Ferne, von hier oben kann man perfekt in mein Zimmer sehen, vielleicht auch reinklettern aber dafür wäre ich zu ungeschickt.

"Ablenkung für was?" stelle ich wieder eine Frage und breche damit eigentlich die Regeln unseres Spiels.

"Ich weiß für Außenstehende klingt es immer so toll 'reich sein' aber das ist es nicht Ruby, wenn ich eine Sache im Leben gelernt habe, dann das Geld nicht mal ansatzweise glücklich machen kann. Ja es kann deine Bedürfnisse von einem neuen Handy oder tollen Schuhen stillen. Es kann dir aber auch deine Eltern weg nehmen, deine Kindheit. Ich kann mich an keinen Urlaub mit meiner Familie erinnern, meine Eltern arbeiten Tag und Nacht und wenn sie mal Zeit haben, fahren sie zu zweit weg. Ich hab Liza alleine groß gezogen, zumindest fühlt es sich so an." sagt er und ich habe das Gefühl, es ist das ehrlichste was ich jemals, von jemandem gehört habe.

Wie aufs Stichwort kommt meine Mutter aus dem Haus, in ihren zarten Händen trägt sie ein Tablett auf dem Sandwiches und Trinkpäckchen liegen. "Ich dachte ihr habt vielleicht Hunger." sagt sie etwas lauter, damit wir sie auch hören können. Sie legt das Tablett auf die kleine Vorrichtung, die mein Papa gebaut hat und zieht das Essen zu uns nach oben. Rory nimmt es entgegen und schreit ein Dankeschön nach unten "Nicht dafür mein Junge." antwortet sie liebevoll und geht wieder in das Haus.

"Deine Mama ist klasse." haucht er und reicht mir ein Sandwich, es ist mit Tomate Mozzarella belegt, so wie ich es am liebsten habe. "Ja das ist sie." gebe ich zu.

"Also ich darf dir jetzt zwei Fragen stellen." sagt er und dreht sich zu mir. Durch sein schwarzes Shirt kann ich seine Tattoos diesmal leider nicht erkennen.
"Was war dein Vater für ein Mensch?" fragt er und sein Blick sagt deutlich aus, das er zweifelt ob die Frage nicht zu privat ist.

"Mein Papa war aufgeweckt, offen, immer für jeden Spaß zu haben. Er hat uns jedes Wochenende rausgeschleppt, wir waren angeln, haben das Baumhaus gebaut. Er konnte nie still sitzen. Niemand hat damit gerechnet das er sterben könnte, er war fit. Ist jeden Tag joggen gegangen, ich dachte er würde ewig leben, zumindest kam es mir so vor." beantworte ich seine Frage, gegen Ende bricht meine Stimme ab, ist nur noch ein flüstern aber ich will ihm von meinem Vater erzählen.

Ich will das er sich genauso an ihn erinnert, ich will das er weiß, was für ein toller Vater er ist und wie unfassbar schlimm es war ihn zu verlieren.

Nach längerer Zeit in der wir einfach oben sitzen und schweigen, sehe ich zu ihm auf. Seine Augen bohren sich in meine, er strahlt kein Mitleid aus, eher Verständnis.

Ich frage mich ob ich jemals so grüne Augen gesehen habe. "Mir ist noch nie aufgefallen wir grau deine Augen sind." sagt er und ich muss grinsen. "Was ist so witzig?" fragt er diesmal und beginnt zu schmunzeln. "Ich habe gerade das selbe gedacht." gebe ich zu und er grinst ebenfalls.

ShamelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt