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Es ist schon lustig, wie einem immer gesagt wird, dass die Zeit eine der wenigen Konstanten im Leben eines Menschen sind. Angeblich verrinnt sie immer gleich schnell und man wird nie eine Sekunde überspringen können. Oder eine Minute. Oder eine Stunde. Doch abhängig von der Situation kommt es uns so vor, als ob sie mal schneller und mal langsamer geht. Macht man etwas interessantes, sind auf einmal drei Stunden wie im flug vergangen. Macht man etwas langweiliges, vergehen nicht einmal die Sekunden. Also läuft die Zeit immer gleich schnell? Kann man wirklich so sicher sein? Eher man sich versieht vergeht ja schon ein Jahr und wenn man zurück blickt, merkt man dass das Leben eintönig ist. Langweilig.

Und so ist es für Lydia. Seit einigen Monaten schon ist sie in dieser Burg. Jeden Morgen geht sie in den Essenssaal, bekommt etwas serviert, wird gepflegt und setzt sich anschließend an ein Fenster um den Regen zu beobachten der anscheinend nie den Boden berührt und ihn nie nass macht. Wo geht der Regen bloß hin?

Ihren Peiniger hat sie nicht mehr gesehen und innerlich hofft sie, dass ihre Gebete erhört wurden. Die Zeit vergeht für sie immer gleich schnell. Da sie nirgends hin darf und nichts anfassen darf, sitzt sie immer nur an ein und derselben Stelle und starrt ins Leere. Ins Dunkel oder ins Licht. Keiner redet mir ihr und sie redet mit keinem. Wenn sie angesehen wird, dann spiegeln die Blicke immer nur ekel und hass ihr gegenüber. Die Menschen hier sind ganz merkwürdige Wesen. Sie haben eine bläuliche Hautfarbe und ihre Augen leuchten in einem glänzenden Gold. Doch genau ansehen kann sie diese Wesen nie. Irgendwie verschwimmen immer ihre Gesichtszuüge vor ihrem Auge. 

Nachts versucht Lydia immer verkrampft einzuschlafen. Versucht die Geräusche zu ignorieren, die sie draußen immer hört. Die Schreie. Die Rufe. Immer wieder hört sie auch Schritte in ihrem Zimmer, doch wenn sie die Augen aufmacht, sieht sie sowieso nichts und die Schritte hören auf. Sie ist sich ganz sicher, dass es der Schwarze Mann ist. Sie ist sich sicher, dass er sie beobachtet, aber nicht anreden will. Also was will er? Sie hat nichts zu bieten. 

Doch eines Tages, bekommt sie eine Idee. Eine schreckliche, schreckliche Idee, die sie in die Tat umsetzen will. Am Esstisch holt sie sich ein Messer und versteckt es in ihrem schlichten Gewand, das dem eines Gefangenen ähnelt. Ohne Muster, ohne Farben, ohne Formen. Kahl und trist.

Danach geht sie wieder zu ihrem Platz ans Fenster. Sie möchte alles Beenden. Was hat das alles denn für einen Sinn hier? Sie hat gekämpft. Lange. Doch wofür? Nur damit sie Tag ein Tag aus immer das selbe tun kann? Allein sein kann? Sie fängt an die Sprache zu verlernen. Fängt an, alles zu verlernen. Immer wieder starrt sie ihre Beine und Hände an und fragt sich, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, hätte ihr Vater nicht so einen Fehler gemacht. 

Tränen laufen an ihren Wangen hinab. Sie ist in einem Käfig. Eingesperrt wie in Tier das gemästet wird. Bald wird sie ausbrechen. Man kann es schwach nennen, sie aber nennt es stärke. Sie kann wieder mit ihren Eltern und allen anderen vereint sein. Sie muss es tun. Das Leben hier hat keinen Zweck.

Als sie mit ihren Stumpfen Händen das Messer einklemmt und auf ihr Herz richtet, ruft sie sich noch einmal in Erinnerung, warum sie es tut. Wie es ihr jetzt geht. Dann schließt sie die Augen und sticht zu.

Zumindest versucht sie es, doch etwas hält das Messer fest und reißt es aus ihrem Griff. Erschrocken öffnet sie ihre Augen und starrt die Person vor ihr an. Es ist der Mann, der sie entführt hat. Und mit donnernder Stimme fragt er: "Was genau glaubst du was du hier tust?"

Gebannt und immernoch schockiert starrt sie ihn an. Nachdem sie ihn Monatelang nicht mehr gesehen hat, sieht er ganz fremd aus. Fast hat sie sein schönes Gesicht schon vergessen. Das Gesicht das so ganz anders als die anderen hier ist. So Menschlich... wenn man von den schwarzen Augen und den spitzen Zähnen absieht. 

Sie öffnet den Mund, doch kein Laut entweicht ihrem Mund. Das lange schweigen hat sich nun darauf ausgewirkt. 

Er seufzt und fährt sich mit der Hand durch seine schwarzen Haare. Dann blickt er sie wieder an und sagt: "Du stinkst schlimmer als der Sumpf. Wann hast du dich letzte mal gewaschen?"

Wieder öffnet sie den Mund und diesmal bekommt sie Laute heraus. Ganz leise sagt sie mit kratzender Stimme: "Hier noch nie. Ich weiß nicht wo und allein komm ich nirgends gut hin."

Er nickt und starrt sie an. "Ihr Menschen seid komische Wesen. Ihr seid schwach. Ich würde nie auf die Idee kommen, mein Leben selbst zu beenden. Wie kommt man auf sowas?" Er schüttelt den Kopf... doch dann lächelt er. Sein kleines und boshaftes lächeln, das sie schon fast vergessen hatte.

Er tritt hinter sie und hebt sie aus dem Rollstuhl, nur um sie über seine Schulter zu werfen. Er geht schnell und durch die Dunkelheit, in der sie nichts sieht. Da kommen sie an eine Tür. Er öffnet sie und tritt  in einen Raum. Er zündet eine Kerze an, damit sie etwas sieht, doch bevor sie darüber nachdenken kann, was als nächstes passiert, wird sie fallen gelassen... und landet in eiskaltem Wasser.

Sofort durchzucken sie Schmerzen, denn ihre Beine sind sehr empfindlich geworden und sie versucht hinaus zu kommen. Doch ihr Peiniger schubst sie mit seinem Fuß wieder ins Becken mit dem Wasser. Sie schreit: "Lass mich hier heraus!"

Doch er lacht nur sein krankes, inhumanes Lachen und antwortet: "Ich denke gar nicht daran."

Wieder versucht sie heraus zu kommen, doch er schubst sie einfach wieder hinein und taucht ihren Kopf immer wieder unter Wasser. Nach Luft schnappend und erledigt versucht sie sich zu beruhigen, doch ihr entfährt ein kreischen, als er auf einmal direkt vor ihr im Wasser sitzt und irgendeine grüne Flüssigkeit in der Hand haltet. Sie versucht von ihm weg zu kommen, doch daraus wird nichts. Er packt sie am Arm und schmiert ihr das Ding in die Haare. 

"Du hast echt gestunken. Erinnerst mich an ein Schwein", kichert er.

Sie schlägt seinen Arm weg und versucht aus dem Becken zu kommen, doch er schlingt nur einen Arm um ihren Bauch und zieht sie an sich. Sie strampelt, versucht ihn loszuwerden, doch ohne erfolg. Ihr wird auf einmal warm und röte Steigt ihr ins Gesicht, als er ihr Kleid auszieht. Sie kann sich nicht wehren. Sie hat nichts mit dem sie sich verteidigen könnte. Sie kann nicht einmal aufstehen. 

Also lässt sie ihn machen. Versucht ihn zu ignorieren. Seinen Atmen auf ihrer Haut, seine Hände die sie waschen. Sie versucht, sich wegzudenken. Weit weit weg. Sie verspürt nur diese Abscheu diesem Ding gegenüber. Doch gleichzeitig hat sie angst, dass er ihr etwas antun könnte. 

Als er fertig ist, nimmt er sie heraus und wickelt sie in Handtücher ein. Wieder wirft er sie über seine Schulter und nimmt sie mit in sein Zimmer. Er wirft sie aufs Bett, wie ein dreckiges Stück Abfall und fängt an, sich umzuziehen. Vor schreck dreht sie sich um, damit sie ihn nicht ansehen muss und hört ihn nur kichern. Sie hasst sein kichern.


In dieser Nacht ist er neben ihr gelegen und hielt sie fest. Sie hasste jede Sekunde davon, doch konnte nicht weg. Sie hasste seinen Herzschlag, sein Atmen und die Art, wie er sie anstarrte. Wie ein Experiment, das gerade erst begonnen hatte zu funktionieren. Sie wollte ihm die Augen ausstechen. Sie wollte weg von ihm. 

Schwarze RosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt