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Eine Portalreise ähnelt dem Fallschirmspringen. Man hat das Gefühl dass man fällt, Adrenalin schießt durch die Adern, die Organe in einem heben sich und die Augen fangen an zu tränen. Doch im Gegensatz zum Fallschirmspringen ist eine Portalreise zehn mal schlimmer. Man hat das Gefühl zu ersticken und auseinander gerissen zu werden. Man sieht Farben, die man noch nie gesehen hat. Farben die eigentlich gar nicht existieren sollten, doch in Portalen gibt es diese. 

Und sobald man am ende seiner Reise angekommen ist und aus dem Portal tritt, vergisst man alles. Die Schmerzen, die Angst, die Farben, einfach alles. Somit weiß Lydia, als sie am ende angekommen ist, erst einmal nicht mehr, wo sie ist und was geschehen ist. 

Verwundert sieht sie sich um. Die Gegend kommt ihr nicht bekannt vor. Bin ich noch in der Schattenwelt? Wo bin ich hier? Bin ich etwa... zu Hause?

Nein, ist sie nicht. Und als sie zur Seite blickt, ist ihre kurze aufwallende Hoffnung auch wieder zerstört. Der Mann von vorhin in weiß steht neben ihr und blickt sie nachdenklich an. Sie entscheidet ihn fürs erste zu ignorieren und statt dessen ihre Aufmerksamkeit der Welt um sie herum zu widmen. Vor schrecken fällt ihr beinahe sogar die Kinnlade herunter. 

Alles steckt voller Leben. Sie befinden sich in einem Wald. Einem blühenden Wald, voller Bäume, Sträucher, Blumen und Insekten. Schmetterlinge fliegen überall umher und die Blätter der Bäume werfen umwerfende Schatten auf den Waldboden. Das Moos ist dunkelgrün und in der Nähe plätschert ein kleiner Bach. Das zwitschern von Vögeln erfüllt den gesamten Wald und der Himmel ist dunkelblau mit einigen Wolken gefüllt. Alles sieht so... friedlich aus.

Bin ich etwa gestorben? Ist das der Himmel? Einen Typen mit weißen Flügeln hab ich ja schon neben mir stehen. 

"Was denkst du gerade", fragt der Mann Lydia leise.

Sie entscheidet sich einfach ehrlich zu antworten. Gerade hat sie nichts zu verlieren und die Chance, dass sie noch lange mit diesen Verletzungen überleben wird ist ziemlich gering. "Ich frage mich, ob ich gestorben bin und jetzt im Himmel bin."

Der Mann sieht sie lange komisch an und antwortet dann: "Ich weiß zwar nicht was er Himmel mit sterben zu tun hat aber ja. Wir sind über den Wolken."

Geschockt und jetzt mit offenem Mund starrt sie ihn ungläubig an: "Was? Wie können wir über dem Himmel sein? Da können doch gar keine Bäume wachsen?"

Er runzelt die Stirn und sagt: "Äh, doch. Natürlich geht das. Unterhalb der Wolken liegt das Reich der Schatten. Und hier über den Wolken sind wir."

Sie starrt ihn nur mit einer hochgezogenen Braue ungläubig an und fragt sich, ob er sich gerade über sie lustig macht und nur einen Witz macht.

Da fängt er an zu lächeln und zeigt dabei strahlend weiße, gerade Zähne. Warum ist der bitte so gutaussehend? Er sagt: "Du hast wirklich keine Ahnung, oder?" Lydia schüttelt nur mit dem Kopf und kommt sich leicht dämlich vor. Sie dachte sie wusste alles. Dachte sie hätte sowieso genügend in der Schule gelernt und hatte sich ein gutes Grundwissen angeeignet. Und dann passiert sowas hier. Eine Entführung von einem Schattenmenschen in eine Welt die sie nicht kennt und Verletzungen von denen sie nie zu träumen wagte. Das Leben steckt voller Überraschungen.

"Wir müssen gehen. Ich will heim. Kannst du gehen?", fragt er sie. Sie schüttelt den Kopf. Sie ist so hilflos wie eh und je. Also packt er sie sanft an den Schultern und hebt sie in die Höhe. Anstatt sie über seine Schulter zu werfen, hebt er sie hoch wie eine Braut und trägt sie auf diese weise, als wäre sie ein Schatz. Denkt der ich bin aus Glas? 

"Du musst noch eine Menge lernen. Ich glaube dir zwar noch nicht ganz, dass du ein Mensch bist, aber für den Fall der Fälle kann ich dir trotzdem etwas erzählen. Vor einigen Millionen von Jahren lebten angeblich Menschen hier in dieser Welt. Sie lebten mit meiner Art zusammen hier und gehorchen demselben König wie meine Art auch. Soweit ich weiß hat irgendjemand irgendeine Regel gebrochen. Irgendeine sehr wichtige und strenge Regel. Ich glaube diese Person ließ sich mit einem Schatten ein und als der König das erfuhr wurde er wütend. Er wollte nicht dass die Menschen mit meiner Art, oder den Schatten in Berührung kam. Sie sollten Selbstständig leben und somit wurden sie Verbannt. Zumindest sagt das die Legende. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen in meinen gesamten 200 Lebensjahren und-"

Geschockt unterbricht sie ihn: "200? Meinst du das ernst? Stirbst du nie?!"

Er lächelt wieder und sagt: "Doch. Aber wir altern sehr sehr langsam. Jedenfalls stammt meine Art von den Menschen ab. Denn ein Mensch der das 18. Lebensjahr erreichte, war reif für die Prüfung. Dort wurde getestet wohin sie gehören. Zu den Schatten und der Dunkelheit, oder zu den Kindern der Sonne und dem Licht. Ich denke man aß eine gewisse Beere und wurde danach unsterblich. So steht es zumindest geschrieben."

Also stimmen die Geschichten von meinen Leuten und seinen Leuten teilweise überein? Sind das die Kreaturen die wir irgendwie immer Engel nennen? Soll das hier dann der Himmel sein? 

Ihre Miene wird ernst, während sie ihre Schmerzen langsam zu vergessen scheint. So viele Fragen laufen ihr durch den Kopf. Fragen, die jetzt noch nicht beantwortet werden können. Außer eine: "Kann ich eigentlich wieder gesund werden? Gibt... gibt es eine Möglichkeit dass ich wieder so wie früher werde?" Kann ich gesund genug werden um meine Finger um den Hals meines Peinigers zu wickeln und ihn zu erwürgen? Fügt sie im Stillen hinzu.

Er überlegt kurz und antwortet dann: "Naja. Falls die Legenden stimmen, dann könntest du diese Beere finden. Sie würde dich heilen und zu einem von uns machen. Schatten oder Licht weiß aber keiner."

"Wirst du mir helfen?"

"Ich kenne dich gar nicht, Menschenkind."

"Ich heiße Lydia. Lydia Thompson." 

"Dante. Dante Kratos", sagt er mit einem Lächeln, "Deiner ist kein Name, der hier normalerweise vergeben wird."

Bevor sie aber etwas darauf erwider kann, bleibt er stehen und sagt: "Wir sind da. Das ist mein zu Hause."

Und als sie die Klipper hinunter sieht, bleibt ihr die Luft im Hals stecken. Sie hat noch nie in ihrem Leben so ein großes Schloss mit so einem gigantischen Garten gesehen.

Schwarze RosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt