Wie oft dachte ich schon, ich wäre sicher, nur um dann das Gegenteil festzustellen?
Ich dachte, ich wäre im Jahr 1864 im Hause meines Vaters sicher, bis er meine Brüder erschoss und wir zu Vampire wurden.
Ich dachte, ich wäre im Jahr 1887 in New Orleans sicher, bis ich durch die Manipulation einer rachsüchtigen Hexe einen Fehler beging und alles Vertrauen in tödliche Wut umwandelte.
Ich dachte, ich wäre in dem Moment sicher, als ich im Jahr 2015 dem Mikaelsonhaus den Rücken kehrte, um mein Leben als Mensch fortzuführen.
Wie unglaublich naiv ich war. Auch nur eine Sekunde glauben zu können, dass es beim dritten Mal ein Happy End für mich geben könne. Ich dachte, ich tue Livia etwas Gutes damit, ihr meine Tagebücher zu geben, aber ich habe alles noch schlimmer gemacht. Denn Livia ist nun einmal ein pflichtbewusster Mensch, der die Freundschaft als eines der höchsten Güter betrachtet. Damit geht natürlich auch Törichtkeit einher.Nachdem Livia mit ihrer Erzählung geendet hat, tritt Stille in das Hotelzimmer ein. Mein Blick ruht auf einer Leinwand, die halb aus meinem Koffer ragt. Sie zeigt den Sonnenaufgang New Orleans', doch ich nehme die sanften Farbübergänge nicht richtig wahr. Meine Gedanken kreisen in meinem Kopf umher, untersuchen jedes Detail, in der Hoffnung, dass sich vielleicht doch nicht die ganze Welt gegen uns verschworen hat.
Die Hexen Irlands und New Orleans verbindet ein Faden, der bis jetzt so dünn gewesen ist, dass wir ihn nicht bemerkt haben. Wie das Garn einer Spinne hat er die beiden Zirkeln, den des Lichts und den des Feuers, vernetzt, und zwar durch Blutsbande. Wie es die Natur eines Spinnennetzes ist, sieht man das Netz zwar, aber die Spinne zu spät.
Elijah bricht schließlich das Schweigen mit einem Satz, der sich mir erst nach mehreren Sekunden erschließt. "Wir sollten die Party beenden."
Klaus, der ungewöhnlich lange geschwiegen hat, reißt seinen Blick von Livia los, wobei sich seine mörderischen Züge glätten und er seinen Bruder mit einem beinahe liebenswürdigen Ausdruck ansieht. "Dazu besteht kein Grund. Ganz im Gegenteil, wir sollten sie noch vergrößern. Liebes, hast du nicht zufällig Lust, einen Showmagier zu organisieren?" Dabei ruht sein Blick nicht auf mir, sondern abermals auf meiner Freundin.
Livia schaut ihn fragend an. Bevor sie irgendetwas sagen kann, das ihn unabsichtlich provozieren könnte, greife ich ein. "Livia kann nichts dafür. Du solltest ihr dankbar sein. Ohne sie hättet ihr nie erfahren, dass die du feus mit dem Lichtzirkel zusammenarbeiten."
"Niemals?" Klaus zieht eine Augenbraue hoch. "Du meinst, bis wir Kol befreit hätten."
"Schluss. Ihr beide." Elijah hat sich erhoben und wirft sowohl Klaus, als auch mir einen scharfen Blick zu. "Deine Freundin weiß erst seit wenigen Stunden, dass es unsere Welt gibt, und was sie am wenigsten gebrauchen kann, um sie zu verstehen, sind eure Streitereien."
Ich senke kurz zustimmend den Kopf und öffne den Mund, um mit Livia zu reden, doch Niklaus ist noch nicht fertig. "Bruder, wir können sie nicht ungestraft davon kommen lassen." Seine Augen scheinen regelrecht Funken zu sprühen. Er verzieht das Gesicht zu einer Grimasse und beginnt, unruhig im Raum umherzulaufen. "Weil Chloe der Ansicht war, das Menschenmädchen in unsere Geheimnisse einweihen zu müssen, weilt nun das Behältnis von Mutters zukünftiger Magie unter uns und wir sind unfähig, etwas dagegen zu unternehmen!" Anscheinend um den letzten Teil des Satzes zusätzlich zu betonen, greift er nach dem Erstbesten, das ihm in die Hand kommt - eine Nachttischlampe - und schleundert es mit voller Wucht gegen die Wand, sodass der gläserne Korpus in unzählige Scherben zerbirst.
Livia und ich zucken bei dem Geräusch zusammen, und Elijah sieht mit einem wehleidigen Ausdruck zu uns hinüber. Wir sitzen auf meinem Bett, das schon abgezogen ist und bereit für unsere Abreise. Sie hat die Hände in ihrem Schoß gefaltet und das Gesicht gesenkt, aber ich registriere trotzdem die Tränenspur, die durch das Deckenlicht leicht reflektiert wird. Unbeachtet Klaus' Wut, lege ich einen Arm um sie und ziehe sie leicht zu mir. Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte, um zu ihrer Beruhigung beizutragen, denn Klaus spricht die Wahrheit: Wir sind machtlos.
Nachdem Livia meine Tagebücher gelesen hat, war ihre erste Handlung nicht, zu Elijah zu gehen, wie ich sie gebeten habe, nein, sie suchte den Zirkel auf, der mir den Menstuationszauber aufgelegt hatte, durch die Märchen von unsterblichen Hexen in der Annahme, dass Genevieve noch lebe, um sie völlig entrüstet zur Rede zu stellen. Als ich das hörte, war ich zuerst gerührt, bis sie weitererzählte und die Auswirkung dieses Besuchs unsere Freundschaft, die tiefer geht, als ich annahm, überschattete: So unwahrscheinlich dieser Zufall auch klingen mag - die Nachfahren von Genevieves Zirkel sind dieselben, die vor kurzem noch Zoey, mittlerweile Kol gefangen halten. Livia hat ihn ohne Bewacher vorgefunden, und Kol hat sich anscheinend irgendetwas zusammengereimt, denn er wies sie an, Genevieves Grimoire seinen Brüdern zu bringen, damit diese von dem Vorhaben der Hexen erfahren. Doch als Livia das Buch berührt hat, ist ein Zauber auf sie übergegangen, eine Art Alarmanlage, die nachweislich auf Hexen und Vampire nicht reagiert.
"Und warum hast du ihn nicht befreit, damit er uns selbst das Buch bringt? Der Bindungszauber wäre erst gar nicht aktiviert worden!", hat Niklaus sie wütend angefahren, als sie uns Kols Worte über die Wirkung des Zaubers offenbart hat.
"Ich konnte nicht!", erwiderte sie mit einer hilflosen Geste. "Ich wollte ja, aber er hat gesagt, dass ich es niemals schaffen werde, die Fesseln zu lösen. Außerdem wusste er nichts von dem Zauber."
Nik - nein Klaus. Klaus. Ich kann ihn nur loslassen, wenn ich mich von ihm distanziere. Und das fängt am besten schon in den Gedanken an.
Klaus hat irgendetwas Unverständliches gemurmelt und Livia fortfahren lassen. Die Hexen mussten mit ihrem Besuch, oder mit dem eines Menschen, gerechnet haben, anders kann ich mir den Bannungszauber auf dem Grimoire nicht erklären. Niklaus war bekannt, dass die Anführerin des Lichtzirkels, Lumia, und die des Zirkels du feu Schwestern sind, aber in diese Tatsache nicht viel hineininterpretiert. Nun. Mitterweile wissen wir, dass diese Schwestern das gleiche Ziel verfolgen: Esther wieder auferstehen zu lassen und sie durch meinen Ring, der nun in ihrem Besitz ist, unverwundbar zu machen. Wirklich unverwundbar. Weder Zauber, noch Angriffe können sie töten. Noch dazu wird sie über zusätzliche Magie verfügen, die um einiges mächtiger als ihre ursprüngliche ist: Schwarze Magie, die nun im Körper meiner Freundin steckt. Sobald Esther in die Welt der Lebenden zurückkehrt, wird sie sich ihrer bedienen können, und wir können nichts dagegen tun: Livia ist ebenso unverwundbar wie die Urhexe es bald sein wird, was Niklaus in dem Augenblick, als Elijah mit Livia bei ihm auftauchte, herausgefunden hat.
Das alles wäre ziemlich entmutigend, wenn wir nicht noch einen Hoffnungsschimmer hätten: Die Party im Mikaelsonanwesen. Die übrigen Hexenzirkel dürfen nicht zu den du feus überlaufen, sobald sie von der Sache mit Esther Wind bekommen, sonst fällt die Anzahl der Verbündeten auf der Seite der Mikaelsons ziemlich rar aus.
Elijah nähert sich Niklaus vorsichtig und legt ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. Es ist kein Flüstern, das seinen Lippen entweicht, aber dennoch sind die Worte, die er an seinen Bruder richtet, so leise, dass es mir unmöglich ist, sie zu verstehen. Sie scheinen ihre Wirkung jedoch nicht zu verfehlen: Klaus strafft seine Schultern, und mit einem letzten düsteren Blick in meine Richtung, verlässt er binnen einer Sekunde das Hotelzimmer.
Elijah streckt Livia eine Hand aus, die sie zu meinem Erstaunen sofort ergreift, und zieht sie an sich. Tröstend täschtelt er ihr den Rücken, und erscheint in diesem Moment so perfekt in seiner Tätigkeit, als hätte er nie etwas anderes getan. Sein Vorgehen erweist sich jedenfalls viel effektiver als meine halbherzige Umarmung: Nach einer Weile löst sie sich wieder von ihm, wischt sich die übrigen Tränen ab und lächelt ihn dankbar an.
"Kommst du, Chloe?", fragt Elijah und bewegt sich aus der Tür heraus, gefolgt von Livia. Ich bin von der Szene, die sich mir gerade geboten hat, so überrumpelt, dass ich mich vom Bett erhebe und ihnen ohne Widerstand nachgehe. Noch auf der belebten Haupstraße vor dem Hotel quält mich der Gedanke an die wartenden Koffer einige Stockwerke höher, doch mir bleibt nichts anderes übrig, als mich von ihnen abzuwenden und die Fortsetzung meines Neuanfanges eine Weile hinauszuzögern. Meine beste Freundin ist jetzt betroffen, und die einzige Möglichkeit, das zu ändern, ist, sich in die Dinge einzumischen.
Was wahrscheinlich das Dümmste ist, was ich machen kann.Ich hoffe, ihr hattet / habt immer noch schöne Weihnachtstage!
-Eileen
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Sacrificium
FanfictionFortsetzung zu "Desiderium": Der Lichtzirkel steht kurz vor einem Ritual, das Esther wiederauferstehen lässt. In New Orleans sorgen die Hexen der du feus für Unruhe. Und Klaus versteckt ein Mädchen, von dem er behauptet, es sei seine Tochter - und...