Kapitel 14: Schuldige Lippen

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Der Tag vergeht schnell. Kurz nachdem Davina die Bibliothek wieder abgesperrt hat und wir runter gegangen sind, kehren auch schon Hope und Klaus aus dem Garten zurück. Wir Erwachsenen müssen uns auf das Sofa im Wohnzimmer setzen, während Hope uns ihre Zaubertricks aufführt. Wobei ihre Bezeichnung dafür eigentlich falsch ist; es ist schließlich echte Magie, was sie da praktiziert. Und mächtige noch dazu.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand Hope auch nur ein Haar krümmen will. Sie ist höflich, voller Fröhlichkeit und anmutig wie eine Fee. Dhalia darf sie nicht bekommen, niemals.
"Du hast eine wundervolle Tochter", gebe ich Nik gegenüber zu, als wir am Abend im Auto sitzen.
"Ach ja?" Er wirft mir einen Blick zu. Ein verschmitztes Lächeln liegt in seinem Mundwinkel versteckt.
"Ja. Wirklich, es erstaunt mich, dass du das geschafft hast."
Klaus zuckt mit den Schultern. "In jedem ruhen versteckte Talente." Mit diesen Worten lässt er den Motor an.
Ich schüttle den Kopf, als er aus der Einfahrt fährt. Wie kann jemand, der so egoistisch, so grausam ist, ein so liebes Wesen hervor bringen? Verhält sich das so wie in der Mathematik und Minus Mal Minus ergibt Plus? Ist das die richtige Antwort?
Ich drehe meinen Kopf, sodass ich sein Gesicht von der Seite sehe. Das goldene Licht der Abendsonne lässt seine Augen Grün schimmern. Ich habe diese Farbe bei ihm geliebt. Ich liebe sie immer noch.
Instinktiv beuge ich mich vor und berühre mit meinen Lippen seine Wange. Sie ist warm und fühlt sich rau an.
Schnell zucke ich zurück. Was habe ich da gerade getan? Bin ich denn des Wahnsinns? Was ist da gerade durch meinen Kopf gegangen.
Klaus fährt einfach weiter, er blinzelt nicht einmal. Ist das gerade wirklich passiert?
Aber dann fährt er auf die Seitenlinie. Der Wagen kommt zum Stehen. Ich halte den Atem an. Langsam dreht er sich zu mir um. Seine Miene ist verschlossen, ich kann aus ihr kein Gefühl heraus lesen.
"Also, rede."
Blinzelnd starre ich Klaus an. "Ich soll reden?", frage ich verwirrt.
"Du sollst reden. Wir müssen das zwischen uns klären." Mit einem grimmigen Zug um den Mund zeigt er erst auf mich, dann auf sich.
"Ähm..." Ich kann mir nur vorstellen, wie ich auf ihn wirken muss. Wie eine total Verrückte. Ich zwinge mich, tief durchzuatmen. Das bin nicht ich. Was ist mit mir los? "Was willst du denn, was ich sage?"
Nik atmet laut aus und lehnt sich in seinem Sitz zurück. Gedankenverloren blickt er aus der Frontscheibe. Ich wünschte, ich hätte Pinsel und Farbe bei mir, um dieses Bild festzuhalten. Wie sich die Sonnenstrahlen auf seiner Haut brechen...
"Chloe, empfindest du etwas für mich?"
Ich atme tief ein und schweige. Klaus sieht mich unverwandt an, mit dieseb unverwechselbaren grün-blauen Augen. Unwillkürlich kommen mir all die Momente ins Gedächtnis zurück, in denen er neben mir in einem riesigen Federbett lag, zu einer Zeit, in der Frauen noch Kleider trugen und Männer die einzigen Berufstätigen waren.
Ja, ich empfinde etwas für ihn. Die Frage ist nur... Sind das nur Restgefühle, die von unserer Liebe übrig sind, oder ist das eine neue Liebe, die der Niklaus des 21. Jahrhunderts geweckt hat?
Ich weiß es nicht. Aber eins weiß ich: Ich habe mir geschworen, nie wieder auf jemanden wie Klaus hereinzufallen. Ihn zu lieben, war ein gefährliches Spiel.
Deshalb rutsche ich auf meinem Sitz näher ans Fenster, von ihm weg. Entschlossen schüttle ich den Kopf.
"Nein."
Auf sein Gesicht fällt ein Schatten, den ich nicht deuten will. Er greift nach dem Schaltknüppel, um wieder loszufahren - und verharrt mitten in der Bewegung.
Ehe ich reagieren kann, hat er sich in Vampirgeschwindigkeit vorgebeugt und meinen Nacken umfasst.
Heiß fällt sein Atem auf meine Lippen, als er mich küsst. Instinktiv schließe ich die Augen. Gierig nehme ich den Kuss auf. Es ist schon viel zu lange her.
Mit einem Seufzen ziehe ich ihn näher zu mir her und erwidere den Kuss. Ich weiß, dass dieser Akt meine vorherige Antwort auf seine Frage ziemlich entkräftigt, aber ich kann nicht anders. Es ist, als wäre ich nur die Hälfte meiner selbst und er würde micj vervollständigen.
Schwer atmend lösen wir uns voneinander und starren uns an. Seine Augen sind dunkel vor Leidenschaft, sein Blick fixiert meine Lippen. Sie fühlen sich erwärmt an, genau wie meine Wangen. Nik sieht keine Spur besser aus.
Ich kann nicht fassen, wie oft ich diesen Vampir nun schon geküsst habe, obwohl ich mir jedes Mal verbiete, etwas für ihn zu empfinden. Das mit uns würde nie klappen.
"Wirklich?", fragt er leise und schaltet in den ersten Gang. "Sicher, dass du nichts empfindest?"
Langsam nicke ich, während ich mich bemühe, wieder nach vorne durch die Frontscheibe zu schauen. Mit einem Summen spingt der Motor an und das Auto setzt sich in Bewegung.
"Ich will nichts für dich empfinden", gebe ich zurück und schweige für den Rest der Fahrt.

SacrificiumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt