Kapitel 7: Hope

1.4K 82 3
                                    

Hope lebte nahe des Sees Maurepas im Norden von New Orleans. Klaus erzählte mir während der Fahrt, dass sie dort von einer Hexe namens Davina gehütet wurde. Sie brachte ihr auch bei, mit Magie umzugehen, damit so ein Unfall wie der, bei dem Hayley umgekommen ist, nicht ein zweites Mal passieren konnte.
"Und das ist der einzige Grund, warum du sie in dieser Wildnis versteckst?", frage ich, als wir schon fast da sind.
"Der einzige", bekräftigt Klaus. Aber an der Art, wie er starr gerade aus blickt, erkenne ich, dass er lügt.
Doch ich lasse die Sache auf sich beruhen. Irgendwann werde ich den wahren Grund schon herausfinden. "Wie soll ich mich bei ihr verhalten?", hake ich weiter nach. Obwohl ich es mir nicht anmerken lasse, bin ich unglaublich aufgeregt. Heute morgen bin ich noch früher als sonst aufgestanden und habe mit Bedacht mein Outfit ausgesucht. Ich weiß nicht, ob und wie viel Klaus seiner Tochter von mir erzählt hat. Wenn sie von unserer gemeinsamen Vergangenheit weiß, will ich nicht wie eine durchgedrehte Kindermörderin erscheinen.
Klaus schmunzelt. "Sei so wie du bist. Ich habe ihr nur erzählt, dass eine Bekannte zu Besuch kommt."
Erleichtert atme ich auf. Hope weiß also nichts. Dass ich nur eine Bekannte bin...das schmerzt allerdings schon ein wenig.
Wir steigen vor einem Holzhaus mitten im Wald aus. Hier ist es angenehm warm und nicht so stickig wie in New Orleans. Die Sonnenstrahlen dringen ungehindert durch die Baumkronen und tauchen die Wiese in ein munteres Licht. Das Haus ist einstöckig und ziemlich groß. Es wirkt nahezu luxuriös. Neben der Garage, unter der ein verstaubtes Auto steht, ist ein Stall, doch wie es ausschaut, hat er schon lange keine Pferde mehr beherbergt.
Die Haustür öffnet sich und eine junge Frah tritt in den Sonnenschein. Sie ist außergewöhnlich schön. Braune Haare umrahmen ein glattes Gesicht mit vollen Lippen und großen Augen. Mit einem Lächeln kommt sie auf mich zu.
"Willkommen im Unterschlupf", begrüßt sie mich. "Ich bin Davina, und du musst Chloe sein."
Ich nicke. "Schön, dich kennenzulernen."
"Hope ist hinten im Garten. Ich gehe sie schnell holen, wir treffen uns im Wohnzimmer." Sie zeigt auf Klaus. "Mit dir habe ich etwas zu bereden."
"Ich kann sie auch holen", beeile ich mich zu sagen. "Geht ihr schon mal rein."
Sobald Davina und Klaus im Haus verschwunden sind, umrunde ich es und betrete den Garten. Ich bin neugierig, wie Klaus' Tochter ist. Ist sie brutal und rachsüchtig wie ihr Vater? Oder so wie ihre Mutter, wie auch immer sie war. Diese Frage beschäftigt mich, weil ich an meine eigene Tochter Freya zurückdenken muss. Wenn ich sie nicht getötet hätte, wenn ich nicht von Genevieve hinters Licht geführt worden wäre, würde Freya heute vielleicht leben. Wie wäre sie? Ich komme nicht umhin, zu hoffen, diese Antwort bei Hope zu finden.
"Hey, willst du einen Zaubertrick sehen?"
Ich drehe mich um und sehe ein kleines Kind, das gerade aus einem Rosengarten kommt. In seinem Haar steckt eine dieser roten Blumen und lässt es beinahe farblos erscheinen. Eine helle Strähne fällt ihr über die grün-blauen Augen. Die Augen ihres Vaters.
Grinsend knie ich mich vor sie hin, um auf einer Augenhöhe zu sein. "Sicher will ich das. Du bist Hope, stimmts?"
Das Mädchen nickt. "Und du bist die Bekannte, die uns heute besuchen kommt."
Ich mache eine schweifende Geste. "Tada! Und hier bin ich."
Das entlockt Hope ein Lächeln. Sie mustert mich von oben bis unten und fragt schließlich: "Und willst du jetzt meinen Zaubertrick sehen?"
"Na klar. Leg los."
Mit einem breiten Grinsen schließt Hope die Augen und legt ihre Handflächen aneinander. Amüsiert betrachte ich das Schauspiel. Ich hatte so einiges erwartet, aber nicht, dass sich Klaus' Tochter mit Zaubertricks die Zeit vetrieb.
Ich frage mich schon, ob irgendetwas passieren sollte, als Hope die Augen wieder öffnet und ihre Hände langsam zu einer Schale formt. Wie aus dem Nichts erblüht dort eine weiße Rose.
Ich bin so erstaunt, dass ich im ersten Moment kein Wort raus bringe. Mein Blick fällt ein zweites Mal auf das Mädchen. Man sieht es ihr nicht an; weder hat sie alte Bänder im Haar oder trägt seltsame Kleider, noch sind ihre Augen dramatisch geschminkt. Dennoch ist sie eine Hexe, daran habe ich keinen Zweifel.
Heißt das, Freya war auch eine Hexe? Oder hat das einen anderen Grund? Warum ist Hope eine Hexe, wo doch keines ihrer Elternteile Hexenblut in sich trägt?
Da fällt es mir wieder ein. Klaus wäre, wenn er kein Vampir geworden wäre, ein Hexer geworden.
Hope verzieht den Mund. "Gefällt er dir nicht? Ich kann auch noch andere." Sie schnippt einmal mit den Fingern und die Rose in ihrer Hand ist verschwunden. Stattdessen spüre ich sie in meinen Haaren.
Ich schüttle den Kopf, um mich aus meinen Gedanken zu reißen. Wie es sich für einen Erwachsenen gehört, wenn das Kind etwas vorführt, klatsche ich. "Das war hervorragend", lobe ich sie. "Ich wette, das hast du lange geübt."
Eine Röte schleicht sich auf ihre Wangen. Verlegen senkt sie den Blick. "Eine Weile. Davina hat es mir gezeigt."
"Wollen wir ins Haus gehen? Dort sind Davina und dein Vater. Du kannst Hallo sagen." Ich will ihre Hand nehmen, als sich ihr Gesicht bei der Erwähnung ihres Vaters aufhellt. Aber da ist sie schon aufgesprungen und losgerannt. Für eine Dreijährige ist sie verdammt schnell. Ich muss laufen, um sie einzuholen.
Erst bei den Stufen, die zur Veranda führen, fällt mir eine Kette auf, die beim Rennen aus ihrem Ausschnitt gerutscht ist. Meine Eisenkrautkette. Klaus hat sie gar nicht gegen den Ring getauscht, wir er mir weismachen wollte. Er hat sie seiner Tochter zum Schutz gegeben. Aber Schutz wovor?

SacrificiumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt