Kapitel 5: Gerettet

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Ein Rumpeln reißt mich aus meinen Gedanken. Rebekahs Stimme schallt durchs Haus: "Hallo, kommt mal einer her, wir brauchen Hilfe!"  
Ich springe vom Klavierhocker und haste durch den Flur. Livia und Zoey folgen mir. In der Halle treffen wir auf Klaus und Elijah, die eine blutende und schmutzige Gestalt zwischen sich her ziehen. Ich halte mir eine Hand vor den Mund und trete vorsichtig näher, unschlüssig was ich machen soll. Zoey jedoch zögert nicht und schiebt sich an mir vorbei.
"Kol?" Sie kniet sich vor ihm auf den Boden und hält sein Kinn hoch. Als er nicht reagiert, wendet sie sich dem Rest seines Körpers zu. Was sie sieht, lässt sie scharf einatmen. "Seine Wunden heilen nicht", stellt sie fest.
"Eisenkraut", sagt Elijah zwischen zusammengebissenen Zähnen. Auch er ist verwundet. Eine Platzwunde zeichnet sich auf seiner Stirn ab, aber sie sieht so aus, als würde sie langsam verheilen. Klaus scheint der einzige zu sein, der frei ist von Blut. 
Pardon, bei genauerem Hinsehen muss ich mich korrigieren. Er ist frei von Wunden. Blut hat er jede Menge an sich kleben, doch ich bezweifle, dass es von ihm stammt. 
"Hier, Livia, halt das kurz." Rebekah ist aus der Küche zurückgekehrt und drückt meiner Freundin eine Wasserschale und eines von zwei Tüchern in die Hand. Das andere taucht sie in das Wasser, wringt es aus und betupft Kols Stirn. Zoey schüttelt den Kopf. "Das hat keinen Sinn, wenn wir das hier machen, Bekah. Wir müssen ihn hinlegen, damit die Blutungen stoppen."
Schneller, als es mein menschliches Auge erfassen kann, haben die beiden Klaus und Elijah um ihre Last erleichtert und sind die Treppen hoch verschwunden. Elijah seufzt. "Ich hatte gehofft, dass wir das auch ohne Blutvergießen regeln können."
Klaus macht eine wegwerfende Handbewegung. "Das habe ich schon oft aus deinem Munde gehört, Bruder. Zu oft, als dass ich mitzählen könnte."
Elijah setzt ein gezwungenes Lächeln auf. "Nun, ich wüsste einen Weg, wie ich das weniger sagen müsste."
Dafür hat Klaus nur ein Schnauben übrig und verschwindet ebenfalls im ersten Stock. Unschlüssig stehen wir zu dritt in der Halle, die nun gespenstisch leer wirkt. Auf dem Boden klebt noch eine Blutspur. Livia räuspert sich und wird rot. "Ähm ... Also, ich hätte hier Wasser und äh... ein Tuch", stottert sie und sieht Elijah an. "Also, wenn du willst ... wegen deiner Stirn ... du weißt schon, soll ich", sie atmet einmal tief durch. "Soll ich dir die Wunde auswaschen?" 
Elijah wirft ihr einen überraschten, dennoch höflichen Blick zu. Mir ist es unbegreiflich, wie er das gleichzeitig bewerkstelligen kann, ohne wie ein schielendes Murmeltier zu gucken. Livia wird noch eine Nuance röter und fängt wieder an, zu stottern. "Ähm, ich meine, natürlich nur wenn du willst. Du kannst es auch selbst machen."
Er lächelt ruhig. "Es wäre mir eine Freude, wenn du meine Wunde auswaschen würdest."
"Okay." Hilfesuchend blickt Livia zu mir. Was erwartet sie? Soll ich ihre Hand nehmen und ihr zeigen, wie sie Elijahs Stirn betupfen muss? Ganz sicher nicht. Ich spiele doch nicht die Anstandsdame. 
"Wollen wir uns vielleicht ins Wohnzimmer setzen?", hilft Elijah nach, der Livias Unsicherheit bemerkt haben muss. Livia nickt und folgt ihm mit gesenktem Kopf. 
Während ich die Treppen nach oben steige, frage ich mich, ob man die Aktion der zwei als Date bezeichnen kann. Bestimmt war ein Arztspiel nicht genau das, was sich jemand unter einem Date vorstellt, egal wie anstößig das auch klingen mag. Aber theoretisch konnte man ein Treffen als ein Date bezeichnen, wenn diese zwei Personen alleine in einem Raum waren und zumindest eine von ihnen ganz offensichtlich romantisches Interesse zeigte. Ich nehme mir fest vor, Livia heute Abend davor zu warnen, eine Beziehung mit einem Vampir einzugehen, besonders einem Urvampir. 
Eigentlich will ich in Kols Schlafzimmer gehen, aber als ich Rebekah vor der Tür stehen sehe, bleibe ich ebenfalls davor stehen. Sie ist nur halb angelehnt, sodass man geraunte Stimmen verstehen kann. Bekah legt einen Finger auf ihre Lippen und bedeutet mir, leise zu sein. Neugierig beuge ich mich mit meinem Ohr näher zur Tür, das im Gegensatz zum Rest der Anwesenden über kein übermenschliches Gehör verfügt, und belausche die Unterhaltung. 
"-weiß, ich habe einen Fehler gemacht..." Das ist Kol. Seine Stimme klingt rau, noch rauer, als sie es ohnehin schon ist. Als hätte jemand mit Schleifpapier seinen Stimmbändern ordentlich zugesetzt. Es scheint, als würde er noch halb in der Traumwelt schweben, denn er wird immer leiser und bricht schließlich ab.
Eine Weile hört man nichts mehr, nur, wie Wasser in eine Schale tropft. Zoey muss noch eine zweite Schüssel von unten geholt haben. Schließlich höre ich meine ehemals beste Freundin seufzen. "wir haben schon darüber gesprochen, Kol. Und nur weil ein paar Jahre vergangen sind, heißt das nicht, dass ich dir verzeihe."
Kol lacht leise. "Ein paar Jahre? Zoey, es sind 128 Jahre vergangen, seit wir Schluss gemacht haben."
"Du meinst wohl, seit ich Schluss gemacht habe. Für dich mögen es 128 Jahre gewesen sein, aber ich ..." Sie bricht ab. Sie muss nicht zu Ende sprechen, damit Kol - oder ich - verstehe, was sie meint. Sie war das Meiste dieser Jahre in einer Art Trance gefangen, bei der die Hexen ihr etwas von der schwarzen Magie abgezapft haben, die in ihr steckt. 
"Ich habe das wegen dir gemacht, Zoey", raunt Kol, so leise, dass ich mich nicht traue, zu atmen, aus Angst, ein Wort zu verpassen. "Wegen dir bin ich zu den Hexen gegangen, wegen dir habe ich mich gefangen nehmen lassen."
Zoey lacht spöttisch, aber ich höre auch etwas anderes daraus hervor. "Das ist mal wieder typisch für euch Mikaelsons. Natürlich passiert nichts, ohne dass es euren festen Absichten entspricht. Weißt du eigentlich, dass - "
Abrupt schrecke ich von der Tür zurück. Rebekah sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Mir wird plötzlich bewusst, dass ich einen Streit von meiner besten Freundin und ihrem Ex-Freund mit anhöre. Das ist Privatsache. Niemand würde da gerne belauscht werden wollen. 
Ich schleiche mich auf Zehenspitzen von der Tür weg und will wieder die Treppe runtergehen. Da sehe ich Licht unter einer Tür am anderen Ende des Ganges. Ich weiß, was für eine Tür da ist. Ich war früher oft im Raum dahinter. Und vor Kurzem bin ich da auch eingebrochen. Ich hole tief Luft. Ehe ich es mir versehe, habe ich die Tür aufgestoßen und stehe in Klaus'Atelier. 
Mein Blick fällt sofort auf die Leinwand, die in der Mitte des Raums steht. Momentan arbeitet er nicht daran, aber man kann sehen, dass es noch nicht fertig ist. Ein Mädchen ist darauf zu sehen, mit hellen, blonden Haaren und einem so breiten Lächeln, dass sich Grübchen in seine Wangen gegraben haben. Sie scheint nicht älter als drei zu sein. Klaus'Tochter.
Sein verärgertes Gesicht taucht in meinem Blickfeld auf und verhindert, dass ich es weiter untersuchen kann. Er hat einen Farbspritzer auf dem Kinn. Beim Hereinkommen habe ich ihn nicht bemerkt; wahrscheinlich hat er in der Ecke hinter der Tür rumort. Dort stehen seine ganzen Farben und Paletten zum Mischen. 
Er zieht eine Augenbraue hoch und folgt meinem Blick. Ohne es zu merken, habe ich mich auf die Zehenspitzen gestellt und versuche, über seine Schulter zu schauen. Natürlich ohne  es zu merken. Ist doch klar.

SacrificiumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt