Kapitel 6: Sie

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Klaus grinst überheblich, wie immer, wenn er irgendetwas zu überspielen versucht. "Ich habe dir doch gesagt, dass du sie früher oder später kennen lernen wirst."
Richtig. Im Flieger von Schottland wieder hierher nach New Orleans hatte er mich damit genervt. Ich kann immer noch nicht glauben, dass er wirklich eine Tochter haben soll. Eine zweite Tochter. Bei dem Gedanken daran tun sich gemischte Gefühle in mir auf. 
Klaus tritt einen Schritt auf mich zu, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als zurück zu weichen. Doch da durchschaue ich seinen Plan: Er will mich aus dem Atelier haben. Als er einen erneuten Schritt macht, husche ich unter seinem Arm in den Raum und stelle mich vor das Bild. Von hier wird er mich nur noch mit Gewalt bekommen.
"Wie heißt sie?", frage ich. Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, aber sein Kind ist süß. Mit ihrem Lächeln hat sie bestimmt schon hunderte Verkäufer verzaubert, die ihr dann noch einen Extra-Keks zugesteckt haben. 
"Hope", antwortet er knapp. Weil ich seinen Tonfall nicht deuten kann, werfe ich einen Blick über die Schulter. Ich kann nicht glauben, was ich da sehe. In Klaus'Blick schwingt einmal nichts Selbstsicheres mit, nichts Überhebliches. Es ist ein sanfter, liebevoller Ausdruck, mit dem er das Bild seiner Tochter betrachtet. Ich bilde mir auch ein, einen Funken Angst zu sehen. Wahrscheinlich würde ich auch Angst haben, wenn ich an seiner Stelle wäre. Da stehe ich mit meinem Exfreund in einem Zimmer und betrachte das Gemälde meiner Tochter. Wichtig ist auch noch zu erwähnen, dass besagter Exfreund meine erste Tochter getötet hat.
Nein. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich verstehe nicht, was mit mir los ist. So lange nun konnte ich problemlos über Freya nachdenken, ohne dass ich Trauer, oder gar Schuld gefühlt habe. Aber meine Rückkehr nach New Orleans ist, als wäre eine längst verheilte Wunde aufgerissen. Und nun Hope zu sehen, macht es nur noch schlimmer: Die Wunde eitert.
Ich schlucke und sage das einzig Vernünftige, was mir einfällt. Also etwas ganz und gar nicht Vernünftiges. "Du siehst besorgt aus."
Sein Kopf zuckt nach oben und er sieht mich wütend an. "Natürlich bin ich besorgt." Dann scheint er sich wieder zu besinnen und stellt sich neben mich. Eine Hand legt er auf die getrocknete Farbe, als würde er seine Tochter berühren wollen. "Vor ihrer Geburt waren wir besorgt, was sie wird. Wird sie auch ein Hybrid? Ein Vampir? Ein Werwolf? Vielleicht sogar eine ganz normale Sterbliche?"
Da er nichts hinzufügt, hake ich nach. "Und jetzt wisst ihr es?"
Er lächelt bitter. "Sonst wäre ihre Mutter kaum gestorben. Hope ist eine Hexe, eine mächtige noch dazu. Sie hat ihre Magie noch nicht richtig unter Kontrolle. Ab und zu verursacht sie ... Magieexplosionen. Bei einer ist Hayley mitsamt der Hälfte ihres Rudels umgekommen."
Einen Moment schweige ich bedrückt. "Das mit Hayley tut mir leid", versuche ich ihn zu trösten. Er wirkt unglücklich. "Du musst sie wirklich geliebt haben." Das zu sagen, versetzt meinem Herzen einen Stich, aber es ist nichts, was ich nicht aushalten kann.
Klaus wendet sich mir mit gerunzelter Stirn zu. "Geliebt? Nein, Hayley war eher Elijahs Typ." 
"Oh." Auch diese Tatsache gebe ich nicht gern zu: Mir fällt ein Stein vom Herzen.
"Willst du sie ... mal treffen?"
Für einen Augenblick bin ich so verwirrt, dass ich mit sie Hayley in Verbindung bringe. "Ähm ..." Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Er meint natürlich Hope, seine Tochter. Die er von ganzem Herzen liebt. Ich lächle, auch wenn es mir schwer fällt. "Gerne. Also, wenn du nichts dagegen hast. Ich weiß ja, wie -"
"Sonst hätte ich dich wohl kaum gefragt", unterbricht er mich grob. "Dann treffen wir uns morgen früh um acht vor dem Haus. Sei pünktlich."
Und mit diesen Worten setzt er mich vor die Tür. Alles, was ich zustande bringe, ist, die Tür mit offenem Mund anzustarren.

SacrificiumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt