6. Jace

5.7K 364 39
                                    

Nach der Schule wurde ich zu Chester eingeladen. Er meinte, dass seine Oma die besten Pfannenkuchen überhaupt machen würde. Da konnte ich schließlich nicht nein sagen. Seine Oma war die Mutter seiner Mutter und somit Chinesin. Außerdem war sie wirklich sehr nett und zuvorkommend. Meinen Eltern hatte ich nach der Schule eine Nachricht geschrieben, dass ich später kommen würde, weil ich mit zu einem neuen Freund gehen wollte. Promt kam eine Nachricht meiner Mutter: ich will ihn kennen lernen. Ich hoffe für dich, dass er erzogener ist, als deine anderen Freunde.

Nach dem Essen verabschiedeten sich Chester und ich bei seiner Oma und gingen noch kurz zu ihm heim. Dort redeten wir ein bisschen, tranken das ein oder andere Bier und ließen es uns gut gehen. Obwohl ich Chester gerade mal 12 Stunden kannte, war er jetzt schon irgendwie ein guter Kumpel von mir geworden. Ich hoffte, dass sich das nicht so schnell ändern würde.

Gegen halb 10 verabschiedete ich mich von ihm und lief, inklusive Navi an meinem Handy, durch die Ortschaft, um mein Haus zu finden. Als es irgendwann hieß, den nächsten Kilometer nur noch gerade aus, steckte ich mein Handy in die Hosentasche und lief weiter. Nun war es ein leichtes, mein neues Haus zu finden.

Nach geraumer Zeit fühlte ich mich leicht beobachtet. Zu allem Überfluß, war diese Gegend, ein Vorort von Washington D.C., auch nicht gerade die beste. Vor kurzem hatte ich gelesen, dass hier im Ort ein älterer Mann und seine Frau umgebracht wurden und der Täter noch auf freiem Fuß war. Ich war kein Angsthase und ich wusste mich zu verteidigen, aber wenn mir ein Kerl eine Waffe an den Kopf halten würde, wüsste selbst ich nicht mehr weiter. Waffen waren eben die schlimmsten Gegner.

Ich schaute mich um und blieb auf einem großen Haus mit Veranda hängen. Da musste jemand sein. Ich kniff meine Augen zusammen, um etwas zu entdecken, und dann sah ich sie. Die blond-roten Haare, welche zu dem Mädchen in der Schule gehörten. Sie hieß Echo. Das Mädchen das mich so fasziniert hatte.

Ich blieb stehen. Vielleicht war jetzt eine gute Chance, mich bei ihr vorzustellen. Also lief ich über die Straße und in ihre Richtung. Doch kaum als sie gesehen hatte, dass ich zu ihr lief, rannte sie in ihr Haus und schlug die Türe zu. Ich blieb kurz stehen, nur um zu kapieren, dass sie gerade vor mir davon gelaufen war. Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Vielleicht war ihr auch einfach nur eingefallen, dass sie die Herdplatte angelassen hatte.

Ich lief auf die Veranda zu und klopfte anschließend an die Türe. Nichts passierte. Nach dem zweiten mal Klopfen war mir bewusst, dass sie mich wirklich nicht sehen wollte. Ich klopfte ein drittes mal, ehe ich beschloss, zu gehen. Vielleicht hatte sie auch Angst bekommen, gerade weil sie mich nicht kannte. Wenn ich ein Mädchen wäre, würde ich mir wahrscheinlich auch nicht gerne nachts über den Weg laufen. Trotzdem würde ich sie gerne einmal kennenlernen.

Leicht enttäuscht lief ich die Straße entlang, um zu meinem Haus zu kommen. Mir lief ein Junge mit vielen Taschen und ein Mann mit Krückstock entgegen. Sonst war niemand zu sehen. Der alte Mann versuchte gerade auf seine Veranda zu steigen, doch es sah nicht so aus, als würde er es schaffen. Also beschloss ich zu ihm rüber zu gehen, und ihm zu helfen.

"Entschuldigen Sie, kann ich ihnen irgendwie helfen?"

Skeptisch betrachtete er mich, ehe er nickte. "Könntest du mir helfen Junge? Ich schaffe es nicht mehr nach oben zu kommen.", sprach er mit alter und zerbrechlicher Stimme.

Ich nickte und versuchte ihm so gut wie möglich zu helfen. Es war leichter als gedacht.

"Dankeschön. Du hast mir gerade wirklich den Tag erleichtert. Wie heißt du?", wollte er wissen, als er langsam auf eine Bank zu lief und sich anschließend darauf setzte.

"Mein Name ist Jace McCinley. Wir sind vor kurzem hier her gezogen."

"Setz dich doch, wenn du willst." Dankend nickte ich. Er war sehr freundlich. "Mein Name ist Jack Dodge. Du kannst mich aber Jack nennen."

Ich nickte ihm zu. "Wie lange wohnen sie schon hier?"

Und damit begann ein interessantes Gespräch über seine Vergangeheit. Irgendwann rannte sogar ein klitzekleiner Hund aus der Hundeklappe direkt auf mich zu. Sofort fing er an mich abzuschlabbern und ich hob ihn nach oben. Einen so süßen, kleinen Hund hatte ich schon lange nicht mehr gesehen.

"Das ist Susi. Ich habe sie schon ewig bei mir. Sie scheint dich zu mögen."

Dann schleckte mir Susi die Nase ab und ich verzog lachend mein Gesicht.

"Sie ist wirklich goldig.", lächelte ich und setzte sie auf den Boden.

"Sie ist mein ein und alles.", er lächelte auf sie herab. Susi versuchte gerade ihren Schwanz zu fangen und drehte sich im Kreis.

"Ich muss dann mal rein gehen. Ich bin alt und müde.", sagte Jack irgendwann und stand schwer atmend auf. Vorhin hatte er mir erzählt, dass er in ein paar Tagen 87 Jahre alt werden würde. Eine beachtliche Summe.

"Kann ich dir noch irgendwie helfen?", fragte ich zuvorkommend und steckte meine Hände in meine Hosentaschen.

Er schüttelte leicht seinen Kopf. "Nein, danke Junge. Es war genug, dass du mit mir geredet hast. Viele Menschen denken nur an sich selbst und wollen nichts über die Geschichten anderer wissen. Sie wollen nicht mehr zuhören. Die heutige Generation ist meines erachtens traurig geworden. Aber dank dir weiß ich jetzt, dass es auch noch gute Seelen gibt.", er nickte mir zu. "Ich hoffe, wir werden uns wieder sehen, bevor ich das Zeitliche segne."

Ich nickte. "Natürlich werden wir das." Ich hoffte es wirklich. Dieser Mann verstand mich. Mir schien es, als wäre ich wie er, nur in jungen Jahren. Ihm hörte, genau wie mir niemand zu. Keiner wollte wissen, wie er das Leben fand und wie er die Dinge in der Welt sah. Er war mir ähnlicher als jeder andere. Er war anders, genau wie ich. Vermutlich mochte ich ihn deswegen.

"Schlaf gut, Jace."

"Gute Nacht, Jack.", ich lächelte ihm noch kurz zu, ehe ich mich umdrehte und von seinem Grundstück verschwand.

Langsam lief ich nachhause. Dort angekommen schmiss ich meine Schuhe in eine Ecke und rief einmal ein Hallo durchs Haus, ehe ich im Bad und unter der Dusche verschwand.

■02.06.16■

SilenceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt