Nach dem Vormittagsunterricht machte ich mich auf den Weg zur Cafeteria. Wie jeden Tag ging ich danach nach draußen und setzte mich an meinen Tisch. Dean musste noch im Klassenzimmer bleiben, weil ihn unsere Lehrerin aufgehalten hatte. Vermutlich würde es noch ein bisschen dauern, da sie sehr gesprächig ist.
"Hallo. Ist bei dir noch frei?", fragte mich eine freundliche Stimme.
Zuerst konnte die Stimme niemandem zuordnen, erst als ich zu ihm aufsah. Ich musste ziemlich geschockt ausgesehen haben, jedoch nickte ich dann, als er mich weiterhin fragend anschaute.
"Du bist Echo, stimmts?", fragte er mich nach kurzer Zeit.
Ich nickte leicht und aß meinen Salat weiter.
"Ich bin Jace." Ich nickte erneut. "Ich bin erst vor kurzem hier her gezogen. Lebst du schon immer hier?"
Gespannt schaute er mich an. Wieso wollte er jetzt bitte ein Gespräch beginnen? Nein, bessere Frage, wieso wollten zur Zeit so viele Menschen mit mir sprechen? Es war ja nicht so, als würde ich mich an dem Gespräch beteiligen. Oder mochten sie es einfach, wenn ihnen jemand zuhörte ohne dazwischen zu sprechen?
"Ich weiß, dass du nichts sprichst.", sagte er plötzlich. Panisch schaute ich zu ihm auf. Woher wusste er es? Dumm, wieso fragte ich das überhaupt? Er musste jemanden von meiner Schule gefragt haben.
"Dir braucht das nicht peinlich zu sein. Irgendwie verstehe ich dich sogar. Außerdem finde ich es echt faszinierend."
Warte, dass hatte er jetzt nicht gesagt. Dieser Junge vor mir sah zwar ziemlich gut aus, musste aber ein kompletter Hohlkopf sein. Niemand weiß, wieso ich nicht rede, außer Dean. Und ganz sicher weiß niemand, wie ich mich dabei fühle. Außerdem, peinlich war mir sicher nichts.
Und hatte er mich gerade tatsächlich als Objekt angesehen? Was fällt ihm eigentlich ein? Ich bin sicher nicht faszinierend.
Empört und sauer schaute ich ihn an. Und ich finde ihn auch noch anziehend und komischerweiße fühlte ich mich in seiner Nähe so anders. Was war bloß falsch mit mir? Es schien, als würde er mich nicht kennen und doch war es so, als würde er es.
"Was? Hab ich was falsches gesagt?", fragte er mich leicht geschockt. Und wie du was falsches gesagt hast.
Ich holte meinen Block aus meinem Schulranzen und schrieb ihm meine Meinung aufs Blatt: "Ich bin kein Objekt, dass 'faszinierend' ist! Außerdem, was weißt du schon? Du verstehst sicher nichts. Bitte halte dich von mir fern."
Dann stand ich auf und ging. Komischerweiße fühlte ich mich schlecht bei dem Gedanken, dass er mir nicht mehr näher kommen würde. Es fühlte sich gerade so an, als hätte ich eine 2 Jährige Beziehung mit ihm beendet. Dabei kannte ich ihn nicht einmal.
Mit schnellen Schritten lief ich den Schulflur entlang. Ich hatte keine Lust mehr auf Schule, deswegen verstaute ich schnell meine Bücher in meinem Spint, ehe ich das Schulgebäude verließ. Immer wieder schaute ich mich um, nur um sicherzustellen, dass mich kein Lehrer sah, den ich kannte.
An meiner Bushaltestelle stand schon ein Bus, weshalb ich anfing zu rennen, um ihn noch zu erwischen. Glücklicherweiße machte der Fahrer die Türe wieder auf und ließ mich seufzend in den Bus steigen.
Schwer schnaufend ließ ich mich am Fenster einer Sitzbank nieder. Gerade als der Bus losfuhr, sah ich eine große Gestalt aus dem Schulhaus rennen. Es war Jace. Verwirrt schaute ich ihm zu, wie er dem Bus hinterher rannte. Woher wusste er, dass ich in dem Bus hier war? Ich hörte ihn schreien, dass der Bus anhalten sollte. Doch der Busfahrer machte genau das Gegenteil. Ich hörte ihn noch ein: "Verdammt.", schreien, ehe mein Bus um die nächste Kurve fuhr.
Zuhause angekommen ging ich direkt in die Küche und schaute nach, was ich essen könnte. Der Kühlschrank war fast leer und etwas anderes konnte ich auch nicht auftreiben. Also nahm ich mir den Autoschlüssel meiner Mutter, welche heute weiß Gott wo war, und fuhr zum nächsten Supermarkt. Dort angekommen holte ich einen kleinen Einkaufswagen und schnappte mir alle möglichen Süßigkeiten, Knabbersachen und etwas Obst, ehe ich an der Kasse bezahlte.
Als ich zuhause angekommen war, sah ich einen Streifenwagen vor unserem Haus stehen. Leicht verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen und fragte mich, wer wohl die glücklichen waren, die einen solchen Besuch hatten. Ich schloss unsere Haustüre auf und lief in das Haus. Drinnen hörte ich Stimmen, die sich angeregt unterhielten. Meine Mutter war anscheinend wieder daheim. Und nicht nur das, zwei Streifenpolizisten, aus dem Sheriffdepartment unserer Stadt, waren auch da. Wir waren also die Glücklichen. Leise ging ich auf die drei zu.
"Ja verdammt. Habe ich doch schon gesagt. Es stand vor der Türe. Und wie sie sehen ist es weg.", fluchte meine Mutter. Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sie sich die Haare raufte und verstört aus dem Fenster zeigte.
"Entschuldigung, M'am. Aber wie es aussieht, ist das Auto wieder da.", sagte einer der beiden Polizisten.
"Das kann nicht sein.", sagte meine Mutter verständnislos.
Nun wagte ich mich aus der Deckung. Mit meinen zwei Tüten lief ich zu den Polizisten und meiner Mutter in die Küche. Ich lächelte unsere Gäste an.
"Ist das ihre Tochter?", fragte nun der andere.
Ich nickte, als meine Mutter gleichzeitig mit den Zähnen knirschte und ein Ja sagte.
"Und sie heißen?" Nun wandte er sich an mich.
Ich antwortete ihm jedoch nicht.
"Sie wissen schon, dass sie antworten müssen?"
Ich nickte, sagte jedoch nichts dazu.
"Dann antworten sie doch bitte."
Ich schaute zu meiner Mutter, doch diese schaute mich nur provizierend an. So lief das schon immer ab. Ich redete nicht und meine Mutter wollte nicht für mich antworten. Ich wusste nicht, was für ein Problem sie mit mir hatte. Immerhin war ich doch ihre Tochter.
"Mrs Silver, was ist hier los?", fragte nun der eine Beamte und schaute zwischen meiner Mutter und mir hin und her.
Meine Mutter zuckte jedoch nur mit den Schultern und meinte: "Ich weiß nicht, sonst redet sie immer wie ein Wasserfall. Außerdem ist sie es, die, wie es aussieht, mein Auto gestohlen hat. Vielleicht sollten sie sie mal mit zur Wache nehmen. Dann lernt sie wenigstens mal, was für Konsequenzen ihr Handeln haben kann." Verständnislos blickte ich sie an. Wieso hatte sie das gesagt? Sie war meine Mutter! Wieso tat sie mir nur so etwas an?
"Nun beruhigen sie sich erst einmal.", sagte er an meine Mutter gewandt, die nur verächtlich schnaubte. "Und sie, werden sie heute noch mit uns reden und antworten, oder verweigern sie immer noch jegliche notwendige Antworten?" Verzweifelt schaute ich sie an. Ich wollte nicht ins Gefängnis oder mit auf die Wache. Es war doch nur das Auto meiner Mutter gewesen. Ich war zwar nicht darauf registriert, aber durften die sowas überhaupt?
"Ihr Schweigen nehme ich mal als Antwort an. Ich bitte sie mit auf die Wache zu kommen. Da sie noch nicht volljährig sind, muss ein Elternteil mit kommen.", fragend schaute er meinen Mutter an, doch sie hatte nur die Arme verkreuzt und blickte finster drein.
"Wieso ich? Mein Mann soll sie heute Abend abholen, wenn er mit der Arbeit fertig ist und wenn sie ihrer Taten bewusst ist. Vorallem, da sie nicht einmal einen Führerschein hat."
Warte was? Das war glatt gelogen. Vor nicht einmal einem Jahr hatte ich ihn mit bravur bestanden. Geschockt schüttelte ich meinen Kopf, doch die beiden Beamten interessierten nur die Fakten, die genannt wurden. Und ich hatte nichts gesagt.
"Das wären dann Diebstahl, wenn man es so nennen kann und fahren ohne Fahrerlaubnis. Ich bitte sie nun, sich nicht zu wehren und mit zukommen. Wenn sie nicht kooperieren, müssen wir sie festnehmen."
Ich hatte nichts getan, nichts falsches gemacht und schon gar keine Straftat begangen. Was war es nur, dass meine Mutter seit Jahren einen solchen Hass auf mich hatte. Es war oft schlimm gekommen und angeschrien hatte sie mich auch oft, aber dass sie jemals auf solch drastische Maßnahmen zugreifen würde, hätte ich nie gedacht.
Und in der schlimmsten Situation die ich je hatte, fiel mir etwas auf.
Ich hatte Dean in der Schule vergessen.
■14.06.16■

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Silence
Teen Fiction! Achtung ! Wer nicht auf Bad Ends und apruppte Enden steht, dem muss ich empfehlen eine andere Geschichte zu lesen. Ansonsten, viel Spaß beim lesen :) - Die Geschichte von Echo und Jace - Echo Silver redet nicht. Vor 10 Jahren hat sie das Sprechen...