26

3.8K 266 14
                                    


Miles stand immer noch wie erstarrt da. Alles um ihn herum verschwamm, er nahm nur noch das Gesicht mit den rot leuchtenden Augen und Fangzähnen vor sich wahr. Scotts Gesicht. Das Gesicht eines Vampirs.

Plötzlich wurde er von hinten gepackt und zu Boden gerissen, ein Fauchen ertönte direkt über ihm und ein stechender Schmerz fuhr durch seine Rippen.

Und so schnell wie er gekommen war, war der Vampir auf ihm auch schon wieder weg. Verwirrt hob Miles den Kopf und sah Scott seinen Angreifer festhalten.

"Lass ihn, ich kümmere mich darum!", sagte er eindringlich. "Jetzt hau ab!"

Der Vampir nickte und lief tatsächlich davon. Dann drehte sich Scott zu Miles, der immer noch auf dem Boden kauerte.

"Du solltest auch verschwinden."

Miles starrte ihn weiter fassungslos an, bis Scott wütend schnaubte: "Diese Vampire haben euch nichts getan!"

Miles schien gar nicht zu hören, was er sagte. Stattdessen hob er wie in Zeitlupe seine Hand und richtete das Vampiridentifizierungsgerät auf Scott. Es fing sofort an zu blinken und Miles keuchte auf.

"Was zur Hölle ist das?!", wollte Scott wissen und Miles richtete seinen Blick wieder auf ihn, dann stolperte er ein paar Schritte zurück.

Scott verzog verletzt das Gesicht, drängte dann aber wieder: "Haut jetzt endlich ab!"

"Miles?", ertönte Logans Stimme, er schien ihn zu suchen.

Scott sah Miles noch einmal flehend an, dann raste er in Vampirgeschwindigkeit davon.

Miles blieb entgeistert sitzen, bis Logan ihn fand: "Was ist los?"

Er betrachtete Miles besorgt: "Bist du verletzt? Miles!"

Schließlich zog er ihn auf die Beine und schob ihn zum Wagen. Miles sprach kein Wort, als sie sich alle hineinsetzten und Dad den Motor startete.

Dad schimpfte frustriert: "Das waren viel zu viele ..."

"Wenigstens ein paar konnten wir erledigen", meinte Claire.

"Hey", Logan saß mit Miles auf der Rückbank und stieß ihn leicht an. "Was ist los?"

Doch Miles schwieg weiter.

Sobald sie Zuhause ankamen, verkroch er sich auf seinem Zimmer. Er schloss die Tür ab und ließ sich auf sein Bett fallen, dann kniff er die Augen zusammen und wünschte sich, diesen Abend hätte es nie gegeben.

Vor einer Stunde war noch alles okay gewesen. Mehr als okay. Der Abend mit Scott war super gelaufen und wäre sicher noch besser geworden, aber dann musste ja dieser Anruf kommen. Hätte er sein Handy doch bloß nicht mitgenommen. Oder es zumindest ignoriert. Dann läge er jetzt immer noch mit Scott auf dem Bett und wäre glücklich ...

Aber eigentlich war es Quatsch. Auch wenn Miles nicht da gewesen wäre, hätte es nichts an der Tatsache geändert, dass Scott ... ein Vampir war.

Miles hätte es nur nicht herausgefunden.

Wie hatte er es nicht merken können? Die ganze Zeit über hatte er kein bisschen Verdacht geschöpft. Er hatte sich mit Scott angefreundet und sich sogar verliebt, ohne jemals etwas mitzubekommen.

Er war auf ihn hereingefallen. Auf ein Monster. Einen Vampir.

Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte ... Scott hätte ihn doch jederzeit umbringen können, er hatte genug Möglichkeiten.

Miles hatte ihm sein Geheimnis anvertraut, aber Scott hatte nichts gesagt. Warum?

Wieso hatte Scott sich nicht zumindest von ihm ferngehalten, als er erfahren hatte, dass Miles Vampire jagte? Das machte doch keinen Sinn.

Miles spürte eine eiskalte Träne über seine Wange laufen, während er an die Decke starrte.

Plötzlich klopfte etwas gegen sein Zimmerfenster und er zuckte zusammen. Er rieb sich durch das Gesicht und stand dann langsam auf, um zögerlich auf das Fenster zu zugehen. Er konnte nichts erkennen, also öffnete er es und steckte den Kopf heraus.

Direkt vor ihm stand Scott.

Er wollte das Fenster schon wieder zu schlagen, aber Scott war schneller und stand plötzlich schon im Zimmer, bevor Miles überhaupt reagieren konnte.

Miles sprang zurück und sah sich panisch nach irgendetwas um, dass er als Waffe benutzen konnte, während er immer weiter vor Scott zurückwich.

"Komm schon, Miles", meinte dieser und runzelte die Stirn. "Was soll das? Glaubst du echt, ich würde dir etwas tun?"

"Ich weiß gar nicht mehr, was ich glauben soll", erwiderte Miles kalt.

"Miles...", begann Scott, doch Miles unterbrach ihn: "Du bist ein Monster!"

Scott zuckte bei seinen Worten leicht zusammen und sah ihn dann traurig an: "Denkst du das wirklich?"

Miles schwieg, also fügte er leise hinzu: "Nichts von alledem war gespielt, Miles. Ich habe wirklich Gefühle für dich und ich will einfach nur ein normales Leben führen. Ich kann nichts dafür, dass ich ein Vampir bin, aber ich tue auch niemandem etwas."

"Das glaube ich dir nicht", zweifelte Miles. "Vampire haben keine Gefühle. Sie töten einfach."

"Das ist nicht wahr", widersprach Scott. "Ich habe mich verliebt und wenn du ehrlich bist, weißt du auch, dass das stimmt. Das musst du doch gespürt haben!"

Miles wandte das Gesicht ab und biss sich auf die Lippe, bis Scott schließlich sagte: "Außerdem töte ich nicht."

"Trinkst du etwa kein Blut?"

"Doch", meinte Scott. "Aber ich stehle es aus Krankenhäusern, so muss ich keine Menschen verletzen."

"Ehrlich?", Miles starrte ihn an.

Scott nickte.

"Warum?"

"Ich greife doch nicht einfach irgendwelche Menschen an! Ob du's glaubst oder nicht, Vampire haben auch ein Gewissen. Naja, manche weniger als andere, aber trotzdem: Nicht alle Vampire sind Monster. Und die, die ihr heute angegriffen habt, sind genau wie ich! Das sind Freunde von mir und sie haben nichts getan."

Miles zögerte, also fuhr Scott fort: "Hör zu, du kennst mich. Ich will niemandem etwas tun."

Er schluckte. "Ich halte mich von jetzt an von dir fern und lasse dich komplett in Ruhe, aber bitte verrate deiner Familie nichts. Ich möchte einfach nur mein Leben hier leben, ich will keine Probleme machen."

Miles schwieg, er wusste nicht was er sagen wollte. Selbst wenn er die richtigen Worte gefunden hätte, wäre er nicht dazu fähig zu sprechen.

Scott sah ihn eine Weile lang still an, dann ging er langsam zum Fenster: "Ich hoffe wirklich, du entscheidest dich richtig."

Er kletterte aus dem Fenster und drehte sich noch ein letztes Mal um: "Es tut mir leid ..."

Dann ging er.


Und Miles blieb wie erstarrt stehen.

Deathly DesireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt