Es tut gut, wieder auf heimischen Boden zu stehen. Meine Mutter umarmt mich herzlich und bedeckt mich mit Küssen. Mein Vater schließt mich in seine muskulösen Arme.„Ich habe dich lieb", sagt er in mein Ohr. Ich liebe meine Eltern auch. Und ich habe sie vermisst, das muss ich zugeben.Wir verlassen den Flughafen und fahren auf die Autobahn.„Was möchtest du zum Abendbrot essen? Sollen wir bei McDonalds anhalten?", fragt Mama.Aber mir ist nicht der Sinn nach Fastfood, sondern nach Gegrilltem.„Können wir grillen?", frage ich.„Aber klar doch", sagt Papa. „Ich habe extra Steaks für dich gekauft. Diese Woche waren welche mit Kräutermarinade im Angebot. Die magst du doch, oder?"Und ob ich die mag!„Ja, die mag ich", versichere ich ihm. Ich liebe es, wenn mein Vater Dinge EXTRA für mich kauft. „Ich werde mich diese Woche in Berlin mit einer Freundin treffen", teile ich meinen Eltern mit.„Mit wem denn?", fragt Mama sofort.„Die Jule ist doch nach Berlin gezogen und arbeitet dort in einem Kindergarten", lüge ich.Besagte Jule ist nicht nach Berlin gezogen, sondern wohnt vorerst noch bei ihren Eltern. Aber das muss ja niemand wissen.„Wie lange willst du denn bleiben? Sie muss doch bestimmt arbeiten", sagt Papa.„Keine Angst, ich bleibe nur zwei Tage. Dann komme ich wieder", antworte ich.„Und wie willst du nach Berlin?"„Ich kann mit dem Zug fahren. Das ist viel entspannter, als mit dem Auto", sage ich. Da mein eigenes Auto schon den Geist aufgegeben hat und meine Eltern arbeiten müssen, bleibt mir nur noch der Zug übrig.„Und wann genau reist du nach Berlin?", will Mama wissen.„Das müssen wir noch ausmachen", sage ich wahrheitsgemäß. Henry hat mir dies bezüglich noch nicht geschrieben.„Viktoria, gewöhn dir an, solche Sachen schon vorausschauend zu planen! Deine Jule kann sich nicht einfach mal so Urlaub nehmen, nur weil du zu Besuch kommst", weist meine Mama mich zurecht.JA, auf diese Idee bin ich auch schon gekommen. Aber gut, dass sie es mir nochmal hinter die Ohren schreibt.„Kommt Robert auch vorbei?", wechsele ich das Thema.„Ja, er wird bestimmt schon da sein", meint Papa zuversichtlich. Obwohl ich es nicht gern zugebe, habe ich meinen Bruder auch vermisst. Diesen kleinen, stinkenden, nervigen...PIEP!„Wie geht es meinen Katzen?", will ich nun wissen. Mausi, Mara, Herculine und unser Kater zählen für mich zur Familie und ich behandele sie wie meine Kinder.„Denen geht es gut. Ich werde demnächst Nägel in die Blumenkästen stecken, damit sich die Katzen nicht mehr hineinlegen. Die zerdrücken meine schönen Geranien", jammert Mama.Ich lache darüber. Das hat sie schon seit Jahren vor, aber bisher noch nicht durchgeführt.Wahrscheinlich glaubt nicht mal sie selbst daran, dass sie es irgendwann mal macht.Die Landschaft zieht an mir vorbei und ich freu mich auf mein Zimmer und mein Bett. Und auf Mausi, die bestimmt darauf bestehen wird, neben mir zu schlafen. Immerhin ist sie die Königin bei uns und ihr darf ich nichts abschlagen.Nach einer Stunde Fahrt biegen wir in unsere Einfahrt ein.Wie erwartet, begrüßen mich meine Katzen zuerst. Ich komme nicht an ihnen vorbei, ohne jeder einzelnen Hallo zu sagen. Dann helfe ich meinem Vater, das wenige Gepäck auszuladen, das ich mitgebracht habe. Ich genieße es, wieder zu Hause zu sein, aber ich vermisse auch die irische Luft ein bisschen. Meine Oma kommt mir entgegen und umarmt mich zur Begrüßung.„Viktoria, du lebst ja noch!", meint sie.„Natürlich, Oma. Mich frisst niemand auf", witzele ich herum. Oben an der Treppe steht mein Bruder.„Jo, Bro!", ruft er herunter. „Läuft bei dir."„Jo, Bro, ich freue mich auch, dich wieder zu sehen", sage ich. Robert und ich sprechen uns immer mit Bro an. Wahrscheinlich wünscht er sich, ich wäre sein Bruder und nicht seine Schwester. Aber die Familie kann man sich nun mal nicht aussuchen.Ich sehe mit Zufriedenheit, dass meine Mutter mein Zimmer noch nicht umgeräumt oder –noch schlimmer- aufgeräumt hat. Ich habe nämlich meine eigene spezielle Ordnung, die keiner außer mir versteht.„Ruh dich erstmal aus, wir grillen später", meint mein Vater. Er und Robert werden schon mal alles vorbereiten, während ich erstmal ankomme. So ein Flug ist ganz schön anstrengend,besonders, wenn man neben schlecht riechenden Menschen sitzen muss. Nach einer halben Stunde werde ich zum Essen gerufen. Hungrig wie ich bin, esse ich ausnahmsweise zwei Steaks und registriere zufrieden das frustrierte Gesicht meines Bro's,weil er jetzt mit Bratwurst vorlieb nehmen muss. Wer zuerst kommt, malt zuerst!In aller Ausführlichkeit erzähle ich ihnen von meiner Zeit in Irland. Das Abenteuer mit Henry verschweige ich jedoch. Meine Familie muss ja nicht alles wissen.Nach dem Essen, helfe ich beim Abwasch und bin froh, als der Tag zu Ende geht. Er war wirklich anstrengend.Als ich auf mein Handy schaue, sehe ich, dass Henry sich gemeldet hat.Bist du gut zu Hause angekommen? Ich werde von Donnerstag bis Freitag in Berlin sein, um wichtigen Geschäften nachzugehen. Wollen wir uns Donnerstagabend treffen?Das ist schon in vier Tagen! Schnell suche ich im Internet nach guten Zugverbindungen. Ich kann in ungefähr zwei Stunden in Berlin sein, wenn ich das will.Ja, ich bin gut angekommen. Von mir aus können wir uns gern Donnerstagabend treffen. Ich könnte so gegen 18:00 Uhr am Berliner Hauptbahnhof sein.Es dauert einen Moment, bis Henry antwortet und es kommt mir wie Stunden vor. Vielleicht überlegt er es sich nochmal anders und will mich gar nicht sehen.Das klingt gut, Viktoria! Ich würde mich sehr über deinen Besuch freuen. Was wollen wir machen?Das ist eine gute Frage. Um sich einfach nur zu unterhalten, braucht man nicht nach Berlin fahren. Das machen wir schon jeden Tag. Nein, es muss etwas Besonderes sein.Kennst du den Berliner Fernsehturm? Dort gibt es ein gutes Restaurant und eine geniale Aussicht über die Stadt. Das Restaurant dreht sich sogar, damit man einen Rundumblick bekommt.Zu spät fällt mir ein, dass es ganz schön teuer wird. Es ist schließlich keine Kneipe an der Ecke, sondern ein richtiges Restaurant.Das ist eine schöne Idee. Also dann, wir sehen uns in vier Tagen am Hauptbahnhof. Es kann sein, dass ich zu dieser Zeit noch in einer Besprechung bin. Dann wird dich ein Freund abholen und zu mir ins Hotel bringen. Ich hoffe, das macht dir nichts aus?Ein bisschen enttäuscht bin ich schon, wenn er mich nicht selbst abholen kann. Aber ich kann ihn auch verstehen, schließlich ist seine Arbeit wirklich wichtig.Nein, kein Problem. Ich will dich nicht unter Zeitdruck setzen oder so. Solange du mir vorherein Bild von deinem Freund schickst, damit ich ihn erkenne, ist alles okay.Bei meinem Talent würde ich bestimmt mit irgendjemandem mitgehen, der mich nett anlächelt. Aber natürlich schicke ich dir ein Foto und seinen Namen, damit du auf Nummer sicher gehen kannst. Ich freue mich schon so! Ja, ich freue mich auch. Ich hatte noch nie ein Date gehabt und keine Ahnung, wie ich mich verhalten soll. Aber irgendwie wird es schon funktionieren, hoffe ich.Wir schreiben uns noch eine Weile hin und her, bis ich völlig übermüdet einschlafe.Die Tage vergehen und ich kann es kaum erwarten, dass endlich Donnerstag in meinem Kalender steht. Ich besuche noch einige andere Freunde, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe und denen ich viel zu erzählen habe.Selbstverständlich verbringe ich auch viel Zeit mit Oma, die mir jedes Detail über meine Gastfamilie, die Kinder und Irland aus der Nase zieht. Das kann sie wirklich gut.Mein Bruder und ich begegnen uns mit der typischen Bromance, die wir immer an den Tag legen. Erstaunt stellt er fest, dass sich meine Englischkenntnisse tatsächlich verbessert haben und gibt zähneknirschend zu, dass ich fast so gut bin wie er. Was für ein Angeber! In Wahrheit bin ich viel, viel, viel besser als er es je sein wird.Und dann ist es endlich soweit. Donnerstag. Ich stehe früher auf, als gewöhnlich, weil ich mich besonders gut vorbereiten möchte. Eigens dazu habe ich mir Dating Tipps von irgendwelchen YouTube- Kindern geholt, die glauben, darin schon Erfahrung zu haben. Mal sehen, ob deren Tipps so nützlich sind, wie deren Millionen Abonnenten es behaupten.Henry ist ein reifer Mann und kein Teenager mehr, also darf ich mich nicht blamieren. Ich habe beschlossen, gleich in meinem Ausgeh- Outfit mit dem Zug zu fahren. Dieses besteht aus einer einfachen weißen Bluse und einer schwarzen Hose. Man muss es ja nicht gleich mit Sexappeal übertreiben. Auch das weiß ich von den YouTube- Kindern.Da ich mich normalerweise gar nicht schminke, versuchte ich es mal mit den BeautyChannels im Internet. Auch da erklären mir vierzehnjährige wie ich mein Make-up aufzulegen habe, aber die sehen total gut aus!Nachdem ich mich hübsch gemacht habe, kontrolliere ich noch, ob ich alles habe. Dann gehe ich nach unten, wo meine Mutter bereits ungeduldig wartet.„Du hast dich aber ganz schön hübsch gemacht, dafür, dass du nur zur Jule fährst", meint sie.„Die Jule hat eben nur meinen schönsten Anblick verdient", sage ich schnell.Ich sehe, wie meine Mutter sich ein Lächeln verkneift. Mist, sie hat mich durchschaut!Wenigstens sagt sie nichts dazu.Sie lädt mich am Bahnhof ab und ich renne zum Gleis. Nur weil sie so langsam gefahren ist,hätte ich beinahe den Zug verpasst! Das kommt davon, wenn man sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen hält. Wäre mir nicht passiert.Zum Glück steigen viele Leute aus, sodass der Zug noch steht, als ich das Gleis erreicht habe.Ich suche mir einen ruhigen Platz und schaue aus dem Fenster. Meine Haare sind vom Winde verweht, was -zugegeben- gar nicht so schlecht aussieht.Der Zug fährt los und ich denke nur noch an heute Abend. Ich weiß selbst nicht, was ich wirklich fühle oder ob Henry und ich mehr sind als nur eine Zufallsbekanntschaft. Aber ich weiß, dass wir gut zueinander passen.Nach langer Fahrt kommt der Zug im Berliner Hauptbahnhof zum Stehen. Mein Herz klopft wild in meiner Brust und ich will eigentlich gar nicht aussteigen.Doch dann tue ich es doch und sehe mich nach meiner Kontaktperson um.
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Story of my Life - Ein englisches Geheimnis
RandomTori beginnt ihren neuen Lebensabschnitt als Au-Pair in Irland. Sie ist ein lebensfrohes Mädchen, sie liest gerne und hat eine interessante Art, Menschen und Situationen sachlich einzuschätzen und zu beschreiben. Durch ihr Äußeres passt sie...