Kapitel 14

58 6 0
                                    

Der Jet landet auf dem Flughafen von Cork. Draußen regnet es, was typisch für Irland ist. Während des Fluges haben Henry und ich uns die ganze Zeit über an den Händen gehalten. Sie jetzt zum Aussteigen loslassen zu müssen, kommt mir falsch vor.
Freddy öffnet die Tür des Flugzeuges und wir steigen aus. Der Flughafen ist komischerweise leer; nirgendwo ist ein anderes Flugzeug zu sehen.
„Ich habe schon dafür gesorgt, dass eine Limousine für uns bereit steht", sagt Henry zu mir. Das ist gut, denn ich habe keinen Regenschirm dabei. Er tippt kurz was in sein Handy, als auch schon ein schwarzes Auto um die Ecke biegt.
Schnell steigen wir ein, denn es ist ziemlich kalt draußen. Ich habe keine Lust auf eine Erkältung, denn das kann ich mir nicht leisten. Meine Gasteltern brauchen mich.
„Ich möchte mich nochmal dafür bedanken, dass du die letzen zwei Tage mit mir verbracht hast", sagt Henry. „Am liebsten würde ich nicht ohne dich nach Hause fliegen."
Verständnisvoll sehe ich ihn an. Mir geht es genauso.
„Du könntest doch bleiben. Im Kuhstall findet sich bestimmt noch eine freie Box", sage ich grinsend.„Das wäre in Erwägung zu ziehen. Wenn du es ertragen könntest, dass ich nach Mist rieche."
„Ich könnte alles ertragen", sage ich und weiß, dass es ziemlich kitschig klingt, aber in diesem Moment passt es ganz gut.
Viel zu schnell haben wir das Haus meiner Gastfamilie erreicht. Ich will nicht aussteigen, aber das lässt sich nunmal nicht vermeiden. Ganz der Gentleman öffnet Henry die Tür. Als er jedoch den Matsch sieht, klopft er herrisch an das Fenster, das zum Fahrer zeigt. Kurz darauf legt uns ein junger Mann einen roten Teppich über den Matsch bis zum Haus.
„Das ist nicht dein Ernst", sage ich fassungslos.

„Doch natürlich", erwidert Henry. „Ich kann dich doch nicht über Matsch gehen lassen."
Lachend steige ich aus der Limousine und der liebe Chauffeur reicht uns sogar noch einen Regenschirm. An den Service könnte ich mich glatt gewöhnen. Wenn er sich jetzt noch verbeugen würde...
„Hey, da seid ihr ja endlich!", höre ich Andrej schon von weitem rufen. An Henrys Freunde habe ich gar nicht gedacht.
Jake und Pete folgen ihm. Sie tragen alle Gummistiefel und haben ihre Anzüge gegen bequeme Arbeitskleidung getauscht. So sehen sie richtig normal aus. An ihrem Mienen erkenne ich, dass ihnen die letzten Tage nicht so gut gefallen haben wie mir.
„Wie ich sehe, habt ihr euch gut um die Kühe gekümmert", sage ich.
„Viktoria, warum haben Sie uns nicht gesagt, dass an den Boxen keine Namen stehen?", fragt Jake vorwurfsvoll.

„Ich habe euch doch beschrieben, wo Bertha und Claire stehen", sage ich.
„Wir haben es vergessen", gibt Pete kleinlaut zu. Ich muss mir ein Lachen verkneifen, aber Henry grinst breit.
„Wie oft habe ich euch gesagt, dass ihr richtig zuhören müsst?", fragt er streng.
„Zu oft", brummt Jake. An seiner Kleidung hängen Heu und Mist.

„Selbst Schuld", weist Henry ihn zurecht. „Und nun berichtet Viktoria von euren Erlebnissen."
Ich bin immer noch erstaunt über seinen strengen, unnachgiebigen Tonfall, sage aber nichts dazu. Das müssen die Jungs unter sich klären.
„Wir haben ALLE verdammten Kühe massiert, weil wir Bertha nicht finden konnten", sagt Andrej verärgert. „Die anderen beiden hier haben ja nicht zugehört."
Sein Blick trifft den von Jake und Pete. Beide starren wütend zurück.
„Das hat auch die ganzen zwei Tage gedauert. Und wir wussten nicht, wie wir sie melken sollten, deshalb haben wir es so gemacht, wie wir es im Survivalcamp gelernt hatten."
„Wie habt ihr es denn gelernt?", will ich wissen.
„Wir haben sie mit der Hand gemolken", antwortet Pete und zeigt uns seine schwieligen Hände. „Claire haben wir jedoch in Ruhe gelassen. Sie ließ sich von keinem von uns waschen. Als Jake es versucht hat, ist sie ihm auf den Fuß getreten."
„Diese blöde Kuh hat meine Zehen gebrochen", jammert Jake, was Henry nur noch mehr zum Grinsen bringt.
„Naja, und die Kälber haben wir auch gefüttert", beendet Andrej die Geschichte.

Ich ärgere mich ein bisschen, nicht dabei gewesen zu sein. Es hätte bestimmt viel Spaß gemacht.
„Ich danke euch für eure Hilfe", sage ich freundlich und gebe mir Mühe, sie nicht auszulachen in ihren dreckigen Klamotten und mit den düsteren Gesichtern.
„Geht euch schon mal in die Limousine setzen", befiehlt ihnen Henry. Artig tun sie, was er sagt. Solche tollen „Freunde" hätte ich auch gern.
Ich hätte mich gern noch mit ihnen unterhalten. Henry hingegen scheint das anders zu sehen, denn er bringt mich zur Tür, wo ich in meiner Tasche nach dem Schlüssel grabe.
Bei meinem Talent bin ich froh, ihn schnell zu finden. Wenn ich den in Frankreich verloren hätte...

Story of my Life - Ein englisches GeheimnisWhere stories live. Discover now