Garrick.

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Die untergehende Sonne hinterließ einen letzten Streifen rötliche Wärme am Horizont, das einzige was ich jemals von der Sonne sehen würde. Den Rest meines Lebens. Bis ich eines Tages zu Asche zerfallen würde. Ich wartete noch, bis die mir nur allzu bekannte Dunkelheit die Landschaft in ihre Schwärze hüllte und sich meine Augen, die Augen eines Raubtiers, sich ihren Weg hindurch bahnten, bis ich alles, selbst in mehreren Kilometern Entfernung, sehen konnte und wandte erst dann meinen Blick ab.

Seufzend lehnte ich mich mit geschlossenen Augen gegen das Geländer, welches mich von einem Sturz in die Tiefe bewahrte. Auch wenn dieser Sturz mir keinen Schaden zufügen würde.

„Eine halbe Stunde nach Anbruch der Dunkelheit", dachte ich mir. „keine Sekunde später. Wie immer."

Ich stieß mich vom Geländer ab, drehte mich um und ging zurück in mein Zimmer. Einem kleinen Raum, spärlich möbiliert, keine Elektronik, nur das nötigste. Ich griff mir meine, bereits rausggesuchten, Klamotten, eine einfache Jeans und eine schwarze Bluse, und zog sie mir über. Da ich zum schlafen nie mehr, als meine Unterwäsche trug, dauerte dies nicht lange.

Weshalb ich schon wenige Minuten später in der Küche im Erdgeschoss stand.

Abendessen – oder Frühstück, ich konnte mich nach all den Jahren noch immer nicht für eine Bezeichnung entscheiden – würde ich erst zu mir nehmen können, wenn ich zurück war, was noch eine ganze Zeit hin war. Also entschied ich mir für eine kleine blutige Erfrischung bevor ich aufbrach.

Das Blut, dass ich im Kühlschrank gelagert hatte, schmeckte zwar furchtbar, es hatte einen widerlichen Plastikgeschmack, wegen der Verpackung, war aber erträglich, sobald es ein paar Minuten in der Mikrowelle verbracht hatte.

Nachdem ein leises 'ping' danach verlauten ließ, dass das Blut die gewünschte Temperatur erreicht hatte, griff ich nach einem Glas, goss das Blut hinein und leerte es in einem Zug. Danach stellte ich es zu den anderen in die Spüle.

Auf dem Weg, durch den Flur, zur Tür, wagte ich kurz einen Blick in den Spiegel, um zu sehen, ob ich ansehnliche genug war, um rauszugehen.

Naja, ob ich mich selbst ansehnlich fand, darüber konnte man sich streiten, aber alles in allem, sah ich okay aus. Meine braunen Haare fielen in ihren gewohnten Locken meine Schultern hinunter, meine Lippen waren tiefrot (ohne Lippenstift aufzutragen) und meine grauen Augen, würden, kalt wie immer, in die Leere eines jeden, der sich mir gegenüber stellte, starren.

Über meine Füße zog ich noch schnell ein paar Sneakers, was in seinen strengen Dresscode sicherlich nicht reinpassen würde, was mir aber egal war. Dann sollte er halt verärgert sein.

Draußen wurde ich von einem wunderschönen Nichts begrüßt. Einer sich endlos weit erstreckenden Landschaft aus nichts, als purer Natur. Ich hatte mir wirklich den besten Ort zum leben ausgesucht, den ich hätte wählen können. Zudem wusste niemand außer mir, wo ich wohnte. Ganz zu Garricks Unmut. Er wollte immer wissen, wo sich seine kleinen 'Babyvamps' (so nannte er uns) aufhielten und war gar nicht erfreut, als er herrausfand, dass ich, abgeschottet von jedem, irgendwo lebte, wo er mich nicht finden konnte. Seine Begründung dafür, dass er wissen musste, wo wir lebten, war, dass er sich um uns kümmern wollte und im Notfall zur Hilfe kommen musste. Ich war jedoch der Meinung, dass er uns nur kontrollieren wollte.

Kontrollieren und Manipulieren – seine Fachgebiete.

Die erste Hälfte meines Weges verzichtete ich auf meine vampirische Schnelligkeit und Möglichkeit, mein Ziel in wenigen Sekunden erreichen zu können. Auch wenn ich ein Wesen der Unendlichkeit geworden war, hatte ich nicht alles an Menschlichkeit abgelegt. Ich liebte die Kunst und die Natur noch genauso wie vor 237 Jahren. Noch genauso wie damals, als ich noch ein lebendiges Wesen war. Ungebunden und keinem 'Meister' Ehrfurcht, Respekt und 'zuvorkommende Dankbarkeit' schuldig.

Vampire.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt