„Irina." Avery erschien neben mir, während ich bereits die Stadt, durch das Tor hindurch, verließ. „Meinst du nicht, wir sollten noch etwas bleiben?" Sie legte sanft ihre Hand auf meine Schultern, um mich anzuhalten.
„Wieso?", fragte ich, mich genervt nach ihr umdrehend. „Er weiß doch jetzt, dass ich noch existiere. Also gibt es für mich keinen Grund mehr hierzubleiben." Ich versuchte meine Schulter aus ihrem Griff zu befreien, spürte aber nur, wie sich ihre Finger in meine Haut bohrten.
„Dich können die anderen eh nicht leiden, also solltest du wenigstens versuchen ein loyaler Vampir gegenüber deinem Meister zu sein."
„Leichter gesagt, als getan, bei so'nem Idioten. Du musst dir seinen Scheiß ja nicht antun." Avery hatte das seltene Glück, einen netten und zuvorkommenden Vampir als Meister zu haben. Ein Meister der jedem, Betonung liegt auf 'jedem', seiner über fünfhundert Vampire etwas zum Geburtstag schenkte. Garrick wusste noch nicht einmal mehr, wann ich Geburtstag hatte, geschweige denn, wie alt ich war.
„Aber das bist du ihm, laut der Vorschriften, schuldig."
„Die Vorschriften sind mir ja mal sowas von egal." Damit riss ich mich entgültig von ihr los und begab mich auf den Rückweg. Jones winkte ich noch kurz zu, dann beschleunigte ich meine Schritte, bis alles um mich herum nur noch vorbeiziehende Schemen waren.
Die idylische Landschaft und mein Häuschen darin, erreichte ich nach wenigen Sekunden.
„Jetzt hab ich erstmal wieder dreizig Tage Ruhe vor ihm.", murmelte ich, als ich mir gerade die Schuhe im Flur abstreifte.
Um auf andere Gedanken zu kommen, begab ich mich in die Küche und öffnete hungrig den Kühlschrank, welcher mir sogleich mehrere Optionen für eine verspätete erste Mahlzeit bietete.
Ich entschied mich dazu, heute etwas leichteres zu essen, auch wenn ich niemals wieder einen Gramm zunehmen würde.
Kurz musste ich mich aber durch ein paar alte Dosen kämpfen, fand dann jedoch den Behälter mit dem abgepackten Grünzeugs. Und da ich keine Ahnung hatte, was alles da drinnen war, würde ich es immer als Grünzeug bezeichnen.
Mit einer traurig aussehenden Schüssel Grünzeugs und ein paar Tropfen Dressing darauf, ging ich wieder nach oben und setzte mich auf einen kleinen hölzernen Stuhl auf den Balkon.
In solchen Momenten fand ich es schade, sogar schon fast traurig, dass ich niemals wieder den Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang, bis auf diesen letzten mikrigen Streifen Röte, sehen konnte. Früher, daran konnte ich mich noch genau erinnern, haben meine Mutter und ich immer gerne zusammen gefrühstückt, während wir den Sonnenaufgang betrachteten. Es war jedesmal ein unglaublicher Anblick gewesen. Zu sehen, wie die Nacht sich erhellte und ein neuer Tag anbrach.
Ich knabberte noch ein paar Minuten an den, längst nicht mehr knackigen, Blätter, bis ich es aufgab und die Schüssel aus der Hand legte.
Seufzend ließ ich mich in die Lehne zurück sinken und betrachtete das bisschen Schönheit, das ich noch von der Natur zu sehen bekam.
Einige Vampire waren der Meinung, die ewige Dunkelheit würde alles viel schöner, myteriöser und atemberaubender machen. Ich jedoch fand, dass es den wirklichen schönen Dingen nur ihr eigenes Leuchten nahm und wir gar nicht mehr sehen konnte, welche atemberaubenden Farben auf einer einzigen Wiese zu finden wären. Aber ich hab mich vor langer Zeit damit abgefunden, dass dies der Preis sein würde, den ich für meine Naivität und Dummheit bezahlen musste.
Ich gehörte zu den wenigen Vampiren die nach so vielen Jahren immer noch nicht akzeptiert hatten, was sie waren. Die nach den ganzen Jahrhunderten immer noch in den Spiegel schauten und ihre Blässe viel lieber, gegen eine natürliche Bräune tauschen würden. Denen ihre blutrote Augen, wenn sie von extremen Emotionen überwältigt werden, nicht gefielen und sich eher vor sich selbst fürchten, als sich 'cool' und 'mysteriös' zu finden.
Avery hatte mich einmal gefragt, ob ich, wenn ich die Wahl hätte, lieber weiter ein Vampir bleiben, oder noch ein paar wenige Jahre als Mensch leben würde. Ohne zu zögern hatte ich geantworte: „Mit absoluter Sicherheit würde ich wieder Mensch sein wollen."
Würde mich jemand fragen, wieso ich es so schlimm fand, dann würde ich es ihm so erklärem: Stell' dir vor du wärst das kleine Kind, ohne Selbstbewusstsein, dass von allen Leuten ausgeschlossen wird und mit dem niemand reden wollte. Dieses Gefühl musst du dir nur noch ungefähr verhundertfacht vorstellen, dann weißt du wie es sich anfühlt von seiner eigenen Blutlinie gehasst und vom eigenen Meister, wahrscheinlich auch nicht besonders gemocht zu werden.
Ich saß noch ein paar Stunden einfach nur rum und erinnerte mich an mein menschliches Leben zurück. An meine Familie und Freunde, die alle seit Jahrhunderten tot waren.
Dann entschloss ich mich wieder rein zu gehen.
Eigentlich ging ich jeden Abend früher als jeder andere Vampir ins Bett. Was rein logisch gesehen nicht möglich war.
Aber wenn man sich eine, 'normalerweise', tödliche Wunde zufügte, würde man das Bewusstsein verlieren. Wenn man dann auch noch extra Glück hatte, würde man nicht vor Sonnenaufgang aufwachen und in die Bewusstlosigkeit übergehen, die einen immer bei den ersten Sonnenstrahlen überfiel.
Dies tat ich, spürte nur noch einen kurzen Schmerz, als ich die Klinge an meinen Hals führte und sank danach entspannt auf mein Bett.
Um meine Vorhänge musste ich mir keine Sorgen machen, da eines der Privilegien als Vampir Fensterscheiben waren, die die UV-Strahlung zurückhalten würden.
Ich kam nur noch für wenige Sekunden wieder zu Bewusstsein, um die ersten Sonnenstrahlen miterleben zu können. Dann wurde wieder alles schwarz.
„Irina!" Eine tiefe, brutale Stimme riss mich aus meinem vampirischen Schlaf. Doch bevor ich antworten konnte, wurde ich schon auf die Beine gerissen. Das Blut an meinem Hals und auf dem Bett, schien die Wache vor mir nicht zu irritieren.
„Was?" Jetzt sah ich Jones im Hintergrung, welcher meinem Blick auswich, sobald ich zu ihm sah.
„Sie werden festgenommen!" Die Wache drehte mich um und band mir mit irgendetwas die Hände zusammen.
„Wegen was denn?"
Was sollte ich denn bitte getan haben?!
„Sie werden festgenommen" Er zog das Band, mit welchem er wahrscheinlich meine Hände fixierte, fester zusammen. „ aufgrund der Annahme, das sie am Meister ihrer eigenen Blutlinie einen Mordanschlag verübt haben."
Mordanschlag?!
„Wieso ich?" Ich versuchte mich von ihm loszureißen. „Und was ist mit Garrick?"
„Dem Meister ist nichts passiert, aber sie werde uns begleiten müssen."
Das konnte doch gerade nicht wirklich passieren, oder?
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Vampire.
VampireEs ist allgemein bekannt, dass zwischen einem Vampir und seinem Schöpfer eine für immer währende Verbindung besteht. Ein Schöpfer muss dazu auch noch vollste Verantwortung für seinen Schützling übernehmen, bis dieser sein 250ste Vampirlebensjahr bee...