Nian.

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„Dein Gesichtsausdruck sagt mehr, als Worte jemals könnten.", flüsterte er, während er scheinbar begann nach einer bestimmten Seite im Buch zu suchen. „Du kannst dir nicht vorstellen, dass dein feiner Meister so etwas tun könnte. Nicht überraschend das du es so siehst, wenn man mal bedenkt welche Gefühle zwischen euch vorhanden waren. Oder sollte ich besser sagen, sind?"

„Die Vorstellung ist einfach..."

„Nicht die, die du von ihm hattest. Ich weiß. Für dich war er der nette, wenn auch grobe und arrrogante Ex-Freund, den du immer noch liebst, aber doch nicht leiden kannst."

„Ich liebe ihn nicht mehr!"

„Man schlägt nur zurück, wenn man angegriffen wird.", murmelte er.

„Was?"

„Nur ein kleines Sprichwort unter Waisen..." Er stand auf, mit dem Buch auf einer Seite aufgeschlagen. „Hier." Er legte es vor mir auf den Boden und deutete auf einen Abschnitt auf der rechten Seite. Die Schift selbst war schon etwas verblichen und die hohe Feuchtigkeit in diesem Erdloch tat ihr auch nichts sonderlich gutes, aber lesen konnte ich es noch.

„Was ist das?", fragte ich, nachdem ich es mehrfach überflogen hatte und es immer noch nicht verstand.

Er saß bereits wieder in seinem Sessel und hatte die Beine überschlagen. Sein Blick ruhte emotionslos auf mir. „Ein Rezept."

„Für GBD?", fragte ich fassungslos.

„Natürlich nicht.", antwortete er und verdrehte dabei die Augen. „Als ob ich so ein Rezept hätte. Die liegen irgendwo in den Safe's von den ältesten der ältesten Meistern und werden dort bleiben, bis die alle verrecken."

„Und wofür ist es dann?"

„Für eine Dematerialisierung."

„Eine was?"

„Du hast alles an Wissen vergessen, oder?"

Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern.

„Die Dematerialisierung ist ein Vorgang, bei dem sich ein Wesen, in diesem Fall du, in einen nicht greifbaren oder sichtbaren Zustand versetzt. Da deine Aura ebenfalls so gut wie nicht vorhanden ist, würdest du somit vollständig vom Radar eines jeden anderen verschwinden. Es gibt leider nur zwei Nachteile."

„Und welche wären die?" An sich hörte sich dieser ganze Vorgang sehr einladend an, da ich somit ein viel höhere Chance hätte mein Ziel zu erreichen.

„Einmal würdest du, indem du dich dematerialisierst, eine der schlimmsten möglichen Straftaten begehen. Aber da du sowieso nur sterben willst, sehe ich weder für dich, noch für mich ein Problem darin."

„Wieso ist es eine Straftat?"

„Weil du damit jeglichen Gesetzen und Regelungen der Natur und Übernatur den Mittelfinger entgegenstreckst. Es ist die größte Art der Respektlosigkeit, sein vorherbestimmtes sein zu modifizieren."

„Und was ist der zweite Nachteil?" Ich hoffte wirklich, dass es nichts allzu schreckliches sein würde.

„Du kannst, während du als ein 'Nichts' durch die Gegend schwebst, nicht mehr schlafen. Heißt, du musst diese grässlich helle Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang miterleben.", sagte er, mit angewiderter Miene.

„Ernsthaft?", fragte ich begeistert, da ich nicht ganz glauben konnte, was er gerade gesagt hatte.

„Sag mir nicht, du findest das gut!"

„Natürlich finde ich das gut! Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge sind das schönste was es gibt. Nichts in der Nacht ist auch nur annähernd so atemberaubenden."

„Stimmt.", er schlug sich gespielt dramatisch die Hand vors Gesicht. „Du warst ja mal ein Mensch. Und die legen ja sehr viel Wert auf ihre Sonne."

„Und für diesen Vorgang brauche ich alles was hier steht?", fragte ich, um wieder auf die wichtigen Dinge zu sprechen zu kommen.

„Les' mal laut vor. Vielleicht hab ich einiges davon."

Ich las ihm jede einzelne Zutat vor. Bei den komplizierteren Wörter verhaspelte ich mich jedoch ein paar mal.

„Das heißt 'Ahornhaspelkräutel'.", korrigierte er mich das letzte mal.

„Das wären dann alle."

„Scheint als hätte ich alle im Vorrat hier." Er wollte bereits aufstehen, um die Zutaten zu holen, als ich ebefalls aufstand um noch ein paar grundlegende Dinge zu klären.

„Wie heißt du überhaupt?"

„Ist mein Name wichtig?"

„Ja."

Er zögerte, bevor er weitersprach. „Nian."

„Und wieso hilfst du mir, Nian?"

„Weil ich etwas gutes tun will?!"

„Du bist nicht die Art von Person, die einfach Gutes tut."

„Das stimmt wohl..." Er seufzte und redete weiter. „Ich würde zu gern, nachdem was Garrick meinem Meister angetan hat, sehen wie er selbst leidet."

„Und was hat das mit mir zutun?"

„Er liebt dich, du Idiot. Und was passiert, wenn du stirbst, kannst du dir wohl denken. Er bricht zusammen und bringt sich im besten Fall ebenfalls um. Also helfe ich dir so gut ich kann, deine Mission zu erfüllen." Nachdem er sich wieder umgedreht hatte, sagte er noch kurz etwas über die Schulter: „Ist aber nichts persönliches gegen dich. Du musst halt einfach nur sterben."

Was für ein sympathischer Kerl.

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