Ich musste es.

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„Wieso kannst du nicht einmal auf mich hören?" Seine Schritte hatte ich viel früher als seine Stimme hören können. Mir war sogar schon, als er die Tür hinter sich schloss, was ich durch mein raubtierartiges Gehör bis hier hören konnte, klar, dass ich aufgeflogen war. Aber ich machte mir erst gar nicht die Mühe aufzustehen.

Er setzte sich wortlos neben mich auf den Steg.

„Bin ich so unerträglich?"

„Deine Regeln sind unerträglich.", antwortete ich, um ihm nicht direkt die Genugtuung zu verschaffen, ihm zu sagen, dass ich ihn immer noch mochte.

„Für diese Regeln kann ich aber nichts, Irina." Seine Blick ruhte immer noch auf dem stillen Gewässer vor uns und das einzige was ich von ihm sehen konnte, war sein Profil und die paar Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht fielen.

„Ich weiß."

„Trotzdem hasst du mich aber und ich würde gerne wissen wieso."

Ich hatte nie behauptet ihn zu hassen. Natürlich mochte ich ihn auf eine gewisse Weise nicht mehr, weil er mich im Stich gelassen hatte, aber hassen tat ich ihn nicht.

Und da ich mir dachte, dass nun der geeignete Zeitpunkt für meine tägliche gute Tat wäre, sagte ich kurzerhand: „Ich hasse dich nicht, Garrick. Ich mag dich nur nicht so richtig."

„Und wieso?" Jetzt hatte er sich zu mir umgedreht und schaute mich an.

Seine Augen glänzten im Mondschein und ich meinte die Spiegelung des Wassers darin erkennen zu können.

Um nicht angespannt rüberzukommen verschränkte ich schnell meine Arme hinter meinen Kopf und schaute wieder gen Himmel. „Ich hab keine Lust darüber zu reden, wenn ich doch lieber meine letzten dreißig Tage mit sinnvolleren Dingen verbringen könnte."

„Das werden nicht deine letzten dreißig Tage sein, Irina." Ich erwiderte nichts, um einer Diskussion oder einem Vortrag darüber, dass ich ihm mehr vertrauen sollte und das er das schon hinkriegen würde, aus dem Weg zu gehen.

„Nur eine Sache zu dem Thema."

„Was?" Ich klang wahrscheinlich genervter, als beabsichtigt.

„Ich kann dir nicht die gesamte Wahrheit erzählen.", sagte er, was sofort meine Neugierd weckte. „Aber nur so viel: Ich wollte dich damals nicht verlassen, musste es aber."

Ich hatte mich mittlerweile aufrecht hingesetzt, weil ich dachte etwas wirklich interessantes zu hören, hob nun aber eine Augenbraue, als ich diesen Blödsinn zu hören bekam.

Da selbst ein Blinder gesehen hätte, dass ich ihm seinen Mist nicht abkaufte, begann er erneut zu sprechen: „Ich meine es ernst, Irina."

„Sicher." Überdramatisch nickte ich und stand auf. Kurz streckte ich mich, um meine eingeschlafenen Muskeln wieder zu wecken, bekam dann aber eine riesigen Schrecken, als er aufeinmal mit glühenden Augen vor mir stand.

„Irina." Seine Stimme war nicht mehr so ruhig wie zuvor. „Was ich am meisten hasse, neben allen anderen Kleinigkeiten." Er hatte eines meiner Handgelenke in einen schmerzhaften Griff geschlossenen. „Ist, wenn man mir nicht glaubt, erst recht, wenn ich es wirklich ernst meine. Und du -" Er war nur noch Milimeter von mir entfernt. „- hast mich mehr als einmal auf die Palme gebracht, mit deinem respektlosen Verhalten. Also glaube mir gefälligst, wenn ich dir versuche zu sagen, dass ich dich immer noch, nach all' den Jahren, liebe."

Um ehrlich zu sein hatte er mich am Anfang seines kleinen Aufstands fast gehabt. Denn ich war wirklich respektlos zu ihm gewesen und seine Augen waren schon ziemlich überzeugend. Aber sobald er meinte, er würde mich noch lieben, hatte ich seine kleine Show durchschaut.

Mit einem Ruck, natürlich unterstützt von vampirischer Stärke, riss ich mein Handgelenk weg.

„Fast hattest du mich, Garrick." Grinsend wedelte ich mit einem Finger vor ihm herum. „Aber deine kleine Ansage, von wegen du würdest mich noch lieben, damit hast du dich verraten."

„Verraten?" Das bedrohliche Glühen in seinen Augen verschwand und er schaute verwirrt zu mir.

„Deine Lüge. Ich hätte sie fast geglaubt."

„Du glaubst mir nicht, dass ich dich noch liebe?"

„Nein, schließlich ist das mehr als nur absurd."

Er sagte für mehrere Sekunden nichts, dann schien er aber für einen kurzen Augenblick enttäuscht zu sein, wurde dann aber wieder zu seinem arroganten normalen Ich.

„Hast recht." Er grinste mir zu. „Ich liebe dich zwar nicht mehr, aber versuchen, dich damit rumzukriegen, kann man ja mal."

Damit setzte er sich wieder in Bewegung und ließ mich auf dem Steg zurück.

Ich schaute ihm noch ein wenig hinterher, bis ich dann selbst losging.

Zurück im Haus hörte ich nur noch die Tür im zweiten Stock zuknallen, dann war alles still.

Da ich erfolgreich die meiste Zeit, die mir noch geblieben war, am Steg zugebracht hatte, konnte ich nun selbst ins Bett und den schwachen Strahlen des Sonnenlicht, das einzige, was ich von dem Tag jemals wieder sehen würde, beim aufsteigen zusehen, bis ich selbst in einen tiefen Schlaf fiel.


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