Sonnenaufgang.

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Er ließ mich alleine am Tisch zurück.

Ich wartete noch ein paar Sekunden, bis ich selbst aufstand und mich zur Eingangstür bewegte. Doch sobald ich nur noch wenige Zentimeter von der Tür entfernt stand, die Klinke bereits in der Hand haltend, konnte ich mich nicht mehr bewegen.

Seit 237 Jahren hatte ich das Sonnenlicht nicht mehr gesehen und war dazu verdammt im Dunkeln zu leben.

Sofort flackerten Bilder meiner Mutter auf, von den Abenden an denen wir gemeinsam auf dem Rasen saßen und den Sonnenuntergang betrachteten. Auch von die Morgen im Winter, bei denen die Sonne sich erst zeigte, wenn ich schon längt auf dem Weg zur Schule war.

Es ist schwer nachzuvollziehen, wie ich diese Erinnerungen nach so langer Zeit, noch so lebhaft im Gedächtnis hatte. Aber gewisse Eindrücke brannten sich einem einfach ins Gedächtnis. Und solch ein Eindruck war für mich das wundervolle Farbenspiel, welches sich Sonnenaufgang oder auch Sonnenuntergang nannte.

Was für eine Ironie also, dass ich Vampirin geworden bin.

Ich schloss noch einmal meine Augen, versuchte nicht verrückt zu werden und öffnete die Tür.

Draußen war es natürlich noch dunkel, aber man konnte es schon spüren. Und das bildete ich mir nicht ein, sondern konnte es, als Vampir, wirklich spüren. Einige Vampire nannten es eine Art 'Instinkt', der einem sagte, wann es Zeit zum schlafen wäre. Ich war aber der Meinung, dass sich die Luft mit voranschreitender Zeit immer mehr mit der Energie der Sonne auflud. Ungefähr so wie bei einem Gewitter, wenn man die Elektrizität förmlich riechen konnte.

Nachdem ich mich einige Schritte von der Hütte entfernt hatte, suchten meine Augen nach dem besten Platz, von dem aus ich alles am besten beobachten konnte, sah aber auf den ersten Blick nichts. Als ich dann aber meine Sinne schärfte, konnte ich ein Gewässer plätschern hören. Ob es ein See oder doch ein Tümpel war, konnte ich nicht herraushören. Trotzdem machte ich mich auf den Weg dorthin. Ich schätzte die Entfernung zum Gewässer auf nicht zu weit, weshalb ich mich auch dazu entschied in normaler Geschwindigkeit dorthin zu gehen.

Es war ein kleiner See, dem ähnlich, der in der Nähe meines Hauses war. Ein Steg ragte ebenfalls ins Wasser, sah aber nicht so aus, als würde er mein Gewicht halten können.

Dann fiel mir aber wieder ein, dass ich gar kein Gewicht mehr hatte.

Also ging ich grinsend zum Ende des Stegs und setzte mich hin.

Alles um mich herum war still.

Und dann geschah es. Der erste goldene Schimmer erschien am Horizont. Gefolgt von einer hell erleuchteten Kugel, die ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte.

Wäre ich dazu in der Lage gewesen, hätte ich in diesem Moment geweint.

Die ersten Stunden saß ich einfach nur da und betrachtete wie die Natur und die Tiere alle erwachten. Die Tiere waren hier, wo ich lebte, die einzigen, die am Tag aktiv waren.

Danach lag ich noch mehrere Stunde auf dem Steg herum und dachte über alles mögliche nach. Über meine Zukunft, also die letzten Tage die mir noch blieben, Garrick, und was er gerade wohl tat und zu guter Letzt über meine Mutter.

Damals, zu der Zeit in der ich Garrick kennenlernte, hatte ich furchtbaren Stress mit meiner Mutter gehabt. Man könnte es ein typisches Teenager-Drama nenne, weshalb ich selbst jetzt noch traurig werde, wenn ich darüber nachdachte. Denn wir beide hätten uns mit hundertprozentiger Sicherheit wieder vertragen, nachdem ich die 'rebellierende' Phase meiner Spät-Pubertät überstanden hätte. Und das ich dazu noch eine Chance bekommen würde, dachte ich auch zuerst. Aber auch nur, weil mich Garrick nicht über eine gewisse 'Kleinigkeiten' in Kenntnis gesetzt hatte. Nämlich, dass ich von dem Moment an, in dem ich in einen Vampir verwandelt wurde, nicht mehr bei den Menschen und somit meiner Familie, leben durfte. Von dem einen auf den anderen Moment wurde ich von einer Welt in die andere verfrachtet. Was mit meinen Eltern danach passiert ist, weiß ich bis heute nicht. Ob man ihnen das Gedächtnis gelöscht hatte oder ich angeblich bei einem Unfall ums Leben gekommen war, welcher so furchtbar war, dass kein Fetzen mehr von mir übrigblieb, davon hab ich keinen blassen Schimmer. Mittlerweile ist mir das auch egal, da meine Eltern sowieso seit bestimmt zweihundert Jahre tot waren.

Ich hatte anfangs oft versucht eine Antwort darauf aus Garrick herrauszubekommen, warum er mir so etwas wichtiges vorenthalten hatte. Er sagte aber immer nur, er hätte Angst gehabt, ich wäre dann nicht mit der Verwandlung einverstanden gewesen. Seine Vermutung war auch in keinster Weise falsch. Ich hatte Vampirismus eher als einen netten Bonus gesehen, durch den ich unsterblich werden würde und ein paar praktische Fähigkeiten bekommen würde.

Aber egal wie viel ich auch noch darüber nachdachte, ändern würde es sich nie. Das einzige was ich nun tun konnte war, diesem Albtraum ein jähes Ende zu verschaffen.

Und genau deswegen stand ich auch wieder auf und verließ den Steg. Ich stutzte nur kurz leicht darüber, dass ich scheinbar den ganzen Tag nichts getan hatte, da die Sonne wieder zu verschwinden began.

Bereuen tat ich aber keine einzelne Sekunde dieses Tages, vielmehr war ich froh den Sonnenaufgang und -untergang noch ein letztes mal intensiv miterlebt zu haben. Denn beim nächsten wollte ich bereits unterwegs, zum ersten Punkt, sein.

Und um zu dieser alten Kirche zu kommen, machte ich mich gleich in die Richtung auf, die vom Dorf wegführte.

Nach ein paar Metern bereits, kontzentrierte ich mich und versuchte die Gegend, mit meinen Gedanken, nach einer Kirche zu durchforsten. Und fand tatsächlich eine ziemlich weit weg. Sogar mit dem Vampirsprint würde ich mindestens eine Nacht, vielleicht auch noch den Tag brauchen.

Also lief ich sofort, um keine Zeit zu verschwenden, los.

Meinem Ziel immer näher kommend.

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