Ausgestoßener Lehrling.

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Vielleicht, so dachte ich, war diese Möglichkeit genau das, was ich gebraucht hatte. Einen nachvollziehbaren Vorwand mich selbst umzubringen.

Anderen, deren ihr Leben lieb und teuer war, wäre die Entscheidung sicherlich viel schwerer gefallen, aber ich hatte seit langem keine Lust mehr auf dieses ganze Theater.

Die Ausgrenzung, die Blicke der anderen und dazu noch, die durchgehende Erniedrigung, für immer mit ihm verbunden zu sein, wobei er derjenige ist, den ich am liebsten nie wieder gesehen hätte.

Ich war bereits eine ganze Weile unterwegs. Bin zuerst quer durch den Wald gelaufen und befand mich nun auf einer Straße. Wohin sie führte wusste ich nicht, nur das sie scheinbar von der Stadt wegführte. Trotzdem schien es aber, als würde ich erst in ein paar weiteren Kilometern auf irgendjemanden treffen.

Nach einer weiteren halben Stunde sah ich den ersten Streifen Röte am Horizont. Sofort wurde ich wieder melancholisch und blieb stehen, um das Schauspiel zu betrachten.

Ich könnte einfach stehen bleiben und darauf warten, dass ich verbrenne.

„Kein Suizid vor meinem Erdloch!", hörte ich plötzlich jemanden hinter mir brüllen. Dann wurde ich schon von hinten gepackt und irgendwo hinunter gezogen.

„Was zum Teufel?!", fluchte ich, sobald ich wieder festen Boden unter mir hatte. Panisch drehte ich mich um.

„Ich will dir nichts tun.", sagte eine dunkle Gestalt, die ich von meiner Position aus nur schemenhaft wahrnehmen konnte. „Ich hab nur keinen Bock, keine Ruhe zu bekommen, weil du dich da draußen abfackelst."

„Ich wollte gar nicht...", setzte ich zu einer Erklärung an, wurde von ihm aber unterbrochen.

„Doch wolltest du. Zumindest hast du es in Erwägung gezogen."

Jetzt trat die Person endlich ins Licht einer flackernden Kerze.

Es war ein junger Mann, kein Vampir und auch sonst nichts, mit einer auffällig übernatürlichen Aura.

„Ich bin ein ausgestoßener Lehrling, bevor du dich fragst, welcher Spezies ich angehöre."

„Kannst du..." Er unterbrach mich schon wieder.

„Nein, ich kann nicht Gedanken lesen.", beantwortete er meine, nicht ausgesprochenen, Frage. „Aber ich kann deine Mimik und Gestik lesen und interpretieren, was du denkst und sagen willst."

Anders wäre es wohl auch nicht möglich, dass er wusste, was ich dachte oder ihn fragen wollte.

Genervt seufzte er, ließ sich in einen hohen Sessel fallen und schlug die Beine übereinander.

„Du kannst den Tag über hier bleiben.", sagte er nach kurzem Zögern. „Danach lass ich dich dann wieder gehen."

„Was ist das hier eigentlich?"

Er erwiderte kurz meinen Blick und antwortete: „Mein Zuhause. Ein wandelndes Erdloch. Falls du mit dieser Beschreibung nichts anfangen kannst, solltest du anfangen Bücher zu lesen."

Ich hatte mir, kurz nachdem ich verwandelt wurde, alle Werke über jegliche Spezies oder Lebensform durchgelesen, konnte mich beim besten Willen aber nicht mehr an eine wandelndes Erdloch erinnern.

„Ich bin schon ziemlich alt, deswegen ist es schon etwas länger her, dass ich mich über sowas informiert habe."

„Was heißt für dich alt?" Seinem Ausdruck zu folge, hielt er mir wahrscheinlich für einen Jüngling, der im besten Falle hundert Jahre alt war.

„Über zweihundert."

Überrascht hob er eine Augenbraue. „Dafür hast du deine Aura aber sehr zurückgehalten. Hast wohl nicht oft Kontakt mit anderen Vampiren?"

„Nur wenn ich muss."

„Zu welcher Sippschaft gehörst du?", fragte er. So langsam schien er mir etwas offnener gegenüberzutreten.

„Garricks."

Seine Augen verdunkelten sich sofort, als ich den Namen aussprach und seine Hände ballten sich zu Fäusten.

„Mein Beileid.", presste er hervor.

„Danke.", sagte ich und warf ihm ein leichtes Lächeln zu, um ihm zu versichern das ich selbst nicht wirklich begeistert von Garrick war.

Es verging bestimmt eine Minuten, bis er wieder etwas sagte.

„Setz dich." Er zeigte auf einen kleinen Hock vor sich und ich setzte mich darauf. „Warum bist du unterwegs?" Neugierig beugte er sich nach vorne und legte das Gesicht in seine Hände.

„Die nette Version oder die nicht so nette Version?"

„Die eiskalte, bitte."

„Ich will mich umbringen und suche dafür einen Magier der mit GDB verkauft."

Er schaute mich einen Moment nur stumm an, bevor er etwas erwiderte.

„Bei deinem Meister wundert es mich nicht, aber erlaube mir zu fragen..." Er lehnte sich wieder zurück und schaute mir direkt in die Augen"...warum so eine hübsche Dame wie du sich umbringen will."

„Sagen wir es so.", setzte ich an. „Ich hab die Wahl zwischen Selbsmord oder Verbrennung, und da ist mir Selbstmord doch um einiges lieber."

„Verstehe..."

Plötzlich stand er auf und ging an ein Regal an einer Seite, des kleinen Raumes. Dann kam er wieder, mit einem dicken Buch in der Hand.

„Weißt du was ein ausgestoßener Lehrling ist?", fragte er mich, während er abwesend in dem dicken Wälzer herumblätterte.

„Nein."

„Ein Lehrling ist jemand, der die Lehren und Weisheiten der Magie von einem Meister der Magie lernt."

„Und warum wurdest du ausgestoßen?"

„Wurde ich nicht. Zumindest nicht direkt. Mein Meister wurde umgebracht, deshalb wurde ich indirekt ausgestoßen. Ohne Meister sind Lehrlinge sozusagen die Waisenkinder, der Magierschulung. Keiner will mit ihnen zutun haben, weil sie einem gleichermaßen leidtun und komisch vorkommen."

„Und wer hat deinen Meister umgebracht?" Ich war mir nicht sicher, ob ich das fragen konnte, tat es aber trotzdem.

„Dein Meister."

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