11 Flucht in die weiße Stadt

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Das schlimmste am Krieg waren nicht die Schlachten selbst, sondern das Warten darauf, dass endlich etwas passierte, dachte ich, während ich unruhig auf der Mauer hin- und herlief. Seit dem letzten Angriff war schon fast ein halber Tag vergangen, den die Soldaten zum Ausruhen und Ausbessern ihrer Rüstung genutzt hatten. Auch ich hatte mich wieder aufgerüstet. Von einem Soldaten, der aufgrund plötzlicher Kopflosigkeit kampfunfähig geworden war, nahm ich mir ein Schwert. Damit hatte ich eine ganze Weile auf unsichtbare Gegner eingeschlagen, um mich an das ungewohnte Gewicht (ich kämpfte eigentlich mit leichteren Klingen) zu gewöhnen. Aber irgendwann hatte Faramir dann darauf bestanden, dass ich mich jetzt hinsetze und meine Kräfte schone. Gut, in Ordnung. Ich hockte mich also auf die Mauer und guckte zum Fluss und dann runter in die Stadt, wieder zum Fluss, wieder zur Stadt... Langweilig! Ich wollte nicht so dumm rumsitzen. Ich wollte was unternehmen. Also sprang ich wieder auf und lief eine ganze Weile auf und ab, guckte in die Ferne und fragte mich plötzlich, ob man von hier aus auch auf Minas Tirith schauen konnte.

Faramir lachte, als ich ihm die Frage stellte. „Ja, aber Ihr müsst zur anderen Seite schauen. Und es darf nicht so nebelig sein, wie jetzt."

Da hatte er leider recht. In den letzten Stunden war ein hässlicher Nebel über den Fluss gekrochen und dunkel geworden war es auch.

„Wird es etwa schon Abend?", fragte ich, verwirrt weil es doch vorhin erst ein karges Mittagessen gegeben hatte. Auch Faramir zuckte die Schultern und schaute sorgenvoll zum Himmel.

„An solchen wolkenverhangenen Tagen verliere ich immer jegliches Zeitgefühl.", murmelte er vor sich hin, „Aber egal, ob Abend oder nicht, es wird dunkel und in der Dunkelheit fühlen sich Mordors Diener bekanntlich am Wohlsten. Ich fürchte, es wird nicht mehr lange dauern. Haltet Euren Blick nach Norden gerichtet. Es ist am Wahrscheinlichsten, dass sie von dort kommen."

Nun, mit einem sollte er recht behalten. Der Angriff erfolgte bald. Keine zehn Minuten mussten wir mehr warten, dann hörten wir ein lautes Scheppern und entsetzte Ausrufe in unserem Rücken.

„Sie komme nicht aus dem Norden.", stellte Faramir schlauerweise fest, als er den schwarzen Pfeil in der Brust des Mannes sah, dessen Rüstung den Lärm verursacht hatte, als er von der Brüstung fiel.

„Zu den Häfen! Schnell! Zu den Häfen!", brüllte er jetzt und rannte davon, wie von der Tarantel gestochen.

Ich folgte ihm mit gezogenem Schwert, auf eine seltsame Art und Weise froh, dass endlich etwas passierte und wild entschlossen, mindestens genau so mutig zu kämpfen, wie all die anderen hier.

Einige Stunden später verfluchte ich meine Ungeduld, und wünschte mir die Wartezeit wieder herbei. Und was meinen Mut betraf, der hatte sich schon längst im Blut ertränkt. Es waren tausende von Orks, die da über den Fluss gekommen waren und Osgiliath angriffen. Dieser Übermacht waren wir unmöglich gewachsen, um mich herum starben die Männer wie Fliegen und ich hatte schon vor einer gefühlten Ewigkeit aufgehört, daran zu glauben, dass ich noch einmal mein Schwert heben könnte. Konnte ich aber doch. Immer und immer wieder. Zustechen und ausweichen, herumwirbeln, wieder zustechen. Arme, Beine und Köpfe abhacken, schwarze Herzen durchbohren. Aber egal, wie viele Orks ich erschlug, es kamen einfach immer mehr. Und jetzt waren auch noch die NazGûl zurückgekommen, flogen mit ihren Drachenviechern über den Himmel und kreischten, dass einem das Blut in den Adern gefrieren konnte. Das Schreien der Tiere schien wie Musik in den Ohren der Orks zu sein. Angefeuert von ihren persönlichen Cheerleadern kämpften sie nun umso verbissener.

Das hier war mein erster richtiger Kampf seit Amon Hen und auch jetzt wusste ich, wie aussichtslos unsere Lage war. Anfangs hatte ich noch versucht, in Faramirs Nähe zu bleiben, um ihn zu beschützen. Aber ich wusste schon lange nicht mehr, wo der steckte und konnte nur hoffen, dass er noch am Leben war. Wenn er tot ist, bring ich ihn um, dachte ich grimmig. Das war aber nicht nötig. Gerade hatte ich einen Ork von seinem Kopf befreit, als ich eine heißere Stimme „Rückzug!", brüllen hörte, „Rückzug nach Minas Tirith!" Fast gleichzeitig enthauptete ein blutiges Schwert einen weiteren Ork, der sich mir von der Seite genähert hatte, ich wurde an der Hand gefasst und mitgezogen. Mein Schwert ließ ich vor lauter Schreck fallen (Ich war wirklich die beste Kriegerin aller Zeiten).

A Bit Of Lost Love/ #Wattical Award 2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt