17 Die kleine Stimme eines großen Mannes

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Ich kam gerade rechtzeitig wieder in mein Krankenzimmer, um mich von einer alten Pflegerin anraunzen zu lassen, wo ich denn bitteschön gewesen sei (Das hier sind die Häuser der Heilung, nicht des Vergnügens. Ihr habt auf Eurem Zimmer zu bleiben. Wir haben überall nach Euch gesucht, bla bla bla.) Die untersuchte dann noch wenig vorsichtig meine Schulter und stellte fest, dass die Verletzung gut verheilte und ich nur eine kleine Narbe zurückbehalten würde. Das hätte mich wohl freuen sollen. Wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre.

Ich ging früh zu Bett an diesem Abend. Nicht, weil ich so furchtbar müde gewesen wäre, sondern einfach, weil ich keine Lust hatte, irgendetwas anderes zu tun. Nicht mal mein Abendessen hatte ich angerührt. Keinen Appetit.

Nun lag ich im Bett und hätte am liebsten weitergeweint. Ging aber nicht. Scheinbar war mein Vorrat an Tränen aufgebraucht. Ich schlief also nur mit einem Kloß im Hals und dem Bild von Faramir und Éowyn im Kopf ein.

Kurz nach Sonnenaufgang weckten mich zwei nervtötend helle Stimmen aus einem vergleichsweise angenehmen Traum.

„Aufwachen, meine Dame, aufwachen! Heute ist ein großer Tag! Ihr müsst Euch vorbereiten!"

Ach ja, Aragorns Krönung stand ja heute auf dem Tagesplan und ich war wohl auch eingeladen. Hm, klar. Aragorn, oder Elessar, wie er jetzt genannt werden wollte, hatte fast ganz Mittelerde eingeladen, hätte er mich als seine langjährige Begleiterin vergessen, hätte ich wohl einigermaßen beleidigt sein sollen.

Wäre ich aber nicht gewesen. Im Gegenteil. Ich wollte mich am liebsten den ganzen Tag im Bett verkriechen, heulen und mich in Selbstmitleid baden.

Stattdessen badete ich in einem heißen Kräuterdampfbad, während eine freundliche, aber viel zu gesprächige Krankenpflegerin mir die Haare wusch und kämmte und mir anschließend ein neues Kleid brachte. Kein Ballkleid, ich wollte keins, ein einfaches weißes, knielang und schulterfrei.

Jaja, ich weiß, so hat man sich als Mädchen nicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Aber die Öffentlichkeit konnte mich mal. Nachdem ich fertig gebadet und angezogen war, hockte ich mich auf eine Steinbank auf meinem Balkon, ließ meinen Blick über die geschäftigen Straßen Minas Tiriths und meine Gedanken in weite Ferne schweifen.

Wie ich da so saß, verstrickt in dunkle Hirngespinste, hörte ich hinter mir ein leises Räuspern.

„Die Krönung fängt bald an.", hörte ich Pippins Stimme an der Tür.

„Geh vor, ich komme nach.", antwortete ich, ohne mich umzudrehen. Ich hörte allerdings keine Schritte, die sich entfernten.

„Hör mal, was du gestern gesagt hast...", begann Pippin und ich konnte mir lebhaft vorstellen wie er verlegen auf seiner Unterlippe herumkaute.

„Was ist damit?", fragte ich, während ich eine Federwolke am Horizont betrachtete.

„Naja, ich frage mich nur, ob du dir wirklich sicher bist, dass du dich verliebt hast. Ich meine..."

„Bist du bescheuert?", rief ich und krallte meine Hände in meine Oberschenkel, „Ich war mir selten so sicher, wie bei... bei meinen Gefühlen. Ich weiß nicht, warum du dir darüber Sorgen machst, aber du kannst mir glauben: Ich liebe Faramir wirklich." Pippin schwieg.

„Ja, ich weiß, was du sagen willst. Wenn ich ihn liebe, dann sollte ich mich jetzt für ihn freuen, weil er offensichtlich Éowyn gefunden hat, aber... Das kann ich nicht. Noch nicht. Im Moment macht es mich einfach traurig..."

„Das meinte ich nicht!", unterbrach Pippin mich schnell, „Ich fragte mich nur, warum du nicht mit ihm reden willst?"

Hatte ich das gerade richtig gehört? Der Junge hatte sich wohl mal wieder an Gandalfs Pfeifenkraut vergriffen.

A Bit Of Lost Love/ #Wattical Award 2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt