9 Auf dem Weg nach Osgiliath

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Trotz des Angebots miteinander zu plaudern, liefen wir eine ganze Weile schweigend nebeneinander her. Ich hätte gerne mit Frodo und Sam darüber geredet, was es für uns bedeutete nach Osgiliath zu gehen und wie wir unsere Reiseplanung am besten umändern, aber dazu hätte ich mit den beiden allein sprechen müssen. (Es kommt nicht gut, vor seinem Entführer über eventuelle Fluchtpläne zu sprechen) Theoretisch wäre es auch kein Problem für mich gewesen, zur Mitte des Heerzuges zu gelangen, wo die beiden Halblinge müde nebeneinander herstapften, nur jedes Mal, wenn ich meine Gangart veränderte, passte Faramir sich mir an. Er wollte einfach nicht von meiner Seite weichen. Also gab ich mein Vorhaben irgendwann auf und seufzte resigniert. „Also gut, dann erzählt mir was.", forderte ich ihn auf, worauf Faramir mir ein überraschtes Gesicht zuwendete. „Wie bitte? Entschuldigt, ich war gerade in Gedanken. Was habt Ihr gesagt?"

„Ihr sollt mir etwas erzählen.", wiederholte ich meine Forderung, was den jungen Mann noch verwirrter aussehen ließ. „Was denn?", fragte er irritiert. Oje, der musste ja wirklich sehr tief in Gedanken gewesen sein.

„Na irgendwas.", antwortete ich belustigt, „Äh, warum habt ihr einen Baum auf eurer Flagge?" Die Frage war als Spaß gemeint, aber das schien der Herr Waldläufer nicht verstanden zu haben.

„Naja, das ist eine lange Geschichte. Wisst Ihr, der weiße Baum Gondors ist schon seit vielen...", begann er zu erklären, und ich hielt es für besser, ihn schnell zu unterbrechen.

„Schon gut. Das war ein Witz! Ich kenne die Geschichte Gondors, und seiner Flagge. Erzählt mir etwas anderes. Etwas...über euer Leben. Erzählt was aus Eurem Leben. Was habt Ihr denn so getrieben, bevor Ihr in Ithilien Haradrim abgeschossen habt?"

„Mein Leben ist nicht sehr aufregend.", murmelte Faramir beschämt, erzählte mir dann aber doch von seiner Kindheit; er erzählte von seinem Vater, der ihn stets nur als lästiges Anhängsel sah, von seiner Mutter, an die er sich kaum erinnern konnte und davon, wie er mit seinem Bruder gemeinsam gelernt und trainiert hatte. „Ja, und mit zwanzig wurde ich dann zum Heermeister Gondors ernannt. Das war vor nunmehr fünfzehn Jahren.", beendete er schließlich seinen Bericht und lächelte mich ein wenig verlegen an. Ich lächelte zurück, und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich Faramir auf gerade mal Ende zwanzig geschätzt hatte. Vielleicht sollte ich es aufgeben, das Alter von Menschen erraten zu wollen.

„Jetzt möchte ich aber etwas aus Eurem Leben erfahren.", verlangte Faramir und schaute mich abwartend von der Seite an. „Das ist noch langweiliger als Eures.", murmelte ich, aber dann erzählte ich doch von meiner Rohirim- Mutter und meinem Vater aus Minas Tirith. Ich erzählte, wie ich mit zwölf als Einzige den Angriff auf mein Dorf überlebt und mich anschließend im Wald verirrt hatte. Ich erzählte von Aragorn, der mich irgendwann fand und mir erlaubte ihn zu begleiten. Erst nur bis ins nächste Dorf- und dann ins nächste- und ins übernächste. Bis er es irgendwann aufgab, mich wieder loswerden zu wollen. Ich berichtete, wie er mir Spurenlesen und Schwertkampf beigebracht hatte, und auf die Stimmen der Natur zu achten und wie wir gemeinsam zu den unmöglichsten Orten reisten. „Zehn Jahre lang ging er nirgends ohne mich hin. Dann kamen wir nach Bree, trafen die beiden Kerle da vorn und... der Rest ist bekannt.", schloss ich schließlich meinen Bericht und tat so, als würde ich es nicht bemerken, dass Faramir mich plötzlich ziemlich forschend musterte. „Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr erst 22 seid.", meinte er dann beiläufig, „Ihr wirkt um Einiges älter."

„Oh, danke.", knurrte ich. Das hörte man doch gerne. Das man „Alt" wirkte. Trottel.

„Nein, ich meinte nicht, dass Ihr alt ausseht!", beeilte sich Faramir zu sagen, „Ich meinte, Ihr wirkt, charakterlich älter, äh, erfahrener. Versteht ihr? Das ist ein Kompliment."

A Bit Of Lost Love/ #Wattical Award 2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt