IV

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Eisern starre ich den Boden an, die Sekunden ziehen sich elendig in die Länge und meine Muskulatur fängt an zu zucken und sich gegen den Blutmangel aufzulehnen. Seine Anwesenheit kann ich gar nicht weiter beachten, ich bin viel zu sehr in mir gefangen. Das wird also mein Schicksal sein... Ein dreibeiniger, verkrüppelter, ausgestoßener und verbitterter Wolf wird aus mir werden. Doch mein Rudel steht über meinem eigenen Wohl, mein Rudel ist wichtiger als ich, ich bin nur ein winziger, unbedeutender Teil.

Der plötzliche Schmerz schießt wie ein Nadelstich durch meinen Arm, meine Finger wollen sich verkrampfen, doch schon längst reagieren sie nicht mehr. Bald ist es so weit... Mein Atem geht stoßweise, mein Herz schlägt viel zu panisch in meinem Brustkorb und das Zittern meines nicht abgeschnürten Arms geht auf meinen ganzen Körper über. Bald schon hänge ich kraftlos in meinen Handschellen und lasse meinen Kopf nach unten sinken. Ich fühle meinen Arm nicht mehr, ich denke es ist vorbei... Eine einzelne Träne rinnt zu meinem Kinn, verharrt dort kurz und tropft auf mein Knie. Langsam bahnt sie sich ihren Weg an meiner Wade entlang, bis hin zum Fußboden.

Auf einmal löst sich die Spannung des Seils, doch mein Arm ist und bleibt für immer gefühllos. Er verlässt leise den Raum, lässt mich hier im Dunkeln zurück und ich schluchze. Hätte es nicht auch anders enden können? Hätte ich das Armband finden können, habe ich etwas übersehen? Wird mich mein Rudel vielleicht doch nicht verstoßen, wenn ich die Chance bekomme, alles zu berichten? Resigniert lasse ich die Leere mein Denken komplett einnehmen, um die mentalen Schmerzen für eine Weile zu vergessen. Ich spüre, wie mein Wolf langsam zurückkehrt, die Spritze scheint nicht sonderlich lange zu wirken. Doch ich verwandle mich nicht, möchte nicht spüren, wie mein Bein unter meinem Gewicht nachgibt.

Ich könnte mich aus den Fesseln befreien, doch wofür? Was bringt es mir? Gar nichts.

Unglaublicher Ärger über mich selbst kocht in mir auf. Ich hätte ihn anfallen sollen, als ich die Chance dazu hatte, ich hätte unbedingt den Bruder des Armbands ausfindig machen müssen, denn dann hätte ich es mitnehmen können und wäre... frei gewesen. Warum bloß habe ich den Versuch gescheut? Warum habe ich die Strafe gescheut? - Ich habe nie im Traum daran zu denken gewagt, dass er mir nach dieser kurzen Zeit schon ein Körperteil abschnüren würde.

Nach Stunden der Selbstvorwürfe kommen fünf Vampire näher und öffnen schlussendlich den Raum. Das Licht strahlt mir entgegen und ich schließe die Augen. Sie befreien mich von meinen Fesseln, packen mich wie gewohnt an meinen Oberarmen und erinnern mich damit an die nackte Tatsache.

In meinem - Gott ist es schon weit gekommen... ich sage schon MEIN - Raum angekommen, bleibe ich regungslos liegen, was soll ich auch tun? Mein Leben ist nun eh von Grund auf ein anderes. Mein Magen krampft sich vor Hunger zusammen, doch immer noch sehe ich es nicht ein, mich wissentlich zu vergiften. Er kann mich mal.

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Am nächsten Morgen werde ich an meiner Schulter wachgerüttelt und drehe mich träge auf den Rücken. Wieder ergreift mich der altbekannte Schwindel, doch diesmal ebbt er auch nach einiger Zeit nicht ab.
"Du musst sofort etwas trinken." - "Du musst dich verpissen", antworte ich nur leise.
"Ich meine es ernst, du klappst mir sonst gleich zusammen." - "Was interessiert's dich?", gebe ich zynisch zurück. Kommentarlos holt er das Wasser und trinkt einen Schluck, bevor er es mir reicht.
"Genügt dir das?", gibt er von sich und ich mustere ihn misstrauisch. Doch da kurz ein schwarzer Schleier an mir vorbeihuscht, greife ich nach der Schale und trinke mit schmerzenden Fingern. Sie pochen unangenehm und reagieren auf den kleinsten Druck hyperempfindlich. Auch wenn die Knochen endlich so gut wie zusammengewachsen sind, der Verlust meiner Nägel ist allzeit präsent.

Das Wasser tut gut, rinnt wie flüssiger Honig meine Kehle entlang und sammelt sich kalt und wohltuend in meinem Magen - bis die kleine Schüssel mit einem lauten Klirren auf den Boden trifft und in kleine Stücke zerspringt.

Panisch starre ich meine Hände an, kann die Situation sekundenlang nicht realisieren, bis ich meinen Gesichtsausdruck - blankes Entsetzen - endlich wieder unter Kontrolle bekomme. Ich bewege meinen rechten Arm. Zwar ein wenig langsam und mit taubem Gefühl, doch ich bewege ihn.

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Die nächsten Tage laufen unerwarteter Weise vollkommen unbehelligt für mich ab - meine Rettung. Ich war schon so verdammt kaputt, ausgelaugt und diesen Effekt erzielte er in nur zwei Tagen... Es waren nur zwei verdammten Tage! Es macht mir Angst, höllische Angst.
Hätte er in diesem Tempo weitergemacht, wäre es nur noch eine Frage der Zeit gewesen und ich hätte ihm alles erzählt...

Schon am selben Tag, an dem er das Wasser erfolgreich in mich hinein bekommen hat, bin ich auch beim Essen schwach geworden. Wir haben anscheinend die stumme Vereinbarung geschlossen, dass er ein Stück meines Essens vor meinen Augen zu sich nimmt. Damit kann ich mich halbwegs absichern, dass mir nichts untergemischt wird - rede ich mir zumindest ein. Denn dass dem trotzdem nicht so ist, weiß ich eigentlich...

Als mein Arm wieder halbwegs normal funktioniert, habe ich den Versuch gestartet - und bin gescheitert. Ich wollte ihn außer Gefecht setzen, doch stattdessen hat er mir einige blaue Flecken und Prellungen beschert und hat selbst nur einige Kratzer und eine harmlose Bisswunde davon getragen. Tja, das Leben ist schon unfair...

Wer konnte schon wissen, dass er so gut ausgebildet ist?

Ich seufze. Ich bin auf seine Finte hinein gefallen, habe ihm abgekauft, dass er mir meinen Arm abbindet und abnehmen lässt. Erniedrigend, doch ich habe ihm diese detaillierte Kenntnis nicht zugetraut. - Ich gebe es zu, ich habe ihn grundlegend unterschätzt...

Mein Körper fühlt sich an, als wäre er um Jahre gealtert. Langsam blättert der Schorf an meiner Brust und meinem Bauch ab und hinterlässt tief rosane, empfindliche Streifen auf meiner Haut. Ein schöner Kontrast zu den Narben auf meinem Rücken - ein Körper möchte doch einheitlich sein, oder etwa nicht?
Auch meine verbrannte Haut an meiner Schulter ist so gut wie wieder hergestellt. Meine Finger allerdings bessern sich kaum. Ich kann kaum ohne Schmerzen Dinge greifen, sei es nur die Hose oder ein einfacher Teller und das macht mich schier wahnsinnig.

Also warte ich nun jeden Tag, an dem nichts geschieht und ich zum dahinvegetieren verdammt bin, auf die große Überraschung. Denn er wird nicht aufgegeben haben, er wird etwas aushecken und wahrscheinlich einem eindeutigen Plan folgen. Und desto länger ich verschont werde, desto schlimmer könnte das, was kommt, werden...

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"Denkt ihr Shay schafft das?" - "Er wird sich die Belohnung auf keinen Fall durch die Lappen gehen lassen - also ja." Gemurmel entsteht.
"Er scheint den Kleinen echt hart ranzunehmen... Er soll vieles einfach wegstecken..."

Blood Feud (mxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt