VI

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Etwas tippt mich am nächsten Morgen an der Schulter an und ich zucke knurrend zurück.
"Hey, komm raus da", sagt er sanft und will nach meinem Vorderbein greifen, doch ich schnappe knurrend nach ihm.
"Hey! Was geht denn bei dir ab?!", fährt er mich erschrocken an.

Ich lasse nur ein tiefes Grollen vernehmen und presse mich gegen die Wand. Er legt sich vor das Bett und lugt darunter.
"Lass mich einfach in Ruhe!", fahre ich ihn schlecht gelaunt an. Was hat er auch erwartet? Er hat meine Mauern gestern gnadenlos niedergerissen und hat aus mir Informationen herausgepresst. Er hat mich hilflos und bettelnd unter sich gehabt, ich habe mich seinen Berührungen förmlich entgegen geschmissen - eine der größten Erniedrigungen, die es gibt.

"Das mit gestern tut mir leid", spricht er nun genau dieses Thema an.
"Jetzt tu doch nicht so", pampe ich ihn sarkastisch an.
"Das ist mein Ernst. Das war keine feine Methode, ich weiß! Aber ich brauche diese Informationen dringend", versucht er sich zu erklären.
"Tja, und ich darf diese Informationen auf keinen Fall rausrücken, weißt du?", gebe ich patzig zurück und drehe ihm meinen pelzigen Rücken zu, um ihm zu zeigen, dass dieses Gespräch hiermit beendet ist.

"Ich heiße Shay", vernehme ich ganz leise und drehe mich plötzlich wieder um. Ist das wahr? Der Name hat einen gewissen Einfluss auf den Vampir, warum sollte er ihn mir also verraten?

Immer noch mit diesem Gedanken beschäftigt, komme ich unter dem Bett hervor. Ich rieche, als hätte ich mich Jahre nicht gewaschen und benutze naserümpfend das kleine Waschbecken und die stinkende Handseife.

Meiner Meinung nach rieche ich nun immer noch nicht besser, aber immerhin stinke ich nicht mehr nach Schweiß. Nach einigen Minuten kommt erneut jemand in meine Nähe und öffnet meine Tür. Wut köchelt schon seid gestern Abend in mir und daher stürze ich mich auf ihn. Erschrocken fährt er herum, doch ich hänge schon an seinem Rücken und er verliert das Gleichgewicht. Aggressiv beiße ich mich in seinem Nacken fest, bis es knackt. Mein Blick ruht kurz auf dem leblosen, blutüberströmten Körper und dann wende ich mich ab. Die Tür ist nur angelehnt und ich drücke sie auf. Hinter mir schließe ich sie vorsichtshalber wieder und wende mich lautlos nach links. Schon weißt mir das Armband den Weg und zieht mich in eine bestimmte Richtung.

Ich schleiche mich unbemerkt durch die Gänge, bis ich vor einer silbernen Tür stehe, das gleiche Model wie die vor meinem Zimmer. Ein junger Vampir kommt um die Ecke und erstarrt bei meinem Anblick. Mit einem Sprung presse ich ihn zu Boden. Kurz verwandle ich mich und er fängt an zu wimmern, als sich mein nackter Körper gegen ihn presst.
"Du öffnest jetzt diese Tür und gehst als erster hinein", flüstere ich in sein Ohr er nickt ängstlich.

Wieder in Wolfgestalt gehe ich von ihm runter und knurre warnend, als er sich aufrichtet. Seine dunklen Augen huschen nervös zu mir, bis er langsam zur Tür tritt und seinen linken Daumen gegen eine kleine Einkerbung presst. Leise springt die Tür auf und er dreht sich nochmals unsicher zu mir, bevor er den Raum betritt. Misstrauisch schaue ich mich um, behalte ihn im Auge und suche nach dem Armband. Doch der Raum ist staubig und unbenutzt und die bittere Erkenntnis erhält plötzlich Einzug.

Das Armband ist in die Wand zwischen den beiden Zimmern eingemauert worden.

Ein Knallen und ich schnelle herum, dieser miese Drecksack hat sich doch wirklich aus dem Staub gemacht! Wie verdammt schnell sie aber auch sind! Also bleibt mir nichts anderes übrig, als zu warten. Denn hier befindet sich rein gar nichts, außer... eine kleine Kommode. Interessiert nähere ich mich ihr und öffne die Schubladen.

In der ersten befinden sich eine schwarze, schlichte Schatulle und zwei abgenutzte Kinderspielzeuge - ein grauer, flauschiger Hase und eine puschelige Fledermaus. Wie klischeehaft! Darunter finde ich einige Dokumente, doch ich höre schon Stimmen näher kommen. Schnell öffne ich die letzte und nehme erstaunt das verstaubte Photo in die Hand. Darauf ist eine junge Frau zu sehen, die breit in die Kamera strahlt. Augenscheinlich war sie damals schwanger, denn ihr runder Bauch ist trotz der ausladenden Kleidung kaum zu verleugnen. Ihre Umgebung sieht nach ärmlichen Verhältnissen aus, der Raum ist klein und altmodisch und müsste dringend renoviert werden.

Unwirsch wird mir das Photo aus der Hand gerissen und ich schaue in sein schmales, verkniffenes Gesicht.
"Wer ist sie?", frage ich leise. Ein wenig Ehrfurcht liegt in meiner sonst so kalten Stimme.
"Wenn du nicht sofort still bist, bist du tot!", brüllt er mich an und stößt mich hart gegen die Wand, ich beginne zu zittern.
"Wenn du dir jetzt auch nur einen Fehltritt leistest, verspreche ich dir ein sehr qualvolles, langsames Ende durch meine Hand!", konkretisiert er seine Aussage grausam und nagelt mich mit seinem Blick an die Mauer.

Eine Hand schließt sich um seinen Oberarm, doch er reißt sich wütend los.
"Hey! Beruhige dich!", fährt in jemand herablassend an.
"Sir." Er zieht sich mit einem Blick aus verengten Augen zurück.
"Wie konnte er ausbrechen?", fragt der Höhergestellte. Ich kann nicht beurteilen, ob er der Anführer ist.
"Jemand hat seine Zelle betreten, Sir", berichtet er zerknirscht.
"Was ist mit ihm?" - "Er ist tot, Sir", berichtet Shay dem wesentlich älteren Vampir. Eine wulstige Narbe zieht sich von seinem Kinn bis zu seinem Haaransatz und das betroffene Auge scheint blind zu sein. Es ist offensichtlich, dass diese Verletzung von einem von uns stammt.

"Das wirst du bereuen, elendiger Köter", verspricht er mir und damit fange ich jetzt schon an. Er ist ein anderes Kaliber als Shay... Dieser meidet den Blickkontakt zu mir und verzieht sich aus dem Raum.

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Falls ich behauptet haben sollte, dass Shay bei Folterungen nicht mehr rational handelt, ich nehme es zurück. Er ist ein wirkliches Schmusekätzchen, im Gegensatz zu seinem Befehlshaber. Nach seiner langwierigen Behandlung habe ich nicht mehr die Kraft mich zu bewegen. All meine teilweise verheilten Verletzungen sind wieder aufgerissen und ich fühle mich elendigst.

Erst bricht ein Vampir meine Beherrschung durch einen Fick und dann muss ich seinen Übergeordneten unter Qualen anflehen, mir zu vergeben. Noch schlimmer kann es hier doch kaum noch werden, oder?

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"Ryans Beisetzung wird in drei Tagen stattfinden, ich möchte, dass Shay und Lash derweilen auf den Köter aufpassen", teile ich allen mit. Shay wendet seinen Blick ab, weicht mir aus und scheint durch irgendetwas angegriffen zu sein. Bisher schlägt er sich gut mit ihm, ich hoffe doch stark, dass er nicht nachlässt.


Blood Feud (mxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt