XV

4.1K 279 26
                                    

"Gott Leif, was war das?" Immernoch liegen wir auf dem Boden, ich schaue seiner Brust dabei zu, wie sie sich schnell und unregelmäßig anhebt.
"Nur eine spontane Eingebung." Ich habe wirklich keine Ahnung wo das gerade her kam. Gerade weil ich bis vor ungefähr vier Tagen sicher war, dass ich niemals schwul sein könne. Danach habe ich dieses Thema gekonnt von mir geschoben und jetzt muss ich mir eingestehen, dass ich zumindest nicht nur straight sein kann...
"Komm zu mir, wenn du noch eine Eingebung bekommst." Ich schmunzle, war mit meinen Gedanken schon wieder vollkommen woanders.

Als wir uns dann nach einer kleinen Ewigkeit von unserer sportlich-freizügigen Aktivität erholt haben, machen wir uns bereit zum Aufbruch. In wenigen Tagen werden wir den Wald durchquert haben.

Er spricht mich nicht weiter auf diese Einlage an, hakt bezüglich meiner Entscheidung nicht nach und lässt mich in meinen Gedanken umherschweifen. Wieder gehe ich vorweg, suche uns einen Weg durch das Gestrüpp - und erstarre urplötzlich. Meine Nasenflügel blähen sich auf, meine Ohren zucken alarmiert, meine Augen verengen sich und mein Körper duckt sich leicht.

Und es war keine Einbildung, denn ich nehme die leisen Geräusche und den altbekannten Geruch erneut wahr.
"Bleib hinter mir", befehle ich ihm ernst, Kälte liegt in meiner Stimme. Ich konnte mich schon immer schnell verwandeln und gebe mir somit keine Blöße, als ich ihm das mitteile.

In höchster Alarmbereitschaft prüfe ich, ob sie nur aus einer Richtung kommen und dränge ihn zurück, bis er nicht weiter zurückweichen kann. Er steht mit seinem Rücken an einen großen Felsen gepresst, den die Eiszeit an diesen - für ihn sehr eigenartigen Platz - getragen haben wird. Links von ihm stehen dicht zusammengedrängt einige Bäume, die den Stein aufhalten und ich kann ihn so perfekt abschirmen. Knurrend baue ich mich vor ihm auf, der Körper angespannt, der Kopf kampfbereit gesenkt und die Lefzen weit hochgezogen.

Und schon erscheinen sie in meinem Blickfeld. Vier Wölfe. Pablo auf der linken, Constance auf der rechten, dazwischen meine verhasste Mutter und vorweg unser Alpha. Sofort strahlt mir die Abscheu meiner Mutter entgegen, Pablo spielt mit dem Gedanken uns ohne Absprache anzugreifen und auf Mithilfe zu hoffen und Constance - sie starrt uns einfach nur fragend an, kann sich diese Situation nicht erklären.
"Hallo Leif", wendet sich mein Alpha an mich, nur er kann mit seinen Rudelmitgliedern über Gedanken kommunizieren. Ich lege meine Ohren an und gebe meine angespannte Position in keiner Weise auf, trotz seines ruhigen Tonfalls.

Sein Schwanz zuckt kurz und unauffällig, doch ich kenne die Bedeutung dieses Zeichens ganz genau und entspanne mich nun doch ein wenig. Doch meine Mutter tritt vor, entgegen der Befehle ihres Anführers und kommt uns langsam näher. Meine Haltung wird aggressiver, ich fange an zu knurren und sie gibt ihre wölfische Gestalt auf einmal auf.
"Du wagst es dich zwischen uns und diese Kreatur zu stellen?! Du bist eine Schande für unser Rudel, merk dir das! Genauso fehlgeleitet wie dein Vater!", speit sie mir entgegen. Ich hätte sie schon längst angefallen, wenn die anderen nicht wären, doch um Shay da raus zu halten, muss ich meine Wut zurückstellen.

Aus den Augenwinkeln kann ich beobachten, wie sich Constance zurück zieht und Pablo ihr gleich darauf mit einem vernichtenden Blick in meine Richtung folgt. Ich setze hasserfüllt zum Sprung an, doch nun geht unser Alpha dazwischen. Vollkommen ruhig hat er sich vor sie gestellt, als wären wir nicht gerade dabei gewesen uns gegenseitig zu zerfleischen und setzt sich schlicht.
"Ihr werdet mich nicht angreifen", fordert er von mir und ich neige untertänig den Kopf. Kristen zieht sich knurrend zurück, ich spüre sie allerdings immernoch einige Meter von uns entfernt im Unterholz.

Aus einem Gebüsch jault es mittleiderregend und ich starre ihn geschockt an. Er hat sie gezwungen zu gehen. Sie, seine Beta.
"Es gab ein paar Unstimmigkeiten", erklärt er vage. Ein paar scheint mir ein bisschen untertrieben, immerhin hat er ihren Willen gebrochen...
"Sie hat ein Junges getötet. Bis wir wissen, wie es dazu kam, ist sie noch geduldet."

Ich starre ihn sprachlos an, unzählige Fragen schißen mir durch den Kopf, doch er beginnt sich zu verwandeln und beendet damit das Thema. Er behandelt mich, als gehöre ich längst nicht mehr seinem Rudel an. Ich schlucke schwer.

Seine Stärke, seine Macht und sein Wissen zu spüren, während sich sein Körper wandelt, ist jedes Mal aufs Neue erschreckend. Respektvoll verwandle auch ich mich und richte mich nackt auf, Shay will neben mich treten, doch das verhindere ich, indem ich einen Schritt zur Seite mache. Unterschätze nie einen Alpha.

Akono beobachtet uns wachsam.
"Ich wusste schon lange, dass es eines Tages dazu kommen wird... Schon wenige Jahre nach deiner Geburt wurde es mir offenbart", erklärt er mir. Ab und an bekommen Anführer Visionen die ihnen Teile der Zukunft vorhersagen. Sie stehen mit dem Mond in Kontakt und können in schweren Zeiten um Hilfe bitten.

"Der Fehler war, deiner Mutter davon zu berichten. Sie liebte Avon, aber seine Ansichten gegenüber Vampiren verabscheute sie schon immer. Er war der Meinung, dass unsere Feindschaft rückschrittlich sei, dass man sie als weiterentwickelte Gesellschaft endlich vergessen könne. Darauf verharrte er hartnäckig, bis er von einem wie ihm getötet wurde", erzählt er leise, wendet seinen Blick Shay zu, der getroffen zusammenzuckt. Kurz regt sich meine Wut gegen ihn, bis ich mir einige Sekunden zum Nachdenken nehme und diese Gedanken verwerfe. Vampire töten Wölfe, Wölfe töten Vampire - für den Tod meines Vaters kann ich ihn nicht verantwortlich machen.

Da Akono uns sehr ruhig entgegentritt, weiche ich ein Stück zurück und lehne mich leicht gegen den Vampir hinter mir. Sofort fällt seine Anspannung von ihm ab, ich spüre wie er tief durchatmet und seine Hände vor meinem Bauch verschränkt.
"Ich habe zwar nicht damit gerechnet, dass du dich ausgerechnet für ein männliches Exemplar entscheidest, aber nun gut." Sein Blick verfängt sich in meinem, bohrt sich bis in meine Seele. Das ist der Augenblick - meine Entscheidung.

Zittrig lege ich meine Hände auf Shays, ringe mit mir, die Entscheidung fällt schwer. Das Rudel war bisher der wichtigste Teil meines Lebens, bot mir Schutz, das Gefühl dazu zu gehören. Doch der warme Körper hinter mir, der sich langsam von mir lösen möchte, kann mir das alles bieten. Geborgenheit, Schutz - Liebe. Etwas was ich in meinem Rudel nie gefunden habe, nachdem Chiron...
Shay ist mir in letzter Zeit verdammt wichtig geworden.

Ich ziehe ihn näher an mich, ziehe die Stärke, die ich für diesen Abschied brauche, aus seiner Nähe und mache es in diesem Augenblick entgültig.
Akono neigt seinen Kopf und tritt einige Schritte zurück.
"Bleibt meinem Rudel fern und euch wird niemand jagen", verspricht er distanziert und mein Körper beginnt zu zittern.

"Leb wohl Leif."

Ich spüre, wie er die Verbindung zwischen uns trennt und sacke fast in mir zusammen.

Mit Tränen in den Augen drehe ich mich um, schlinge meine Arme um Shays Hals und lasse den Schmerz aus mir herausbrechen.

Blood Feud (mxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt