XIII

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Er presst sich gegen die Mauer, gerade noch so im Schatten der Lichtstrahlen und scheint die Situation zu prüfen. Der Raum ist rechteckig, kaum möbliert und deutlich zweckmäßig. Hier wurde auf Schnick-Schnack verzichtet, die Wände sind nicht gestrichen, offenbaren uns die nackten Backsteine und alles ist darauf ausgerichtet im Notfall schnell eingreifen zu können. Die Treppe befindet sich in der linken unteren Ecke, der Ausgang ist so weit wie möglich von ihr entfernt. Und dazwischen wartet eine Schar Vampire auf uns.

Angespannt warte ich auf sein Zeichen, fixiere die in vielen Metern Entfernung aufragende, rettende Tür. Zitternd tastet er nach seinem Rucksack und zieht etwas aus der kleinen Seitentasche, die für Trinkflaschen gedacht ist. Ich schlucke, als ich diesen Gegenstand genauer erkennen kann und ihn in seiner rechten Hand ruhen sehe.

Unsicher schaue ich ihn an, doch er scheint es nicht wahrzunehmen oder möchte einfach nicht reagieren.
"Okay, los", wendet er sich leise aber entschlossen an mich und wir sprinten gleichzeitig los.
"Halt, bleibt sofort stehen!", werden wir angebellt, es kommt Betrieb in die Menge vor uns, doch Shay hat knallhart seine Schusswaffe auf einen der Aufpasser gerichtet.
"Shay!" Einschneidend kommt sein Name von demjenigen, der das Vergnügen hat in die Mündung zu schauen. Langsam bleibt Angesprochener neben mir stehen, die Waffe keinen Millimeter gesenkt. Einige Meter trennen uns von ihnen, sie bilden einen eingespielten Halbkreis und versiegeln somit jegliche Wege nach draußen. Ihr Anführer steht in der Mitte und mustert mich mit zusammengekniffenen Augen.

Auch an ihren Seiten kann ich Waffenholster erkennen, doch nur gut die Hälfte der Waffen ist bisher auf uns gerichtet. Verwirrung zeichnet sich in ihren Gesichtern ab, doch das täuscht nicht über die Tatsache hinweg, dass ein unwissender Gefangener hier niemals ungelöchert passieren könnte.
"Wir wollen keinen von euch verletzen, haben bisher niemandem etwas angetan. Wir möchten einzig und allein hier raus, also geht mir bitte aus dem Weg", bringt er langsam und deutlich hervor.

"Shay, ... verdammt! Was wird das?!", aufgebracht redet der, der uns am nächsten steht, alle anderen elf starren Shay immernoch geschockt an. Mich macht ihre Professionalität nervös, sodass ich unruhig mein Gewicht von einer Pfote auf die nächste verlagere.
"Bitte, lasst mich einfach durch, ich möchte wirklich niemanden von euch verletzen." Immernoch rührt sich niemand, ich werde nur noch unruhig, denn das Ganze hier dauert viel zu lange...
"Es tut mir leid, ich weiß ihr versteht es nicht." Trauer, Bedauern und Schmerz liegen in seiner Stimme, alle vor uns stehen wie angewurzelt da, vor den Kopf geschlagen durch diese bizarre Situation.

Mit mir ringend verwandle ich mich, bin einmal in meinem Leben vollkommen lebensmüde.
"Tu es nicht." Sofort liegt sein Blick auf mir, die Waffe gebieterisch auf die anderen gerichtet und auch ein beängstigendes Messer ruht nun in seiner Hand. Nur aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich einer zurückzieht, einige folgen seinem Beispiel.
"Geh vor", gibt er mir kalt zu verstehen, rückt nicht von seiner wahnwitzigen Entscheidung ab.

Also tue ich, was er von mir verlangt und schreite misstrauisch an ihnen vorbei. Doch ein kleiner, schmächtiger Kerl stellt sich mir mit einem hassverzerrten Gesichtsausdruck in den Weg.
"Zac! Geh ihm aus dem Weg", hallt nun das erste Mal ruhig die Stimme des Befehlshabers durch den großen Saal und meine Ohren zucken in seine Richtung.
"Niemals!" Er versucht sich auf mich zu stürzen, wimmert jedoch nur verschreckt auf, als ihm Shay grob seine Klinge an die Kehle drückt. Sofort steigt die Anspannung im Raum, die Stimmung scheint jede Sekunde umschlagen zu können.
"Weiter!", knurrt er mich an und auch er entfernt sich langsam von ihm, wartet auf einen erneuten Versuch, doch Zac scheint viel zu geschockt zu sein.

Plötzlich sprintet er wieder los, die Tür kommt uns immer näher, doch das alles kommt mir unendlich langsam vor, quält meine zum zerreißen gespannten Nerven. Endlich stößt er beide Flügel auf und öffnet somit der frischen Luft die Pforte.

Ein ohrenbetäubendes Geräusch lässt mich straucheln, panisch sehe ich zur Seite, als Shay gerade taumelnd zu Boden fällt. Er rappelt sich wieder auf, hällt sich jedoch die Hüfte und auch sein Kiefer hat sich krampfhaft verzogen.

Ein irres Kreischen lässt ihn kurz zusammenzucken, Reue zeigt sich, doch er rennt weiter, führt mich immer weiter nach links, bis wir den Waldrand erreichen. Das Kreischen hat sich zu einem mittleiderregenden Wimmern und Schluchzen gewandelt und wird schleichend leiser.

Keuchend stützt er sich an einem Baum ab und starrt unsicher in das dichte Unterholz.
"Ich übernehme", sage ich sanft und lege meine Hand kurz auf seine Schulter, bevor ich mir meinen Weg bahne, natürlich nicht ohne ein letztes Mal zu ihm zu sehen.

Immer tiefer dringen wir in den Wald vor, doch lange kann ich ihn nicht mehr weiter treiben, denn er keucht vor Schmerz. Einige haben uns verfolgt, doch es waren meiner Meinung nach nicht die Wachen, denn wir hatten zu dieser Zeit schon einen kleinen Vorsprung. Es würde mich zwar wundern, wenn sie noch die geringste Ahnung hätten, wo wir uns aufhalten, doch dieses Risiko möchte ich nicht leichtfertig eingehen. Ein dichtes Band aus Sträuchern ragt vor uns auf und ich gebe endlich meine Wolfsgestalt auf.

Vorsichtig suche ich uns einen geeigneten Weg durch die teilweise mit Dornen bedeckten Ästchen und manövriere uns erfolgreich zu einem freien Platz, der uns gut tarnen wird.
"Endstation für heute", teile ich ihm mit.
Er lässt sich einfach nur erschöpft auf dem Waldboden nieder, schleudert den Rucksack von sich und legt seinen Kopf auf seinen Knien ab. Sanft aber bestimmt drücke ich ihn nach hinten.
"Leg dich hin, ich schau mir das nur kurz an", rede ich beruhigend auf ihn ein. Vorsichtig öffne ich den Reisverschluss der schwarzen Jacke und schiebe sein Shirt nach oben. Dabei knie ich über ihm und er öffnet bei meinen Tätigkeiten seine vorher geschlossenen Augen. Verschmitzt aber müde schleicht sich ein Lächeln auf sein Gesicht und meine Wangen röten sich verlegen, als mir klar wird, an was er gerade denkt.

Kopfschüttelnd wende ich mich seinem straffen Bauch zu und der weich aussehenden Haut ein wenig tiefer... Nun gut, ich zwinge mich in Wirklichkeit dazu seine blutige Hüfte näher zu untersuchen. Die Kugel dieses Psychopaten hat eine tiefe Rinne in seiner Haut hinterlassen, nur ganz knapp hat er den Hüftknochen verpasst. Es sieht nicht wirklich schön aus, die Verletzung ist nicht zu unterschätzen, aber ich hatte ehrlich gesagt fast mit Schlimmerem gerechnet.
"Guck in den Rucksack...", nuschelt er, scheint mich beobachtet zu haben.

Dort finde ich als erstes das Photo, das neben eine kleine Dose gerutscht ist. Darunter befindet sich ein kleines, verschlissenes Buch mit dunklem Einband und eine Plastiktüte, welche mit etwas flauschigem gefüllt zu sein scheint. Außerdem sichte ich Verbandszeug und jede Menge nützliches, ähnliches Zeug. Doch mein Blick bleibt an etwas anderem haften. Ein Zipfel einer unbekannten Tube streckt sich mir entgegen. Interessiert möchte ich dies weiter untersuchen, lasse sie jedoch wieder in den Rucksack fallen, als hätte ich mich verbrannt. Verstört starre ich ihn an und er lacht leise, schaut unschuldig zu mir auf...

Ich möchte ihm etwas Zeit gönnen und studiere somit erst die Verpackungen der Mittel und verarzte ihn dann still. Nachdenklich liegt sein Blick dabei die ganze Zeit auf mir und macht mich unerwartet nervös und kribbelig.
Wie hat er sich das vorgestellt? Will er mich zu meinem Rudel zurückbringen? Doch warum sollte er das wollen? Oder geht er einfach zurück zu den Vampiren, wenn er einmal richtig nachgedacht hat? Er könnte behaupten ich hätte ihn mit irgendetwas erpresst.
"Über was zerbrichst du dir den Kopf?", fragt er sanft. Er schaut mich von unten herauf an, hat seinen Kopf ein wenig schief gelegt und mein Herz flattert bei seinem unglaublich schönen Anblick. Warum reagiere ich bloß so auf ihn?
"Was hast du vor Shay?", frage ich leise und unsicher, schaffe es nicht seinem sanften Blick standzuhalten.

Leise seufzt er auf, ich spüre seinen Blick nicht mehr auf mir ruhen und er versucht sich aufzusetzen. Mein Herzschlag beschleunigt sich, mich beschleicht eine schlimme Vorahnung, als er so lange nicht redet. Ich möchte nicht von ihm getrennt sein...
"Ich hatte gehofft, dass du das später fragen würdest."

Blood Feud (mxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt