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Mino

Noch immer klammerte ich mich an den Körper von Lavi. Obwohl er mir Angst machte und ich mir noch nicht sicher, ob er mich nun akzeptierte oder nicht, so gefiel mir seine Nähe und seine starken Arme, die mir Schutz boten.
Aber die Angst war es auch, die mich dazu gebracht wegzulaufen und mich in diese missliche Lage gebracht hatte. Selbst jetzt spürte ich noch die Hände, die über meinen Körper gestrichen sind und die Zunge, die sich ekelhaft über meinen Hals gezogen hatte. Ich merkte, wie ich zitterte und drückte mich näher an Lavi, dessen Atem ich an meinem Ohr spürte.
Das knacken hinter mir, ließ mich vermuten, dass Jiro sich grade wieder in einen Menschen verwandelte. Dann raschelte etwas und wir bewegten uns, gingen aber nicht in unser Haus. Lavi trug mich mehrere Schritte weiter, bis ich den vertrauten Geruch vom Alpha in der Nase hatte.
Da ich nicht mehr im selben Rudel wie mein Bruder war, seitdem Lavi sozusagen sein eigenes gegründet hatte und er ihm als Beta beigetreten ist, bin ich bei Lavis Vater geblieben. Zu dessen Sohn hatte ich noch nie ein gutes Verhältnis gehabt, weil ich in seinen Augen als Schwach und Kränklich wirkte. Was ja auch stimmte. Nur gab es dennoch einen winzigen Unterschied zwischen uns. Aber ich glaube, dass würde mein Bruder übernehmen, um das zu erklären.
Ich hörte das Klicken einer Tür und dann eine weitere bekannte Stimme. Es war die Mutter von demjenigen, der mich grade trug. Sie quiekte kurz auf und redete so schnell, dass ich nur einzelne Wortfetzen wie "süß" und "so knuffig" mitbekam. Dann wurde sie wieder ernst. Ich vermute sie hat die Verletzung in meinem Nacken gesehen, die wieder ein wenig blutete. Denn kurz darauf spürte ich, wie ich dort berührt wurde ein Schmerz meinen Nacken durchzog. Ich konnte es nicht unterdrücken und winselte. Dabei drückte mich Lavi plötzlich noch näher an sich und presste mir fast die Luft aus den Körper. Ich wand mich ein wenig in seinem Griff bis er was lockerer ließ und ich besser atmen konnte. Dann wurde ich auf etwas abgesetzt und die angenehme Wärme verließ mich. Mir war plötzlich kalt und dann waren da die Hände von Lavis Mutter die mit etwas meinen Nacken abtupften, was leicht brannte. Ich zuckte leicht zusammen, als dann etwas pikste und durch meine Haut gezogen wurde. Ich wimmerte leicht, bei dem unangenehmen Gefühl und spürte kurz darauf eine behandschuhte Hand die mir lieblich über die Wange strich.
"Es ist alles in Ordnung. Du kannst deine Augen ruhig wieder aufmachen." sagte sie sanft und machte dann mit ihrer Behandlung weiter. Ich tat währenddessen wie geheißen und öffnete meine Augen, die ich wohl die ganze Zeit geschlossen hatte.
Den Raum, in dem ich mich befand, kannte ich schon. Hier war ich als kleines Kind öfter gewesen, wenn ich krank war oder nachdem ich bei Ausflügen angegriffen wurde, wenn mein Bruder und der Alpha (nicht Lavi ) es erlaubten und ich mit Eskorte als Wolf hinaus in den Wald durfte.
Der Raum war ganz in weiß gehalten. Eine Theke und mehrere Schränke standen in den Raum. Ich saß auf einer Liege, die mitten im Raum stand. Hinter mir stand die Ärztin und behandelte mich.
"So, fertig. Ich verpass dir noch ein Verband, dann kannst du wieder gehen. Komm aber besser regelmäßig alle zwei Tage vorbei, damit ich mir das nochmal anschauen kann. Wir wollen schließlich nicht, dass es sich entzündet." erklärte sie und holte aus einer Schublade einen Verband. Schnell hatte sie ihn um meinen Hals gebunden und fixiert, so das er nicht rutschte und ich keine Atemschwierigkeiten bekommen würden.
"Wo sind eigentlich Lavi und Jiro?" fragte ich, während ich noch auf der Liege saß und ihr dabei zuschaute, wie sie von Blut beschmutzte Tücher wegwarf.
"Die sind im Wohnzimmer. Geh einfach hin. Die werden schon kein Problem damit haben. Und wenn, dann können die sich auf was gefasst machen, einen so süßen Jungen wie dich rauszuschmeißen." sagte sie empört und scheuchte mich aus dem Behandlungsraum.
Grinsend lief ich den Flur entlang und kam an einer Tür an, die ins Wohnzimmer führte. Dort hielt ich an und zögerte. Ich hob meine Hand und wollte klopfen da hörte ich auch schon seine Stimme.
"Komm rein." rief Lavi und ich öffnete zögerlich die Tür in einen großen Wohnbereich mit einer Fensterfront, einem großen Sofa mit Sessel und kleinem Tisch. An der gegenüberliegenden Wand stand ein großer Fernseher auf dem Momentan leise Musik lief.
Ich trat weiter ein und schaute nervös hin und her. Nicht wissen wo ich mich hinsetzen sollte. Schließlich zeigte mein Bruder neben sich und ich setzte mich.
Mit dem Blick auf meine Hände gerichtet spürte ich Lavis Blick auf mir, beziehungsweise auf meinem Hals.
"Vielleicht sollten wir ihm neue Kleidung besorgen. Seine ist immerhin zerrissen." meinte er schließlich und ich zuckte zusammen, mal wieder.
"Ich geh schnell welche holen."
Eher ich reagieren und sagen konnte, dass das nicht nötig war, war der Größere aufgestanden und ließ mich bei meinem Bruder zurück.
"Worüber habt ihr geredet?" fragte ich ihn und lehnte mich leicht an ihn.
"Wir haben darüber geredet, wie wir die anderen Wölfe von dir fernhalten können." beantwortete er und streichelte mir geistesabwesend über den Kopf. Das war schon immer einer seiner Angewohnheiten gewesen. Wenn er nachdachte oder grade ganz woanders war, dann fuhr er mit seiner Hand über meinen Kopf und kraulte mich ein wenig. Bis er wieder bei sich war und es dann erst merkt.
Diesmal ging es aber schneller als sonst, denn die Tür öffnete sich und Lavi kam herein. Sofort zog Jiro die Hand weg und tat, als hätte er mich nie gekrault.
Lavi musterte ihn kurz irritiert, wahrscheinlich wusste er nichts, von dieser Angewohnheit, dann kam er mit einem Pullover zu uns.
"Arme hoch."
Ich sah ihn ungläubig an.
"Ich...kann mich auch alleine umziehen." murmelte ich.
"Arme hoch." sagte er nun fordernder und ich tat wie geheißen. Lavi allerdings bekam einen warnenden Blick meines Bruder ab.
Der Größere seufzte und stülpte mir den dunkelblauen Pulli mit der Aufschrift "WE ARE WILD" über. Dann ließ er sich neben mich auf die Couch fallen und streckte sich.
"Dann können wir ja jetzt über das reden, was passiert ist." sagte er und ließ keine Wiederworte zu.
Ich rutschte nervös weiter zu meinem Bruder. Mir gefiel die Nähe zu Lavi zwar. Aber ich wusste immer noch nicht, wie er jetzt über mich dachte. Also knetete ich meine Hände und schaute auf den Boden.
"Ich gehe mal davon aus du willst wissen, warum sie Mino SO angefallen oder angeschaut haben, richtig?" fragte mein Bruder.
Ich spannte meinen Kiefer etwas an. Ich mochte dieses Thema überhaupt nicht. Auch als mein Bruder damals mit mir darüber gesprochen hatte, so konnte ich es einfach nicht leiden, wenn man es irgendwie ansprach.
"Richtig. Ich will wissen, warum sie ihn so lüstern angestarrt haben."
Bei diesen kalten Worten fingen ich an zu zittern und es rief Erinnerungen wieder hoch. Das, was heute passiert ist, ist schon früher in Bussen oder Bahnen, nicht ganz so schlimm auch schon vorgefallen.
"Es liegt an seinen Hormonen" fing Jiro an " sie werden ab jetzt immer stärker hervortreten und ab einem gewissen Alter gleichstark bleiben. Warum sie existieren, weiß ich nicht, jedenfalls ziehen sie fremde und wilde Wölfe an, die den Geruch dieser Pheromone als reine Lust betrachten. Und das wirkt sich dann so auf sie aus, dass sie meinen Bruder bespringen wollen." erklärte er weiter und machte eine Pause.
"Wirkt sich das auf alle aus?"
"Nein, Familienmitglieder, Verwandte, Rudelmitglieder und der eigene Gefährte sind nicht betroffen. Das wäre eine wirkliche Katastrophe, wenn es sich sogar auf mich auswirken würde. Achja, und in seinem Fall, sind auch weibliche Wölfe nicht betroffen."
"Warum nicht?"
"Da es Mino ja erlaubt ist, Schwanger zu werden, war es von Anfang an klar, dass er einen männlichen Gefährten haben wird. Bei einem weiblichen würde das einfach kein Sinn machen." erklärte er und ich wurde nur noch röter. Ich hasste dieses Thema einfach und würde im Erdboden versinken. Vor allem, was soll Lavi nun von mir denken? Es reichte ja schon, dass er mich für schwach und nutzlos hält. Und dann kommt auch noch das dazu.
"Verstehe. Also ist das alles sozusagen unserer Mondgöttin zu verdanken, dass er das alles erleiden muss?"
"Kann man so sagen."
"Könntest du mich und Mino kurz alleine lassen?"
Ich riss überrascht meine Augen auf. Lavi wollte alleine mit mir reden. Aber ich wollte nicht. Ok, ich wollte schon, aber irgendwie auch nicht. Zumindest jetzt noch nicht..
"Wenn das für Mino in Ordnung ist, dann"
Jiro hörte auf zusprechen, als ich ruckartig aufsprang und aus dem Haus lief. Ich ignorierte ihre Rufe und stürmte in unser Haus, rannte die Treppe hoch in mein Zimmer und schloss ab. Dann warf ich mich auf mein Bett und zog die Decke über mich, rollte mich zusammen und schloss die Augen. Ich wollte jetzt nur noch schlafen und erstmal Ruhe von allem. Ich musste mich erstmal wieder unter Kontrolle bekommen und das Geschehene verarbeiten.
Kaum hatte ich den Satz zu ende gedacht, spürte ich auch schon die Müdigkeit, die über mich herfiel und mich in einen tiefen Schlaf zog.

Als ich aufwachte, war es schon spät in der Nacht. Von unten konnte ich Stimmen hören. Es waren die von Jiro und Lavi.
Langsam stieg ich aus meinem Bett und schlich auf die Tür zu, dann schloss ich sie vorsichtig auf und versuchte so leise wie möglich an das Treppengeländer zu gelangen um zu hören, worüber sie redeten.
"Er würde sich nicht so verhalten, wenn du ihn nicht wie den letzten Dreck behandelt hättest." warf mein Bruder seinem Alpha vor.
"Kannst du mal endlich aufhören mir Vorwürfe zu machen. Das hast du mir jetzt schon zum gefühlten hundertsten Mal gesagt. Ich weis, was ich falsch gemacht habe." seufzte Lavi genervt und hörte, wie er sich auf einen Stuhl fallen ließ.
"Dann weißt du ja auch, was du Morgen oder in den nächsten Tagen zu tun hast." murrte Jiro noch immer aufgebracht.
"Ja, ja. Ich werde mich bei ihm entschuldigen."
"Will ich auch hoffen."
"Sei froh, dass du mein bester Freund und Beta bist, sonst würde ich dir diesen Tonfall gar nicht erst durchgehen lassen."
"Dafür, dass du mich beim letzten mal geschlagen hattest, ist das hier ja noch ziemlich sanft von dir."
Ich horchte auf. Lavi hatte meinen Bruder geschlagen? Warum das denn?
"Da war ich enttäuscht von dir, weil du mir nicht verraten wolltest, was du vor mir verheimlichst. Also erwarte auch keine Entschuldigung."
"Schon klar. Ich bin ja auch selber Schuld."
"Sag ich doch."
Die Unterhaltung wurde mir zu langweilig, also ging ich zurück in mein Zimmer und wäre fast über den Teller mit Hähnchenbeinchen, Erbsen und Möhrchen und Kartoffelpüree gestolpert. Ich frage mich, warum ich ihn vorher nicht bemerkt hatte, also hob ich ihn auf und setzt mich auf mein Bett. Dann begann ich langsam zu essen und stellte anschließend leeren Teller auf meinen Nachttisch.
Ich drehte mich auf die Seite, so dass ich mit dem Rücken zur Tür lag, und dämmerte langsam wieder weg. Dennoch bemerkte ich, wie sich die Matratze senkte und Jiro mir über den Kopf strich.
"War wohl heute ein wenig anstrengend. Aber bitte laufe nicht noch mal weg. Das macht uns nur unnötige Sorgen."
Er schwieg eine Weile, während seine Hand weiter ihre Tätigkeit fortsetzte.
"Wäre gut, wenn du Lavi wenigstens eine Chance gibst, mit dir zu reden, Ok? Gute Nacht."
Er zog die Decke was höher und verließ dann mein Zimmer. Ich vermute, dass er wusste, dass ich noch nicht ganz am schlafen war. Sonst hätte er mir das nicht gesagt.
Und ich würde Lavi eine Chance geben mit mir zu reden. Nur war das heute zu viel auf einmal.
Morgen wird es vielleicht funktionieren. Morgen würde ich mit ihm reden.

Omega Of The Moon(Boy x Boy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt