10. Hürde: Träume

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»Yo hoo...Yo hoo...Yo ho ho ho ho«, Regen prasselte auf meinen Körper hinunter. Ein Stimme sang hauchend leise. Unter mir war der eiskalte Asphalt. Eiskalt war untertrieben, aber ich kannte keine Steigerung zu eiskalt. Es regnete aus Eimern und ich war schon lange triefnass. Der Himmel war wie eine dunkelgraue Milchschüssel über mir gewölbt. »Tiny little Blackbird fell from the sky«, das Kinderlied von der rauen aber doch sanften Männerstimme hallte in der Luft. Schmerz zuckte in meinem Bauch auf und ich zog die Knie höher, versuchte mich an den kalten Asphalt zu kuscheln. »Oh my little Birdy, are you crying through the rain?«, nein... Es war wieder diese Stimme. S e i n e Stimme. Langsam nahm ich meine Umgebung mehr wahr. Ich lag auf einer Straße. Irgendwo hinter mir sausten Autos vorbei und Lichter leuchteten wie unter Wasser- weich, groß und verschommen. Der Regen prasselte unaufhörlich auf mich ein während ich die Knie fast bis zum Kinn anzog und ein verhalltes Wimmern hörte. Ich spürte meine nassen Haare in meinem Gesicht kleben, aber ich konnte nicht aufstehen. Das schneeweiße, Knielange Kleid das ich trug war triefend nass und zeigte den Schatten meines Körpers. Ich rollte mich mehr ein. »Broke you wings while you were high, little birdy, oh! You cry!«, ich weinte nicht. Ich fühlte mich nur... Leer. Richtig leer... Alleine. Verlassen.

Einsam.

»Poor bird, lost bird. Life's looking- shall we say?- not good? No...«, die Stimme wurde säuselnder und ich hatte das Gefühl ein Loch in der Brust zu haben. Eiskalter Wind wehte durch das imaginäre Loch und ließ mich erschauern. »Who will ease your woos and woories?«, ich wurde von Seitenlage auf den Rücken gelegt. Über mir bäumte sich etwas auf- aber die Stimme verblasste allmählich. »Who will help you save your friends?«, mein Blick lief wahllos in der Luft herum. Wo war er? W e r war er? » Sweet bird- perhaps -«, der Rest ging unter Rufen unter. Ich spürte wie ein Schauer meinen Körper durchzuckte. "ANASTASIA!!", ich schlug meine Augen auf und starrte in Nicos ashfahles Gesicht, dass sich gespenstisch von der nächtlichen Dunkelheit abhob. Ich atmete tief ein und aus und setzte mich mühsam auf. 2 Uhr morgens. Oh Gott. "Alles okay...", stotterte ich und sah mich um. Das einzige kalte war mein Angstschweiß. Es war warm draußen und nur fahler Wind wehte durch meine sperrangel weit geöffneten Fenster. "Ich bin es langsam satt dich jede Nacht von deinen Albträumen zu wecken", murmelte Nico und rauschte ab. Was war nur los mit mir... Ach Moment- Nico war wieder da? Der war doch gestern Nachmittag gelangweilt raus gestapft und meinte er haltet sich um das Haus auf. Naja, viel zu tun außer Haushalt und Lernen gab es nicht, und sein Gespräch mit den Moiren hat eigentlich nur mehr Fragen aufgeworfen. Ich konnte verstehen dass er gelangweilt oder aufgekratzt war. Jungs waren da eben anders. Ich stemmte mein Gesicht in die Hände und seufzte. Das erste Mal seit dem ich zu Hause bin wurde ich wieder von einem Albtraum mit dieser Stimme geweckt worden. Dabei war nicht einmal viel physisches passiert, aber der psychische Effekt war abartig. Ich holte tief Luft. Wieso habe ich die anderen Nächte nicht geträumt? Mir dämmerte langsam die Kenntnis, dass ich seitdem ich zu Hause bin auch die Stimme nicht mehr am Tag gehört habe. Lag es daran dass ich zu Hause war? Nein, sonst hätte ich jetzt keinen Albtraum gehabt. Ich sah auf mein zerknautschtes Kissen. Ich war so hundemüde aber ich hatte Angst zu schlafen -suche einer da bitte die Logik. Ich wollte diese scheiß Stimme nicht hören! Ich wälzte mich unruhig im Bett auf und ab und bemerkte, dass ich einfach nicht schlafen konnte. Aus Angst. Na super. Werde ich jetzt den Rest meines Lebens nicht schlafen aus Angst vor der Stimme? Ich stand im Dunkeln auf. Ein bisschen Wasser kann ja vielleicht helfen. Ich öffnete leise meine Tür und zog meine knappe Schlafpants runter. Die rutscht immer so hoch das man die Ränder meines Höschens sieht und eigentlich würde ich ja einfach ohne diese dumme Schlafpants schlafen, aber vor meiner Last Nico dackele ich bestimmt nicht in Unterhose herum. Apropos, wenn man von Teufel spricht... Ich warf einen verstohlenen Blick in Dad's Zimmer. Wo mein Vater noch vor ein paar Monaten nachts schlief, ruhte jetzt Nico die seltenen Male- und damit meine ich dass ich ihn seit er hier 'Hundewache' für mich macht nie schlafen gesehen hab. Kein Wunder das der Junge so krank aussieht. Aber zu meiner großen Verwunderung schlief Nico seelenruhig in Dad's Bett. Ich weiß, dass ich es nicht hätte tun sollen- aber ich wollte ihn unbedingt schlafen und nicht in Action sehen. Und während ich ins Schlafzimmer schlich wunderte ich mich, ob es mir wirklich noch gut ging.

Das fahle Mondlicht ließ Nico's Haut wie immer geisterhaft im Dunkeln schimmern. Seine rabenschwarzen Haare erkannte man schwer in der finsteren Nacht aus den Haarsträhnen die in seinem Gesicht hingen. Er hatte seine komische Lederjacke nicht an und zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass er tatsächlich Muskeln hatte. Das sah man klar an den Oberarmen und ich konnte alles verwetten dass wenn ich sein Shirt hoch hebe da auch noch Muskeln am schmalen Oberkörper waren. Und während Nico so schlief, viel mir etwas ein:

was, wenn ich diese Albträume nur bekomme, wenn ich alleine bin? In Hekates Hütte war ich alleine. Seit dem ich zu Hause bin wuselt Nico ständig hier herum. Kann es sein dass ich angreifbar bin, wenn ich alleine bin? Ich sah auf die Schranktür meines Vater. Der Spiegel darauf spiegelte etwas Mondlicht wieder. Meine Haare waren eine mahagonifarbene Wolkenwut aus Locken und ich hatte seit dem Camp wieder etwas mehr gegessen- meine Rippen fielen gar nicht mehr so viel auf. Ich sah nochmal zu Nico, der wie ein Stein schlief. Man, ich muss echt verrückt sein. Ich unterdrückte mir ein Seufzen und krabbelte auf das Bett, beobachtete noch eine Weile, wie sich seine Brust hob und senkte, bis ich endlich selbst wegnickte.

Inevitable - The Shards of CosmosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt