2. Kapitel

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Als wir am Abend fertig waren standen wir beide etwas unschlüssig vor der Tür.
Sollten wir es wirklich wagen? War es das wert?
War das Risiko nicht zu groß?

Stefan setzte unserem Schweigen ein Ende:"Bist du bereit?"
Ich nickte leicht und wir gingen gemeinsam raus.
Es fühte sich so ungewohnt an ohne Kaputzenjacke auf der Straße zu stehen, ich war es einfach nicht mehr gewohnt normal zu sein.
Da spürte ich Stefans Hand an meiner, ich nahm sie und er verschränkte seine Finger mit meinen.
Ich merkte wie ich mich bei seiner Berührung etwas beruhigte, das Gefühl dass er bei mir war, hatte mir schon immer Sicherheit gegeben.
Dann trat ich aus dem Schatten des Hauses und verlor somit den letzten Schutz.

Als wir vor dem Haus meiner Eltern standen schlug mir mein Herz bis zum Hals.
Ich hatte sie und meinen Bruder jetzt fast ein halbes Jahr nicht mehr gesehen und auch nichts von ihnen gehört.

Die Musik drang bis zu uns auf die Straße und es schienen schon viele Leute da zu sein.
Wir gingen die Steintreppe zur Haustür hinauf und ich drückte auf die Klingel. Wenige Sekunden später öffnete mein Bruder die Tür.
"Alissa?", fragte er ungläubig und sah mich erstaunt an.
"Alles Gute zum Geburtstag Bruderherz", sagte ich lächelnd.
Er zog mich in seine Arme und ich kuschelte mich an ihn und wollte ihn nicht mehr loslassen.
"Du hast mir so gefehlt", sagte er leise an meinem Ohr.
"Du mir auch", erwiderte ich und ließ ihn langsam wieder los.

Ich konnte es immer noch nicht ganz fassen dass er hier vor mir stand. "Mum und Dad werden ausflippen wenn sie dich sehen, am besten ich..", begann Max zu erzählen, doch ich unterbrach ihn.
"Ehrlich gesagt wäre es mir lieber wenn sie nichts davon erfahren..ich bin nur heute Abend da, ich will sie nicht schon wieder enttäuschen", erklärte ich.

Max sah etwas enttäuscht aus aber gab sich damit zufrieden.
Nachdem auch Stefan ihm gratuliert hatte gingen wir gemeinsam ins Haus. Da wurde Max von irgendjemand gerufen und verschwand in der Menge. Ich hoffte dass ich nicht so viele bekannte Gesichter entdecken würde, sondern eher unendeckt blieb.
So würde sich später auch niemand beschweren, wenn ich nach diesem Abend wieder verschwunden war.

Ich ging mit Stefan zu einer kleinen Bar die im Wohnzimmer aufgebaut war. Wir setzten uns und er bestellte uns zwei Drinks.
Er strich mir über die Wange und lächelte mich an.
"Ich glaube da ist jemand den du kennst", sagte er ohne den Blick von mir abzuwenden.
Ich wandte meinen Blick von ihm ab, um zu sehen wen er meinte.

Meine Augen durchsuchten die Menge auf der Tanzfläche, bis sie an einer Person hängen blieben.
Emily
Als ich sie sah setzte mein Herz für einen Schlag aus.
Sie war meine beste Freundin gewesen. Damals war sie aus meinem Leben nicht mehr weg zu denken, doch dann lernte ich Stefan kennen und alles veränderte sich.

Ich erinnerte mich schmerzhaft an den letzten Tag als ich sie sah.
So sehr hatte ich mir gewünscht dass sie nicht aus meinem Leben verschwinden müsste.
Doch es ging nicht anders, ich konnte ihr nicht die Wahrheit über Stefan und seine Vergangenheit sagen.
Es war einfach zu gefährlich.
Sie war die letzte zu der ich den Kontakt abgebrochen hatte.

Da riss mich Stefans Stimme aus meinen Gedanken:"Willst du nicht kurz zu ihr rüber gehen? Ich warte hier auf dich"
Ich wandte meinen Blick von ihr ab und drehte mich wieder zu Stefan.
"Ich bin gleich wieder da", sagte ich, stand auf und küsste ihn kurz.

Ich ging durch die Menge auf sie zu, sie sah mich schon von Weiten und ein Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.
Wir fielen uns in die Arme und ich war so froh zu sehen dass es ihr gut ging. Die Vertrautheit zwischen uns war immer noch da.
"Du hast mir so gefehlt", sagten wir beide gleichzeitig und mussten darüber etwas lachen.
Als wir uns wieder losließen betrachtete ich sie genauer.

Ihre blonden Haare waren länger geworden und fielen ihr in leichten Wellen über die Schultern und umrahmten ihr Gesicht mit den eisblauen Augen sehr schön.
"Es tut mir leid dass ich damals einfach so verschwunden bin..aber es ist um Moment alles so kompliziert..", erklärte ich.
Sie nickte und lächelte mich an.
"Ist schon okay Alissa, ich bin so froh dass es dir gut geht"
Ich strich ihr über den Arm und war wirklich froh sie endlich wieder zu sehen.
"Ich werde jetzt mal zurück gehen aber ich werde versuchen mich bei dir zu melden", versprach ich und umarmte sie nochmal kurz.

Ich drehte mich um und wollte zurück zu Stefan gehen.
Doch sein Platz war leer, zuerst dachte ich dass ich mich irrte und wir woanders gesessen hatten.
Sofort stürzte ich los und musste mich am Bartresen abstützen als ich mein unberührtes Glas da stehen sah.
Ich sah auf seinen leeren Stuhl, da bemerkte ich sein zerschlagenes Glas auf dem Boden.
Ich spürte einen Stich in meinem Herzen.
Das durfte alles nicht wahr sein, er durfte nicht weg sein.

Da kam der Gedanke der mich wie ein Schlag traf.
Die Sucher mussten ihn geholt haben, genau in dem Moment wo ich nicht bei ihm war.
Ich spürte wie ich anfing zu zittern und meine Augen sich mit Tränen füllten.

Da spürte ich eine Hand an meiner Schulter.
"Hey alles klar bei dir?", fragte der Barkeeper.
Ich ignorierte seine Worte und kniete mich auf den Boden zu den Scherben. Mein Leben war wie das Glas in diesem Moment zerbrochen.

Ich spürte wie es mir unter den Tränen immer schwerer viel zu atmen.
Ich muss hier raus, schoss es mir durch den Kopf.
Ich schnappte meine Tasche und rannte nach draußen.
Doch bevor ich die nächste Bank erreichen konnte, brach ich auf dem Boden zusammen.
Ohne darauf zu achten dass mein Herz dabei kurz ausgesetzt hatte, stand ich auf und lief weiter, weiter und weiter in die dunkle Nacht.

Ich wollte einfach nur noch weg. Weg von den glücklichen Menschen, der lauten Musik vor allem weg von dem Ort an dem ich ihn verloren hatte.
Ich wusste dass ich es noch nicht ganz fassen konnte dass ich ihn verloren hatte und es mir jetzt schon elend ging.

So lief ich weiter bis ich die einzelne Laterne vor unserem Haus. Vor etwa einer Stunde hatte ich noch zusammen mit ihm hier gestanden.
Diese Vorstellung schmerzte zu sehr und ich versuchte sie weg zusperren.

Als ich gerade ins Treppenhaus trat wurde mir bewusst dass Stefan den Wohnungsschlüssel hatte.
Blind von dem Gefühl der Leere in mir lief ich die Treppen hoch bis zu unserer Wohnungstür und wollte mich gerade auf den Treppenabsatz setzten, da sah ich etwas direkt vor der Tür auf dem Boden liegen.

Also kniete ich mich hin und erkannte dass es ein gefalteter Zettel war.
Als ich ihn aufhob fiel etwas heraus- unser Wohnungsschlüssel.
Stefan musste hier gewesen sein.
Aber wann?
Wo war er jetzt?
Hatte ich ihn vielleicht nur um Sekunden verpasst?
Ich faltete den Zettel auseinander und erkannte Stefans geschwungene Schrift.

Liebe Alissa.
Bitte pass auf dich auf und suche nicht nach mir.
Stefan.

Als ich die Worte las hätte ich den Zettel am liebsten zerrissen.
Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Doch da dieser kleine Zettel das einzige war. was ich jetzt noch von ihm hatte fuhr ich über die Buchstaben und steckte ihn dann ein.

Langsam trat ich in die Wohnung und legte meine Tasche ab.
Ich nahm mir eins von seinen Shirts und zog es an, ich kuschelte mich hinein und atmete seinen Duft ein.

So legte ich mich ins Bett und wollte einfach nur noch schlafen.
Die Leere in mir unterdrückten die brennenden Tränen in meinem Inneren und ich schloss die Augen. Alles was ich wollte war der Realität zu entfliehen.
Jeder Traum würde besser sein als der Wahrheit ins Auge zu blicken.
Ich fühlte mich verloren und mir war trotz der dicken Decke kalt.
Ich habe ihn verloren, war mein letzter Gedanke bevor ich einschlief.

GezeichnetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt