11. Kapitel

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Ich rannte aus meinem Zimmer heraus und fand Jorden vor einem Bildschirm auf dem Boden knien.
Sein Gesicht war schmerzverzogen und sein Körper bebte. Als ich auf den Bildschirm sah erkannte ich Serinas Gesicht. Der Moderator verkündete gerade dass die Rebellin gefangen genommen wurde und morgen ihr Urteil verkündet werden würde.
Als Jorden mich sah stand er auf und verließ den Raum.

Aber ich konnte meinen Blick nicht von dem Bildschirm wenden.
Als nächstes erstrahlte mein Gesicht und der Moderator erzählte stolz, dass es endlich gelungen sei mich aufzuspüren und das ich nun vorläufig ein Mitglied der Unterschicht war.
Dann wurde der Bildschirm wieder schwarz. Ich fragte mich welche Verbindung Jorden zu Serina hatte.
Schon morgen früh bei der Verhandlung würde ich es erfahren.

Da kam Sarah in den Raum und lächelte mir zu. "Es gibt Abendessen", sagte sie und nahm meine Hand.
Sie führte mich zu dem Tisch an dem schon alle anderen saßen und auf uns warteten.
Talia hob Sarah hoch und setzte sie auf einen erhöhten Stuhl. Ich setzte mich zu den anderen und sah auf die Teller.
Alle hatten die gleiche Portion mit dem gleichen Essen.
Eine Art weißer Brei der sehr klebrig war.
"Das ist Bohnbrei", erklärte Talia und reichte mir einen Löffel.
Ich kostete den Brei vorsichtig. Er schmeckte kaum nach etwas und die Portion war so klein, dass sie meinen Magen kaum füllte.

Nach dem Essen erledigte ich gemeinsam mit Talia den Abwasch, Noel brachte Sarah ins Bett und Jorden ging Feuerholz sammeln.
Danach zeigte mir Talia wie ich an dem Sensor meinen Tagesplan abrufen konnte.

Plötzlich schlug die Haustür auf und Jordens bewusstloser Körper knallte auf den Boden. Sein Rücken war übersät von klaffenden Wunden und überall war Blut.
Hinter ihm traten zwei Sucher hervor. Ihre schwarze Uniform war voller Blut und ihre Gesichter streng.
"Dieses Mitglied der Unterschicht wollte unbefugt den Sektor verlassen um in den Sektor der Oberschicht einzudringen. Seine Bestrafung der Auspeitschung wurde bereits vollzogen. Einen schönen Abend noch", sagte der eine Sucher mit kalter Stimme und die beiden verließen die Wohnung.

Ich konnte mich nicht bewegen, der Schock saß zu tief in mir.
Talia rief nach Noel und die beiden trugen Jorden auf den Holztisch.
Sarah kam verschlafen aus ihrem Zimmer und sah von Jorden zu meinem erschrockenen Gesicht.
"Keine Angst, meine Mama wird ihn wieder heilen", sagte sie und lief zu den anderen in die Küche. Ihre Worte raubten mir den Atem.
Sie war so jung und schon so tapfer. Dieses kleine Mädchen konnte besser mit der Situation umgehen als ich. Sie musste schon weitaus schlimmere Dinge erlebt haben um so stark zu werden.

Als ich mich wieder etwas gefasst hatte ging ich zu den anderen in die Küche.
Talia reinigte die Wunden mit Alkohol und Jordens Körper zuckte unter den Schmerzen.
Sarah gab mir ein Tuch welches in Alkohol getränkt war und so begann ich vorsichtig Jordens Wunden ebenfalls zu reinigen.
Seine Haut war vollkommen zerfleischt. Er musste unglaubliche Schmerzen haben.
Sarah kam mit frischen Kräutern zurück in die Küche und gab sie Talia.
Sie wickelte aus den Kräutern einen Verband den wir mit etwas Eis auf Jordens Rücken legten.
"Er muss versucht haben zu Serina zu gelangen", meinte Talia leise.

Noel brachte Sarah zurück ins Bett und Talia wollte die Nacht über bei Jorden bleiben um ihm Schmerzmittel zu geben wenn er aufwachen würde und seinen Verband zu wechseln.

Also suchte ich nach dem Bad. Doch alles was ich fand war ein kleiner Raum mit einem Wasseranschluss und einer kleinen Plastikwanne und einem Eimer.
Ich wusch mich so gut es ging und legte mich dann schlafen.
Das Stroh war nicht wirklich bequem, aber der Schlafplatz war nicht der Grund warum ich nicht einschlafen konnte.
Immer wenn ich die Augen schloss sah ich Stefans leeren Blick vor mir.

Irgendwann musste ich wohl doch eingeschlafen sein, denn ich würde von einem schrillen Klingeln geweckt.
Als ich aufstand schmerzte mein ganzer Körper. Ich würde mich noch an das Strohbett gewöhnen müssen.
Im Bad lag neue Kleidung für mich.
Die Mitglieder der Unterschicht mussten alle einheitliche Kleidung tragen.
Die Frauen trugen graue Kleider und die Männer eine schwarze Hose und dazu ein graues Hemd.

Ich zog mich um und ging dann in die Küche. Die anderen waren schon alle bereit zum Aufbruch.
Talia und Sarah arbeiteten ebenfalls auf den Feldern, Noel und Jorden waren in der Lebensmittelproduktion für die Oberschicht eingeteilt.
Für die Unterschicht gab es schließlich nur Bohnbrei zu essen.

Jorden war wieder bei Bewusstsein, aber er konnte sich kaum bewegen. Er lag jetzt auf der Couch und schien zu schlafen.
Die anderen brachen zu ihrer Arbeit auf. Ich frühstückte und ging dann zum Sensor um mir meinen Tagesplan anzeigen zu lassen.
In einer halben Stunde würden mich die Sucher abholen um mich zu Serinas Verhandlung zu bringen, danach musste ich zur Arbeit auf die Felder.
Langsam würde mir bewusst das die Sucher nicht nur dazu da waren Gestaltwandler aufzuspüren, sie waren eine Art Polizei. Sie suchten nach Unrecht und beseitigten es, verhängten Strafen und jeder musste ihnen mit Respekt begegnen.

Ich würde in den Verhandlungssaal geführt. Vorne waren auf einer Erhöhung prächtige Sitze aufgestellt, der Bereich der obersten Richter wurde durch einen meterhohen goldverzierten Holzblock begrenzt.
Davor waren einfache Holzstühle und an den Seiten gab es zwei Tribünen für Zuschauer.
Ich nahm auf einer der Tribünen platz und wartete ab.
Langsam wurde es voller im Saal und dann würde Serina hereingeführt.
Sie nahm auf dem Stuhl in der Mitte des Saals Platz vor dem ein kleiner Tisch stand.
Dann öffnete sich die Tür und alles verstummte als das Königspaar eintrat.
"König Frederik und seine Gattin Luise", verkündete ein Sucher und die beiden nahmen Platz.

Der König schlug eine Mappe auf und trug Serinas Vergehen gegen die Gesellschaft vor.
"Serina, Sektor zwei, Abteil vier wird des Verrates gegen den Staat beschuldigt", erhob er die Stimme.

In ihrer Welt trugen die Gestaltwandler keine Nachnamen. Sie wurden mit ihrem Sektor und ihrem Wohnabteil ausgewiesen. Sektor eins bis vier gehörten der Oberschicht. Sektor fünf bis acht gehörten der Unterschicht.
"Sie hatte eine Beziehung mit einem Mann aus der Unterschicht. In unserer Verfassung ist verankert dass es uns Gestaltwandlern untersagt ist einen Partner aus der jeweilig anderen Schicht zu haben um unsere Schicht rein zu halten. Serina hatte über mehrere Monate eine innige Beziehung mit Jorden, Sektor sieben, Abteil zwanzig" bei seinen Worten zuckte ich zusammen.
Mein Mitbewohner Jorden war ihr Partner gewesen.
Jetzt machte alles einen Sinn. Sein Schrei, sein Versuch auszubrechen und seine Bestrafung.
"Der zweite Angeklagte Jorden, Sektor sieben, Abteil zwanzig kann aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Verhandlung teilnehmen. Doch aus zeitlichen Gründen wird die Verhandlung nicht vertagt. Als Serinas Vergehen bekannt wurde, floh sie in die Menschenwelt und wurde von einer Familie aufgenommen, welche sie als Adoptivtochter ausgaben. Nun ist Serina zurückgekehrt um ihre Schuld zu begleichen. Ihr wird das Todesurteil erlassen, da sie eine gesuchte Staatsverräterin stellte. Die Milderung ihrer Urteils besagt ihre Abstufung in die Unterschicht. Noch heute wird sie Mitglied der Unterschicht werden und dort den Rest ihres Lebens verbringen."

Serinas Gesicht blieb reglos bei der Verkündung des Urteils. Sie hatte ihren Willen bekommen, um meinetwillen wurde sie verschont.
Meine Wut auf sie milderte sich etwas ab, nun da ich ihre Geschichte kannte.
Doch sie hatte mein Vertrauen missbraucht und mich ausgeliefert. Das würde ich so schnell nicht vergessen.
Doch im Moment beschäftigte mich ein ganz anderer Gedanke. Wenn dieses Urteil als Milderung galt, welches Urteil würde dann Jorden erhalten?

GezeichnetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt