13. Kapitel

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Er ist gestorben.

Nach diesem Eintrag kam eine Woche nichts mehr. Sie hatte mich angerufen und wir haben telefoniert. Ich bin zum Krankenhaus gerannt und ich war besorgt und verzweifelt. Es ging ihr schlecht und ich konnte nichts machen. Es geht ihr da oben hoffentlich besser. Da oben hat sie hoffentlich mehr Glück. Sie hat hier nämlich nicht gelebt. Sie hat hier nur existiert.

Ich hielt den Blumenstrauß in meiner rechten Hand und in der linken Hand hielt ich die Pralinenschachtel. Thomas liebte Schokolade. Er war ein so toller Mensch. Ich wartete gerade auf die U-Bahn. Autumn hatte mich gebeten ihren Vater mit ihr heute zu besuchen. Es wurde irgendwie zur Routine. Wir saßen meistens bei ihrem Vater im Zimmer, sie auf dem Bettende und ich auf einem Stuhl. Wir unterhielten uns über alles mögliche und lachten viel zusammen. Manchmal besuchte ich Thomas auch alleine, jedoch erzählte ich dies Autumn nicht. Mein Handy finng an zu vibrieren, weshalb ich es aus meiner Hosentasche fischte. Es war Autumn. Lächelnd hob ich ab, jedoch verschwand es so schnell, wie es gekommen war. Sie schluchzte. "Schatz?!", rief ich besorgt ins Telefon. "Autumn? Was ist los?!", langsam wurde ich panisch. Ich zögerte nicht und ließ den Strauß und die Pralinen einfach fallen. Sofort wurde mir klar was los ist. Ich rannte die Treppen hoch und machte mich auf dem Weg zum Krankenhaus. Es war relativ heiß, weshalb es mir den Weg erschwerte. Während ich rannte, telefonierte ich noch mit ihr und versuchte sie irgendwie zu beruhigen. Ich kam nach fünfzehn Minuten an und öffnete, verschwitzt und außer Puste, die Zimmertür. Sie saß neben dem Bett, jedoch lag niemand drin. Sie weinte und ich merkte wie mit jeder weiteren Sekunde mein Herz brach. Es zerbrach und ich wusste nicht was ich machen sollte, weshalb ich leise auf sie zu ging und sie in den Arm nahm. Ich konnte nicht sagen dass alles besser werden würde oder sie drüber hinweg kommen würde. Es war ihr Vater und wenn wir ehrlich sind, hasst es eine weinende Person diese Wörteer zu hören. Sie drückte sich an mich und weinte weiter. Ihr ging es mieserabel und ihr Herz war in Millionenstücke gebrochen. Da war es wieder. Da war ihr tief. Nach einiger Zeit beruhigte sie sich und starrte stumm auf das Bett vor ihr. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, deshalb hielt ich nur ihre Hand. Ich wusste dass die Stille sie im Moment auffraß, jedoch wusste ich nicht was ich sagen sollte. Was hätte ich nun sagen sollen? Ich versuchte sie zu beruhigen, jedoch klappte es nicht. Sie war in ihrer eigenen Welt.

Sie war die nächtsten Woche in ihrer eigenen Welt. Sie ging alles und jedem aus dem Weg. Sie kam nicht zur Schule und aß nichts. Ihre Tante erzählte dass sie nur noch im Zimmer saß und Musik hörte. Ab und zu zeichnete sie etwas oder schrieb etwas in ihr Tagebuch. Sie gab ihr Leben nicht auf, jedoch hatte sie sich, zu diesem Zeitpunkt, schon längst aufgegeben. Sie hat ihren Glauben aufgegeben. Sie hatte schon lange keine Lust mehr zu leben, jedoch gab der Tod ihres Vaters ihr den letzten Kick. Sie gab ihre Lebenslust komplett auf. Sie gab alles auf und seit diesem Tag schreite sie stumm nach Hilfe, jedoch hörte ich sie nicht. Sie schrie stumm nach Hilfe, in einer Welt in der jeder an sich selbst denkt. Sie schrie stumm nach Hilfe und alles was ich hörte war ihr gefälschtes Lachen. Gott, wie dumm konnte ich nur sein.

Ich konnte ihren Schmerz nie nach vollziehen, doch heute kann ich es. Ich weiß wie es nun ist jemanden zu verlieren. Ich weiß wie es ist, die Person die man liebt zu verlieren. Ich weiß wie es ist und am liebsten würde ich diese Erfahrungen eintauschen. Ich würde den Schmerz und das ganze Leid eintauschen. Ich möchte das nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr zu kämpfen. Es gibt Tage an denen ich überlege zu ihr zu ziehen. In den Himmel. Jedoch weiß ich dass sie wollte dass ich lebe. Wäre es egoistisch? Wäre es falsch wenn ich ihr Versprechen breche? Wenn ich nicht kämpfe? Denn ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht mehr kämpfen. Ich kann nicht mehr lächeln. Ich habe wieder mein tief erreicht. Sie sagte immer dass nichts lange hält. Dass man nicht lange ein hoch hätte und nicht lange ein tief. Sie hat gepflegt zu sagen dass alles sich ändert, ob wir wollen oder nicht. Gerade als ich dachte dass alles sich bessert und ich mein hoch erreicht habe, ändert sich alles und ich falle. Es fühlt sich an als wäre ich auf einer Achterbahn. Der Unterschied jedoch ist dass es für mich langsam bergab geht, anstatt dass ich runter rase. Das ich nicht weiß was mich erwartet. Das ich nicht weiß ob ich diese Achterbahn jemals verlassen kann. Wird sie jemals halten? Oder muss ich springen? Oh Gott bitte halte diese Achterbahn an, denn mir ist schlecht und ich will raus. Mir ist schlecht von der Achterbahn. Mir ist schlecht vom Leben. Ich möchte aussteigen, jedoch hält sie nicht und springen möchte ich nicht. Ich will raus, bin jedoch gefangen. Ich bin in meinem Leben gefangen und ich weiß nicht was ich machen soll. Ich weiß nicht was ich noch machen soll. Ich weiß letztendlich nur wie Autumn sie gefühlt hat. Es tut mir so leid dass sie da alleine durch musste. Sie hat, mit jedem Schritt den sie machte, gelitten. Sie hat unfassbar viel leiden müssen. Und niemanden ist es aufgefallen. Ich habe kein Recht andere zu hassen, weil es ihnen nicht aufgefallen ist. Mir ist es doch auch nicht aufgefallen. Mir ist nicht aufgefallen, wie meine Freundin mehr und mehr in sich zerbrach. Sie fragte mich mal ob Suizid egoistisch sei. Ich darauf meinte nur dass ein Mensch gehen dürfte, wenn er nicht mehr bleiben wolle. Hätte sie sich umentschieden, wenn ich anders geantwortet hätte? Mal wieder merke ich wie viel ich hätte machen können. Wie ich ihren Suizid verhindern hätte können. Mal wieder merke ich dass ich sie in meinen Armen halten möchte, jedoch es nicht kann. Langsam schneide ich durch meine Haut. Der Schnitt ist nicht tief, beruhigt mich aber. Sie schrieb oft über ihr Sucht vom Ritzen und wie ich ihr Anker sei. Ich war ihr Anker, doch wer ist meiner? Mich hält hier nichts mehr. Ich schneide weiter durch meine Haut und fühle mich immer befreiter. Das Gefühl von Freiheit übernimmt mich und gerade als ich erneut ansetzen möchte platzt Jaden rein. Er sieht die blutverschmierte Klinge in meinen Händen und sofort erstarrt er. Langsam taut er auf und kommt auf mich zu. Er kniet sich zu mir runter und nimmt mir vorsichtig die Klinge aus den Händen. Danach setzt er sich stumm vor mich und schaut mich an. Wir beide sagen kein Wort, trotzdem merke ich wie sich tausende Szenarien in seinem Kopf abspielen. Er möchte etwas sagen, jedoch bringt er kein Wort raus. Er möchte etwas machen, jedoch weiß er nicht was. Er ist hilflos und verzweifelt. So wie ich. Nachdem er tief durchatmet, senkt er seinen Blick auf meine Arme. "Warum?", fragt er mich leise. "Es befreit", sage ich noch leiser, als er. Er steht auf und kramt aus einer Schublade den Verbandskasten raus und macht Anzeichen darrauf dass er gleich meine Arme desinfizieren wird. Ich nicke leise und kurz danach spüre ich das Brennen auf meinen Armen. Es tut unglaublich weh, jedoch ziehe ich meine Arme nicht zurück. Selbst das brennen beruhigt mich. Es befreit mich. Es zeigt mir dass ich den Schmerz verdiene. Eine so tolle Person hat so lange Schmerzen mit sich getragen, wenn ich nur kurz einen kleinen Schmerz verspüre, werde ich nicht sterben. Zumindest nicht so wie sie es ist. Langsam fängt er an meine Arme zu verbinden und passt auf dass er mir nicht weh tut. "Ich weiß du vermisst sie", sagt er leise, als er die Sachen wegpackt. "Doch bitte lass uns dir helfen. Ich möchte dich nicht an deinem Grabstein besuchen", sagt er und dreht sich wieder zu mir. In seinen Augen sehe ich Tränen und Angst. Viel Angst. Ich stehe auf und nehme ihn sofort in den Arm. "Es tut mir leid", sage ich leise.

Really bad? | #Wattys2016 #JustWriteItWo Geschichten leben. Entdecke jetzt