Kapitel 1

2.3K 50 3
                                    

Ich war froh, als ich endlich die Tür zu meinem neuen Zimmer schloss und mich seufzend auf das Bett setzte. Die Krücke lehnte ich an die blassblaue Wand, bevor ich einen der vielen Kartons hochhob und ihn öffnete. Darin befanden sich Bilderrahmen, Fotos und viele weitere Erinnerungen an mein früheres Leben. Ich schluckte und schob den Karton wieder von mir. 

Langsam stieß ich mich vom Bett ab und humpelte zur breiten Fensterbank, auf welche ich mich niederließ. Von dort hatte ich einen großartigen Blick auf unseren Garten und die weitläufige Stadt.
Es würde seine Zeit brauchen, bis ich mich hier wie zu Hause fühlen würde. Ich vermisste Kanada, unser kleines Häuschen und den See in unserem Garten. Ich vermisste mein altes Leben und trotzdem war ich unendlich froh weit weg davon zu sein. Weit weg von dem Leben, das ich nun nie wieder so leben könnte.

Mit meinem Zeigefinger malte ich eine Schneeflocke an die beschlagene Fensterscheibe und betrachtete sie für eine Weile.
Dann rief meine Mutter zum Abendessen und ich stolperte zu meinem Bett, nahm die Krücke und stieg die breiten, dunklen Treppen herab.

Das Haus war etwas größer, als unser Altes aber ebenso altmodisch. Es gefiel mir. Die dunklen getäfelten Wände im Flur und im Esszimmer, die helle Küche und das Wohnzimmer, das sogar einen Kamin hatte. Im zweiten Stock befand sich das Zimmer meiner Eltern und das Arbeitszimmer meines Vaters, vollgestopft mit Hunderten von Büchern. Ein Bad im unteren Stock, zwei im Oberen. Ein kleines und ein großes, eins für mich und eins für meine Eltern. Und dann gab es da noch mein Zimmer, ein Eckzimmer. Es war etwas kleiner als mein Altes, doch ich hatte mich sofort in die breite Fensterbank verliebt, die ich wohl noch mit einigen Kissen ausstatten würde. Es gab auch eine Kommode, ein gemütliches Bett und einen kleinen Wandschrank. Es war perfekt.

"Lou? Kommst du?" rief meine Mutter und riss mich damit aus meinen Gedanken.

Rasch betrat ich das Esszimmer und sah wie meine beiden Eltern bereits am Tisch saßen und mich beruhigend anlächelten. Ich setzte mich hinzu und nahm den Teller entgegen, den meine Mutter mir reichte. Während des Essens wurde kaum geredet, meine Mutter versuchte immer wieder Gespräche anzufangen, was allerdings kaum funktionierte. Als alle fertig hatten, räumte mein Vater den Tisch ab, während ich sitzen blieb und auf den dunklen Holztisch blickte. Meine Mutter räusperte sich und legte ihre Hand auf meine. "Ich weiß, dass es nicht einfach ist. Erst der..." Sie verstummte sofort als ich zu ihr aufblickte.  

Sie räusperte sich. "Der Umzug, neue Schule, neues Land.. Alles ist anders. Aber das ist nun mal das Beste. Wir werden hier wieder glücklich sein. Gib uns nur etwas Zeit."

Ich lächelte und stand auf. "Ich weiß, Mum. Ich bin nur müde von der Fahrt. Also.. Gute Nacht." Ich humpelte zu ihr hin und gab ihr einen Kuss auf die Wange, bevor ich meine Krücke ergriff und wieder in mein Zimmer zurück ging. Ich wusste sie würde mir nachdenklich nachsehen, wie sie das in den letzten Monaten so oft gemacht hatte. Und ich wusste auch, dass der Umzug meinen Eltern viel schwerer gefallen war, als mir. Sie waren glücklich in Kanada, während ich am Ende nichts mehr wollte, als fortzugehen. Es tat weh, dass sie Alles für mich aufgegeben hatten. Ihre Jobs, ihre Freunde, das Haus... Und dennoch wusste ich, dass sie hier schnell Anschluss finden würde, sich wohlfühlen würden. Bei mir wäre es jedoch anders, für mein Leben lang würde ich ein Außenseiter sein und daran müsste ich mich erst noch gewöhnen.

EisprinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt