Kapitel 3

488 9 2
                                    

Nach einem kurzen Blick auf meinen Stundenplan stelle ich fest, dass ich nun Mathe gemeinsam mit Ally habe. Trifft sich ganz gut, da ich ihr gerade sowieso einfach nur hinterher laufe. Ob aufgrund meiner Müdigkeit oder meiner fehlenden Kenntnisse des Stundenplans sei mal so dahin gestellt.

Ally und ich haben uns am Jahresanfang einen Tisch in der letzten Reihe gesucht, um einigermaßen ungestört reden zu können. Unser Lehrer ist zum Glück sowieso einer von der Sorte, die sich nicht viel für die Schüler und das was sie tun interessieren und einfach ihren Unterricht durchziehen. Egal ob alle gerade reden, eine Schlägerei stattfindet oder Drogenhandel abläuft, ihn juckt das einfach nicht.

Für mich und die meisten anderen ist das ziemlich vorteilhaft, doch die kleine Gruppe an streberhaften Lehrerlieblingen in der ersten Reihe verzweifelt regelmäßig daran und beschwert sich bei uns, da ihnen „überaus wichtige Informationen, die ihnen im weiteren Leben durchaus von Nutzen sein könnten, durch uns verwehrt werden."

Ally ist mal wieder schneller als ich, weil ich ständig in Gedanken versunken irgendwo stehen bleibe, und sitzt bereits an ihrem Platz.

Als ich jedoch durch die Tür gehen will, werde ich unsanft angerempelt und stoße gegen den Türrahmen. Genervt drehe ich mich zu dem Rempler um. Wie erwartet steht Marie, die allseits bekannte Schulschlampe vor mir. Und leider passt dieser Ausdruck wirklich zu ihr. Sie hat sich im Laufe der letzten Jahre an beinahe jeden Jungen der Schule rangemacht, ist mit den meisten im Bett gelandet und hat teilweise sogar Geld dafür genommen, was sie selbst ganz stolz jedem erzählt hat. Durch einen schnellen Blick in ihr Gesicht stelle ich fest, dass sie sich heute mal wieder selbst übertroffen hat mit ihrem atemberaubend übertriebenen Makeup.

„Oh, tut mir wirklich leid Phoebimaus... Hab ich dich etwa berührt? Weißt du, dich übersieht man so leicht. Komisch eigentlich, so eine Hässlichkeit müsste doch auffallen." Arrogant und scheinbar stolz auf ihre sehr kreative Bemerkung, die sie so gut wie jedem weiblichen Wesen an dieser Schule täglich zu säuselt, wirft sie ihre wasserstoffblond gefärbten Haare über die Schulter. Anstatt etwas zu erwidern, fange ich an zu lachen, bis ich kaum noch Luft bekomme. Marie wirft mir einen verstörten Blick zu. Sollte ich ihr vielleicht sagen, dass eine ihrer künstlichen Wimpern in ihrem hässlichen pinken Lippenstift klebt?

Lange bleibt mir nicht um über meine Antwort zu entscheiden, denn Prinzesschen hat es anscheinend eilig. Schnaubend wackelt sie auf ihren viel zu hohen Schuhen davon. Sie ist einfach viel zu lächerlich, als dass ihre Beleidigungen irgendeine Wirkung hätten. Nicht mal ich fühle mich dadurch auf irgendeine Weise verletzt, obwohl ich sonst nicht gerade das größte Selbstbewusstsein habe.

Immer noch grinsend setze ich mich neben Ally. Wissend lächelt sie mir zu, da sie das ganze Geschehen wohl beobachtet hat. Wie die meisten findet auch sie Marie einfach nur traurig und ihr Verhalten ziemlich lustig.

„Hey Prinzessin, warum lachst du so?", höre ich eine vertraute Stimme von der rechten Seite. Schnell drehe ich mich um, um vor Stundenbeginn noch kurz meinen guten Freund Ethan zu begrüßen. Er ist übrigens der einzige dem ich erlaube, mich Prinzessin zu nennen. Bei allen anderen finde ich solche Spitznamen ehrlich gesagt peinlich und irgendwie unpassend, doch bei ihm ist das einfach etwas anderes.

Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten und sind seitdem die allerbesten Freunde. Als wir 5 Jahre alt waren, haben wir geheiratet und uns geschworen, immer zusammenzubleiben. Er hat damals den Kommunionsanzug seines großen Bruders angezogen der ihm viel zu groß war und ich trug ein weißes Feenkleid, das eigentlich für Fasching gedacht war. Aber ich fand es einfach so schön und wollte an meinem „großen Tag" toll aussehen.

Trotz dieser sehr romantischen Heirat hat sich zwischen uns nie etwas, das über Freundschaft hinausgeht entwickelt. Und das ist auch gut so, denn so einen tollen Freund wie Ethan hätte ich sicher sonst nie gefunden. Wir umarmen uns und er erkundigte sich nach meinem Wochenende. „Naja, es war wie immer. Ich hab auf Mina aufgepasst, gelernt und bin zuhause rumgesessen. Dafür bin ich jetzt mit der 11. Staffel von Greys Anatomy fertig!", erzähle ich ihm stolz und grinse ihn dabei an. Ethan kann ich wirklich alles erzählen. Er findet es nicht komisch, wenn ich nicht auf Partys gehe oder stempelt mich als Streber ab, weil ich viel lerne. Deshalb würde ich ihn nie anlügen oder nur ausweichende Antworten geben.

„Mir ging es genauso. Wir könnten doch heute Nachmittag ins Kino gehen, wenn du willst. Leute mit Popcorn abwerfen, danach noch ein Eis essen... Um das äußerst spannende Wochenende auszugleichen.", schlägt er mit einem Zwinkern vor. Begeistert nicke ich, er schafft es einfach immer mich aufzumuntern. Glücklicherweise haben wir schon seit unserer Kindergartenzeit die gleichen Interessen und Hobbys und somit relativ wenige Probleme, wenn es um die Planung irgendwelcher Ausflüge oder Unternehmungen geht.

Mit dem Gedanken an Spaß am Nachmittag lässt sich sogar Mathe und der Rest des viel zu langen Schultages etwas leichter ertragen. Zufrieden setze ich mich zurück auf meinen Platz und verfolge den kurz darauf beginnenden Unterricht für meine Verhältnisse weitestgehend aufmerksam.

Nach weiteren fünf langweiligen Unterrichtsstunden verlasse ich endlich gemeinsam mit Ethan das Schulgelände, nachdem ich mich von Ally verabschiedet habe. Lucy hat mir bereits vorhin eine kurze Nachricht geschrieben, dass sie mit Alex nach Hause fährt und ich nicht auf sie warten muss. Das Kino ist nicht wirklich weit entfernt, wir müssen nicht einmal einen Bus nehmen. Mit dem Fahrrad würde es vielleicht trotzdem ein wenig schneller gehen, aber dafür setze ich mein Leben nicht aufs Spiel. Sport ist nicht so meins, ich verletze mich einfach viel zu oft.

Also mache ich mich gemeinsam mit Ethan auf den Weg.


Wenn die Hoffnung zuletzt stirbt - muss ich dann vor ihr gehen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt