Lächeln ist ansteckend? Warum starten wir nicht eine Epidemie?

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Ich bemühte mich wirklich, wirklich, wirklich auf dem Heimweg nicht ständig auf den Zettel zu starren, doch irgendwie fand meine Hand immer wieder ganz allein ihren Weg in meine Hosentasche, wo der gefaltete Zettel lag. Als ich an mir herunter sah, um das Eigenleben meiner Hand zu verfolgen, fiel mir auf, dass ich doch tatsächlich noch Dads Hemd anhatte. Sowohl gestern Abend, als auch heute hatte Roy mich in einem alten Hemd gesehen. Oh je. Was für einen Eindruck hatte er sich nur von mir gemacht? Einsames, verrücktes, eigenbrötlerisches, schweigsames Mädchen mit Smalltalk- Schwierigkeiten. Super. Mir blieb nichts anderes übrig, als über mich den Kopf zu schütteln. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich ließ den gefalteten Zettel wieder in meine Hosentasche gleiten. Ganz sicher würde ich ihn nicht anrufen. Ab jetzt würde ich mich ihm nicht mehr aufdrängen. Ich beschleunigte meinen Schritt. „Hallo, Maus! Abreagiert?" Dad saß auf dem Dach der Ranch, legte einen Dachziegel zur Seite und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ich blinzelte hinauf, der Sonne entgegen und seufzte. „Tut mir...tut mir wirklich leid, Dad. Ich war wohl...ein bisschen übermüdet" Er lächelte und winkte ab. Ich verschwand ins Haus. Drinnen war es angenehm frisch und die Müdigkeit schien mich nun geradezu zu überwältigen. Ich warf meine Klamotten nur achtlos auf den Boden und kroch unter die Bettdecke. Weil ich auf keinen Fall über irgendetwas nachdenken wollte, mein Gehirn jedoch vor Gedanken platzte, kniff ich krampfhaft beide Augen zu und zog mein Kissen über meinen Kopf. Nicht Nachdenken, Summer. Schlafen. Einfach nur schlafen, Summer.

Ich schaffte es tatsächlich einzuschlafen, aber es war keineswegs ein erholsamer Schlaf. In meinem Traum ging alles drunter und drüber. Elefanten. Schwestern in Artistenkostümen. Zerknitterte Zettel mit Telefonnummern. Strenge Zirkusdirektoren. Lächeln. Und noch mehr Zettel mit irgendwelchen Ziffern darauf. Irgendwann dann, schlug ich meine Augen auf und tappte im XXL T-Shirt in die Küche. „Ach, auch schon wach?", lachte Mom. Sie saß am Esstisch und rührte gerade Eier mit Milch an. „Was machst du denn?" „Kuchen" Lecker! Ich nahm ein Glas Wasser und setzte mich zu ihr an den Tisch. Wie hypnotisiert starrte ich auf das Glas. „Wann bist du nach Hause gekommen? Ich hab dich gar nicht gehört" „Gegen halb drei" „Und...wo warst du, wenn ich fragen darf?" „Spazieren. Nahe der Stadt" Sie sah mich so an, als würde sie gerne Genaueres erfahren, aber ich hatte nicht die geringste Absicht, ihr vom Zirkus zu erzählen. Oder von Roy. Denn Mom ist noch schlimmer als ich. Wir beide sind von zahlreichen Liebesromanen und –filmen beeinflusst worden. Allerdings schmachte ich nur während des Lesen, bzw. Schauens. Sie hat so ihre Probleme damit, Fiktion und Realität zu unterscheiden und findet alles romantisch. Bei den kleinsten Dingen hat sie sofort eine komplette Romanze vor Augen. „Nur spazieren?" Ich nickte und nippte am Wasser. Sie räusperte sich, dann schüttete sie den Teig aufs Blech. „Wie geht's Ronny?" Mom verstand sich mit meiner besten Freundin ziemlich gut. Überhaupt versteht sie sich mit den meisten gut. „Super. Sie sagt, Europa sei unglaublich. Es stört sie nur, dass man dort erst ab achtzehn den Führerschein machen darf. Allerdings, bekommt man Alkohol schon ab achtzehn. Und sie sagt, es ist deutlich frischer als hier" Mom lachte. „Ist ja auch schwer, die Temperaturen des Valley of the sun zu toppen" Ich nickte. „Ich bin im Pool, okay?" „Klar, Nick müsste auch gerade drin sein" Na toll. „Sum!" Nick sprang in unseren Pool, wohl bedacht darauf, so viel wie möglich von mir nass zu spritzen. „Komm rein!", krähte er. Ich umrundete den Pool, bis ich die Treppen erreicht hatte und machte mich dann langsam nass. Im Sommer, wenn es hier sogar im Schatten über dreißig Grad warm war, verbrachte ich normalerweise drei Viertel des Tages hier drinnen. „Lass uns was spielen!", bat Nick, schwamm an den Beckenrand, kletterte raus und machte dann einen Kopfsprung ins kühle Nass. „Später vielleicht. Lass mich jetzt mal meine Bahnen schwimmen" Ich begann zu kraulen und das Geräusch des verdrängten Wassers übertönte Nicks Maulen. Schwimmen war ebenso gut wie Spazieren, wenn man in Ruhe nachdenken wollte. Wenn man allerdings etwas verdrängen wollte, war Schwimmen ein kleines Bisschen besser, denn im Wasser konnte man sich aufs Atmen konzentrieren, Kraulbewegungen perfektionieren und die Bahnen zählen, die man geschwommen war. Man konnte diese Zahl dann getrost verdoppeln, halbieren, mit seiner Lieblingszahl multiplizieren und nach Belieben dividieren. Kurz, im Wasser konnte man sich sehr gut ablenken. Im schlimmsten Fall nimmt man dafür sogar die Mathematik in Kauf. Ich schwamm also, vertröstete immer wieder Mal Nick, wenn sein Betteln nicht mehr zu ertragen war und konzentrierte mich darauf, die Fliesen zu zählen, über die ich schwamm. Ich war wohl ziemlich erpicht darauf, mich abzulenken... „Bitte Sum!" Nick dehnte sein Biiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiitte unendlich lange aus und irgendwann nickte ich dann und spielte mit ihm Wasserball. „Ich war heute bei Noah!" Er warf mir den Ball zu. Ich war heute bei Roy! Ich spielte ihn zurück. „Wir haben Zirkus gespielt" Er warf ihn wieder her. Ich war im Zirkus. Ich warf ihn zurück. „Wir wollen nämlich beide Clowns werden, weißt du?" Der Ball traf mich am Kopf. Oh Mann, ich musste hier raus! „Hier" Ich warf ihm den Ball zu. „Wir spielen später weiter" Wieder ertönte sein Ooooooh, doch ich wollte mir im Moment keine Einzelheiten über rote Nasen anhören. Im Zimmer griff ich automatisch nach der Hose, die ich vorhin einfach auf den Boden hatte fallen lassen. Jedenfalls wollte ich nach der Hose greifen, doch auf dem Boden lag kein einziges Kleidungsstück mehr. „Mom?" Sie antwortete nicht. Ich lief in die Küche. „Mom! Hast du meine Hose genommen?" Sie holte gerade den Kuchen aus dem Ofen und stellte ihn auf die Theke. „Ja, warum?" „Wo ist sie?!" „In der Waschmaschine. Apropos, du könntest nachsehen, ob sie schon fertig ist und die Wäsche aufhängen" „In der Waschmaschine?!", rief ich alarmiert. „Du hast Wäsche gewaschen?!" Ohne eine weitere Erklärung hastete ich in das Badezimmer, das zum Schlafzimmer meiner Eltern gehörte. Ich ließ mich vor die Waschmaschine fallen und riss, ohne Rücksicht darauf, ob der Waschgang beendet war, die Tür auf. Nein! Nein, nein, nein, nein, nein! Bitte nicht! Bitte, bitte hab alle Hosentaschen kontrolliert, bevor du sie in die Maschine getan hast, Mom! Bitte hab den Zettel rausgeholt! Nein. Als ich in die rechte vordere Hosentasche griff, konnte ich Fetzen von nassem Papier spüren. Nein! Ich versuchte die kleinen Teile so sorgsam wie nur möglich raus zu fischen, doch es war hoffnungslos. Alles, was ich in der Hand hielt, waren kleine, eingeweichte Papierkügelchen. Ich konnte sie nicht einmal wieder auseinanderfalten und glätten, geschweige denn, Zahlen erkennen. Ich ließ mich, mit dem Rücken gegen das Badmöbel, nach hinten fallen. Keine Zahlen. Keine Telefonnummer. Kein Roy. „Alles okay?" Mom war mir ins Badezimmer gefolgt und sah jetzt ziemlich besorgt auf mich hinunter. Ich hielt ihr die offene Hand mit all den Papierkügelchen hin und schüttelte betrübt den Kopf. „Oje, war das was Wichtiges?" Ich schluckte und stand auf. „Nein. Nichts Wichtiges"

Die Kunst des ClownsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt