Gott sei Dank! Ich sah ihn.
Ich konnte nicht genau beschreiben, was in mir vorging, als ich ihn endlich wieder sah. Wie er um die Ecke geschlendert und lässig zu mir kam. Im Clownskostüm. Mit aufgemalten und echtem Lächeln. Ich strich mir die nassen Haare aus dem Gesicht.
„Runter mit der Wasserpistole, Kollege" Er zwinkerte Noah zu und reichte mir eine Hand, vermutlich, um mir vom Tisch zu helfen. Ich schaute ihn baff an, doch dann hörte ich, wie Nick überglücklich „Roy!", rief und konnte nicht anders, als seine Hand zu ergreifen.
„Was-?", setzte ich an, doch er lächelte nur.
„Clownsversprechen werden eingehalten, weißt du noch? Ich hab Nick versprochen, zu seiner Party zu kommen"
Ich konnte meinen Mund immer noch nicht zukriegen, auch nicht, als Nick vorgelaufen kam und Roy stürmisch umarmte. „Da bist du ja endlich! Summer hat gesagt, du kommst nicht!"
Roy zwinkerte ihm zu. „Da haben wir dich ordentlich auf den Arm genommen, was Großer?"
Nick lachte und sah so glücklich aus, dass ich ein unbändiges Bedürfnis in mir verspürte, Roy um den Hals zu fallen.
„Ich würd sagen, der Clown geht an die Arbeit oder? Hinsetzten ihr zwei"
Ich schaute erstaunt auf Lynn, die ebenfalls aus dem Nichts aufgetaucht war und jetzt ihren Bruder auf den Tisch begleitete, um mit der Show zu beginnen.
Und was für eine Show es war!
Immer wieder durften Nick und seine Freunde beim Luftballonknoten assistieren, mitraten und vor allem laut grölend lachen. Und ich saß in der hintersten Reihe und versuchte, das alles erst mal zu begreifen.
Immer wieder kreuzten sich Roys und meine Blicke und immer wieder musste ich mich beschämt abwenden. Immer wieder wurden meine Wangen rot und immer wieder klopfte mein Herz im doppelten Rhythmus.
Gott oh Gott, womit hatte ich das verdient? Nick war selig, wie nie. Sein Traum von der Mega-Geburtstagsfeier hatte sich erfüllt. Roy war da.
Roy war da!!!
Als Lynn nach einer knappen Stunde die Show beenden wollte, stand ich auf und betete, dass meine Beine mich halten würden.
Als wäre alles weit entfernt hörte ich, wie Lynn, zusammen mit Mom die Jungs zum Buffet bat und vom Star-Wars-Kuchen schwärmte.
Doch während ich einen Schritt nach dem anderen machte und mich allein das unendlich viel Anstrengung kostete, war ich in Roys unergründlichem Blick gefangen.
Gott, diese Augen! Wie sehr hatte ich ihn vermisst! Wie unglaublich hatte ich mich nach ihm gesehnt!
„Hi", hauchte ich, als ich etwa einen Meter von ihm entfernt war. Ich wusste nicht, wie nah ich ihm noch kommen durfte.
„Kuckuck", er lächelte mich an.
Ich lächelte schwach. „Danke, dass du das für Nick getan hast" Es viel mir unglaublich schwer, ihm in die Augen zu sehen.
Er griff nach meinen nassen Haarsträhnen. „Wäre doch eine Schande, hätte Nick nicht seine perfekte Geburtstagsfeier gekriegt. Und- lieb gemeint- du bist ein ganz furchtbarer Clown"
Ich lächelte schüchtern.
„Gehen wir ein Stück?"
Ich nickte. Als wir uns in Bewegung setzten, legte er nicht seinen Arm um mich und ich fühlte, wie mir das einen kleinen Sehnsuchtsstich versetzte.
Wir gingen ein gutes Stück, ohne ein Wort zu sagen. Ich fragte mich, was wir wohl für ein Bild abgaben. Zwei Clowns, davon einer mit nassen Haaren. Doch dann, in Mitten von all dem Dunkelgrün, räusperte er sich.
„Ich hab...einige Fragen an dich" Seine Stimme war immer noch nicht völlig zurück.
Ich nickte.
„Darf ich?"
Wieder nickte ich.
„Hätten dir deine Eltern irgendwie helfen können? Ich meine hätte es irgendwie...vermieden werden können?"
Ich holte tief Luft. Ich wusste, dass ich es ihm schuldig war, wenigstens ehrlich zu antworten. „Nein. Jedenfalls war ich damals überzeugt, dass mir nichts und niemand mehr hätte helfen können"
Ich sah, wie maßlose Erleichterung durch ihn strömte. Er hatte sich also wirklich die Mitschuld an Graces Freitod gegeben.
„Und hätte jemand ahnen müssen, was du vorhattest? Hast du vielleicht sogar darauf gehofft, dass dich noch jemand retten würde? Hast du kleine Hinweise gegeben?"
„Nein, niemand sollte etwas ahnen. So blöd das auch klingt, ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen um mich machten. Und nein, ich hatte mit mir vereinbart zu sterben. Ich dachte, ich wäre wirklich bereit dafür. Auch, wenn ich jetzt Angst davor habe, ob ich wirklich dazu in der Lage gewesen wäre"
„Was hat dich...schlussendlich...davor bewahrt zu...springen?"
Ich holte tief Luft. Die Erinnerungen an den Morgen taten beinahe weh. „Das Poster auf deinem Wohnwagen", flüsterte ich heiser, „der lachenden Clown"
Ich sah, wie er tief Luft holte und um Fassung kämpfte, aber dann verlor er den Kampf. Er streckte seine Arme aus und ich ließ mich in seine Arme fallen und spürte, wie ihn ein Weinkrampf zittern ließ. Sein hilfloses Schluchzen brach mir in dem Moment das Herz und ich hätte alles dafür gegeben, seine Tränen zu trocknen.
Aber ich wusste, dass er nicht nur um mich weinte.
Er weinte um seine Mom, die er nicht retten konnte.
Er weinte, weil er sie vermisste.
Er weinte, weil er verdammt erleichtert war, wenigstens ein Leben gerettet zu haben.
„Gott, ich hab dich so gern Summer!", weinte er und drückte mich fest an sich. „Ich hab dich so gern! Bitte mach so etwas nie wieder! Bitte nicht!"
Eine ungekannte Wärme breitete sich in mir aus. Er hatte mich gern! Er hat gesagt, er hat mich gern.
„Bitte nicht!", wiederholte er leise. „Bitte nicht!"
Ich spürte sein Herzklopfen und seine Tränen, die langsam über meine Wange liefen.
„Sch", versuchte ich ihn zu beruhigen und streichelte ihm langsam über seine Wange. „Sch"
Er drückte mich noch fester an sich und wieder fragte ich mich, welches Bild wir wohl abgeben würden. Zwei Clowns, die sich weinend umarmen.
„Gott Summer, ich hab dich so gern"
Mein Herz machte den höchsten aller Herzsprünge.
„Hast du gehört, Sum? Ich hab dich so lieb! Es tut mir Leid, dass ich dich im Stich gelassen habe! Es tut mir so schrecklich leid!"
„Mir tut's Leid! Ich muss mich entschuldigen, Roy"
Doch statt einer Antwort legte er seine Lippen auf meine und gab mir zugleich den wehmütigsten, traurigsten, aber auch schönsten Kuss.
DU LIEST GERADE
Die Kunst des Clowns
Novela JuvenilKinder lachen 500 Mal am Tag. Erwachsene nur knapp 15 Mal. Summer nie. Die siebzehnjährige Tochter eines Orangenplantagenbesitzers und einer ehemaligen Geschichtslehrerin fürchtet, ihr Lachen verloren zu haben. Seit Jahren leidet sie unter einer An...