R + S

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Ich blinzelte kurz, griff mir in die Haare, hob dann hilflos die Hände und versuchte eine Situation, die ich selbst noch nicht mal ganz begriffen hatte, zu erklären. „Dad...das ist-" „Roy. Ich weiß", fiel Dad mir ins Wort. „Dad und Roy haben sich schon einander vorgestellt", informierte mich Nick freundlicherweise. Er sah mit großen Augen auf uns drei. Roy war der erste, der sich wieder fing. „Ja wir...hatten schon das...Vergnügen" Er lächelte Dad an. Ich sah verkrampft zu Dad, für den diese Situation gleichermaßen fremd war, wie für mich und der sich wohl in diesem Moment an alle Filme zu erinnern versuchte, wo die Tochter Jungsbesuch hat. Ich sah gleich, wie er zwischen dem harten-Kerl-Dad und dem kumpelhaften-Dad schwankte. Er sah ratlos zu Nick und kratzte sich am Kopf. „Ähm", machte er. „Bist du hier, um über meine Feier zu reden, Roy?!" Nicks Stimme klang so unglaublich glücklich und erwartungsvoll, dass ein Teil von meinem Herzen wünschte, dass Roy tatsächlich wegen seiner Geburtstagsparty gekommen war. Der größere Teil meines Herzens, wünschte sich einen anderen Grund. Roy sah kurz zu mir und zwinkerte mir zu, dann sah er wieder zu Nick und lächelte. „Klar Buddy, weswegen sonst?" Ich sah, wie er grinste und aus dem Augenwinkel zu mir spickte. Ich sah absichtlich weg. Na dann! Bitteschön! „Cool!", hauchte Nick und in seinen Augen glänzte es. Roy lachte, dann verlagerte er sein Gewicht auf seine Fußspitzen und wippte kurz. „Tolles Grundstück" Er sah zu Dad. „Und riesig. Hat 'ne Weile gedauert, bis ich hergefunden hab" Wenn man mit Dad über etwas unverfängliches Plaudern will, ist es das Beste, über die Plantagen zu reden. Gut gemacht, Roy! „Oh. Gefällt es dir?" Dad schien sich langsam für den Kumpel-Dad entschieden zu haben. „Ja. Sehr. Wie- ähm- wie viele Bäume sind das denn?" Roy steckte eine Hand in die Hosentasche und setzte einen (ehrlich?) interessierten Blick auf. „Mehr als tausend!", ging Nick dazwischen. „Weit mehr", lachte Dad. „Sind knapp 700 ha" Roys Augen weiteten sich staunend. „Wow!" „Ich ähm...hol uns dann mal was zu trinken, okay?" Sechs Augen sahen auf mich. Meine Wangen wurden noch röter. „Setzt euch...setzt euch doch schon mal auf die Veranda" Nick bewegte sich als erster, nahm mit kindlicher Selbstverständlichkeit Roys und Dads Hand und führte die beiden nach draußen. 

Ich hetzte, von einer neuen elektrisierenden Hitzewelle gepackt, in mein Zimmer, riss mir Dads Hemd vom Leib und streifte mir ein blaues T-Shirt über. Vor dem Spiegel löste ich hektisch das Haargummi aus den zerzausten Haaren und versuchte zumindest einen Teil davon zu bändigen. Dann rannte ich, so leise wie möglich versteht sich, in die Küche, riss den Schrank über dem Waschbecken auf und angelte vier Gläser heraus. Ein Tablett balancierend und gleichzeitig darauf hoffend, die richtige Menge Sirup zur richtigen Menge Wasser gemischt zu haben, trat ich in den Flur. Sobald ich mit dem Fuß die Haustür aufgestoßen hatte, vernahm ich Dads Lachen. Dads richtiges Lachen. Richtig laut und von Nicks und Roys Lachen begleitet. Ich musste unweigerlich Lächeln. Das war also eine der positiven Sachen, ein Clown zu sein: nervöse Dads zum Lachen zu bringen. „Ah Summer, da bist du ja endlich! Komm schnell, wir brauchen unbedingt eine Erfrischung!" Er wischte sich die Lachtränen aus den Augen. „Ja- das sehe ich" Ich stellte das Tablett ab und setzte mich. Von der Seite bemerkte ich Roys Blick. Auch Dad bemerkte anscheinend, dass ich mich umgezogen hatte, sagte aber nichts weiter. Gott sei Dank! „Ray hat uns gerade von-", begann Dad, aber ich unter brach ihn: „Er heißt Roy Dad. Mit O" „Na jedenfalls hat Roy uns gerade von seiner Hündin erzählt, die er als Kind hatte" Seiner Hündin? Und ihr lacht Tränen weil...? „Weißt du, wie sie hieß? Hello!" Dad brach wieder in schallendes Gelächter aus. „Hello?" Ich sah Roy fragend an. Der grinste nickend. „Ja und stell dir vor, wie die Leute geschaut haben, wenn er den Hund zu sich rief!", platzte Dad heraus. In der Tat war es wirklich eine amüsante Vorstellung, wie Roy „Hello, komm her!" rief und sich alle Leute angesprochen fühlten. „Meine Schwester hatte früher eine Katze, raten Sie mal, wie die hieß", lachte Roy. „Vielleicht Bye?", riet Dad und bebte gleich wieder vor Lachen.  Auch Roy lachte laut mit und schüttelte den Kopf. „Nein. Ihr Kater hieß Mouse" Nick prustete los und spuckte den halben Saft auf Roy. „Nick!", schimpfte ich erschrocken, aber Roy winkte ab. „Nichts passiert" Er zwinkerte Nick zu, hob seine rechte Hand und Nick klatschte ab. Ich blinzelte und begutachtete die komische Szene. Vor allem Dad, der sich noch immer nicht vor Lachen einkriegte. Bevor ich aber irgendwas hätte sagen können, hörte ich Moms Stimme, die nach mir rief. Ich sah Dad warnend an und lief hinters Haus. Mom stieg aus dem Pick-Up. „Hey Spatz! Hilf mir bitte mit den schweren Tüten!" Ich lief zu ihr und stieß vor Eile beinahe mit ihr zusammen. „Mom, du musst mir helfen!" Sie sah mich erschrocken an. „Roy ist da und Dad kriegt sich nicht mehr ein vor Lachen", informierte ich sie. „Wer ist Roy?" Sie sah mich mit ganz anderen Augen an. Dann schien ihr ein Licht aufzugehen. „Der Roy?" „Ja Mom- ein Freund" Ihr Blick wurde intensiver und durchbohrte mich vor Neugier. „Mom bitte!" „Okay. Komm schon!" Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu, drückte mir zwei Einkaufstüten in die Hand und bedeutete mir, ihr zu folgen. „Da bin ich wieder!", flötete sie, sobald sie um die Ecke gebogen war. „Hey Schatz" Sie sah, zugegeben etwas besorgt, auf Dad. Roy machte Anstalten sich zu erheben, um sich vorzustellen, aber Mom kam ihm zuvor. „Hi Roy! Freut mich!" Sie klopfte ihm liebevoll auf die Schulter. Ich sah sie misstrauisch an, doch sie ignorierte mich und sah ziemlich zuversichtlich aus. „Schatz, hilf mir mal! Nimm Summer die schweren Taschen ab und hilf mir, sie reinzubringen" Sie sah kurz auf Nick, der sie mit offenem Mund anstarrte. „Nick, hilf mir bitte, die Einkäufe auszupacken und einzuräumen" Damit verschwand sie. Alle drei Jungs sahen ihr baff nach, dann stieß Dad Nick in die Seite und beide standen auf. „Ich will aber noch nicht gehen!", maulte Nick. „Komm Großer!" Dad legte ihm einen Arm um die Schulter. „Aber-" Er sah enttäuscht zu Roy. „Wir sehen uns nachher. Okay, Buddy?" Roy zwinkerte ihm zu. Sofort strahlte Nick wieder. Dad schob den „Großen" also ins Haus und erst mit einiger Verspätung realisierte ich, dass ich jetzt alleine mit Roy auf der Veranda war.
Ich deutete in die Richtung, in der sie verschwunden waren. „Ich...würd mich ja für die drei entschuldigen, aber-" „Aber du magst ja keine Leute, die sich für ihre Familie entschuldigen", vollendete Roy grinsend meinen Satz. Ich musste Lächeln. Schon wieder! „Genau" Einen Moment schauten wir beide konzentriert zufällig woanders hin. „Sie sind nett", hörte ich ihn sagen. „Sie lachen laut" Ich runzelte die Stirn. Er steckte seine Hände wieder in die Hosentaschen. „Und?" Er sah mich erwartungsvoll an. „Was sagst du?" „Zu was?" Er deutete auf sich. Ich beschloss ihn zappeln zu lassen. „Was soll ich sagen? Du bist doch schließlich wegen Nicks Party hier. Das ist übrigens sehr nett von dir, wirklich!" Er grinste. „Du wirst es nicht glauben, aber ich hab nicht nur wegen Nicks Feier tausende Leute gefragt, bis mich endlich einer zu der großen Orangenfarm lotsen konnte" Er zwinkerte mir zu. „Genaueres wusste ich ja nicht" Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie warm mir bei dem Gedanken wurde, dass Roy sich richtig angestrengt hatte, mich zu finden. „Weswegen dann?" Er lehnte sich zurück. „Tja. Die Sonne stand am Himmel, die Nachmittagsvorstellung um 18.00 Uhr fällt aus und- Quatsch Summer. Rate Mal" Ein völlig vergessenes, wohltuendes Gefühl machte sich in mir breit. Mir wurde warm, meine Mundwinkel hoben sich und mein seliger Blick wich Roys aus. Gleichzeitig erwachte eine Angst in mir, so ein Gefühl nie wieder zu spüren. Nie wieder so froh zu sein. Denn ich wusste ganz genau, dass alles endlich war. Und so schnell vorbei, wie ein Kerzenlicht im Wind. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er sich umsah. „Willst du- soll ich dich herumführen?" „Gerne. Wenn du Zeit hast" „Hab ich" Ich drehte mich um, ohne abzuwarten, dass er mir folgte- was man entweder auf meine Unerfahrenheit mit Menschen schieben konnte oder auf meine Aufregung. Ich schätze, es war beides- auch wenn ich richtig, richtig nervös war. Er holte mich ein und fiel neben mir in ein lockeres Schlendern. Plötzlich räusperte er sich. „Tut mir...tut mir Leid, wenn dir das zu schnell geht" Mein Herz schlug schneller und mein Blick haftete am Boden. „Ich musste nur schneller sein als Nathan" Ich hörte, das Lächeln in seiner Stimme und sah erstaunt auf. „Nathan?" „Spätestens morgen wäre sicher er gekommen" Bildete ich mir sein stolzes Siegerlächeln nur ein? Ich sah ihn wohl immer noch perplex an, denn er lachte und legte wie selbstverständlich seinen Arm um meine Schulter. „Komm Summer, erzähl mir doch nicht, dass du seine Zuvorkommenheit auf Höflichkeit geschoben hast" Atmen Summer, atmen! Nur sein Arm! Er hat dir bloß seinen Arm um die Schultern gelegt. Atmen! „Ich dachte, Zirkusleute sind immer höflich", gab ich zurück. Er lachte. „Es gibt einen Unterschied zwischen Höflichkeit und Aufdringlichkeit. Aber...wer kann's ihm verdenken?" Was meinte er damit? Dass er Nathans Verhalten verstand? Vielleicht sogar...nachempfand? Atmen Summer! „Na jedenfalls hoffe ich, nicht zu aufdringlich zu sein" Treue Augen schauten mich an. Nichtsdestotrotz lag Schelm in ihnen. Als ob er nicht ganz genau wüsste, wie recht mir sein Besuch war! „Bist du nicht" Ich räusperte mich und versuchte, nicht an seinen Arm zu denken. „Ich hatte eigentlich gehofft, du würdest anrufen" Ich verkrampfte ein Bisschen. „Ja...ähm...der Zettel mit deiner Handynummer ist leider...ertrunken" Ich spickte vorsichtig zu ihm. Er blieb stehen. „Ertrunken?", lachte er. „Jap. Und von der bösartigen Waschmaschine zerfleischt. Armer Zettel" „Oje", lachte Roy. Ganz automatisch lachte ich mit. Gott, es tat so gut, mit ihm zusammen zu sein! Ich fühlte mich so gesund! So leicht! So unbeschwert! So...lebendig! „Hättest du denn angerufen?" Ich verkrampfte wieder. Seine Frage irritierte mich. Ein Nein wäre fies, ein Ja zu...entfesselnd. „Vielleicht" Glücklicherweise gab er sich mit der Antwort zufrieden. „Und? Was hast du heute gemacht?" Ich rollte mit den Augen. So was musste ja kommen. „Nichts was coole Leute für cool halten" Er blieb wieder stehen und runzelte mit einem zerknirschten Lächeln die Stirn. „Was?" „Nichts, entschuldige. Solche Fragen...treffen irgendwie den Nerv" Ich starrte betreten auf den Boden. Jetzt wird er gehen. Jetzt sieht er, wie zerbrechlich, wie labil ich bin und geht. „Summer", lachte Roy. „Ich bin Clown! Ich hab keine Ahnung davon, was coole Leute für cool halten!" Völlig überrascht schaute ich auf. Hatte er es jetzt tatsächlich geschafft, dass ich wieder lächle? Wirklich!? „Ich war zu Hause. Hab Dad geholfen" „Bei was?" Ich stutzte.  Beim...Äste klein schneiden und aufstapeln" Oh je! Jetzt läuft er weg. „Klingt streng" Er ist noch da! „Ist es auch" „Sind die Plantagen väterlicherseits oder mütterlicherseits geerbt?" „Väterlicherseits" „Und wie kam dann deine Mom dazu?" Interessierte es ihn wirklich oder wollte er mich nur verzweifelt irgendwie zum Reden bringen? „Mom war Geschichtslehrerin. Sie...hat im Sommer hier gearbeitet und dann hat sie Dad kennengelernt und dann...tja" „Die Geschichtslehrerin und der Sohn vom Plantagengroßgrundbesitzer. Romantisch" „Ja" Ich lachte. „Hollywood klopft an" Während er lachte, streckte ich die Hand aus und deutete auf einen der Stämme der alten Orangenbäume. „Sieh' mal. Dort haben sie sich kennen gelernt" Er sah mich verblüfft an. „Du kennst den Baum auswendig?" „Kommt davon, wenn man mehr Kontakt zu Bäumen, als zu Menschen hat" Ich spürte seinen Blick auf mir, doch ich wich ihm aus und ging zielstrebig zum Baum. Wir waren in der Nähe der Hütte, dort, wo noch die wenigen, alten Bäume standen. Hier gab es die etwas verwilderte Wiese mit den Bäumen, die unregelmäßig und unsymmetrisch und wunderschön waren. „Ich mag diesen Teil hier. Hier gibt es keine Reihen. Die alten Bäume stehen ganz frei. Früher sind Nick und ich auf ihnen herumgeklettert. Aber Dad will die alten Bäume bald fällen und neue, junge, frische Bäumchen setzten" Das wird ihn brennend interessieren, Summer! Gratuliere! Roy inspizierte den Stamm des Baumes, auf den ich gedeutet hatte und fand tatsächlich, das kleine Herz, dass Dad damals eingeritzt hatte. „R und S?", fragte er lächelnd. „Ja. Robert und Sarah. Meine Eltern." „Ist das dort die Hütte, zu der Nick die Zettel geschickt hat?", fragte er neugierig. Ich nickte. „Ja" „Darf ich Sie mal von innen sehen?" „Klar" Die Tür stand schon offen, wahrscheinlich hatte ich sie in all der Eile von vorhin nicht geschlossen. Wir gingen hinein und die Tatsache, dass ich allein mit ihm war, wurde in der Hütte noch einmal schlagartig verstärkt. Es war stickig und warm und...elektrisierend. Alles schien in Spannung zu zittern. Ich kannte so was nicht. Ich kannte diese eigenartige Situation nicht. Eine so seltsame Situation, in der ich über jede Bewegung und jeden Atemzug nachdachte, bevor ich ihn tat. Eine Situation, in der Schweigen und Reden gleichermaßen falsch erschien. Roy kniete sich hin und griff nach den beiden Zetteln, die sich am Boden wieder zusammengerollt hatten. „Er hat mich ziemlich...abstrakt gemalt" Ich musste lachen. „Abstrakt. Schöne Umschreibung für krakelig" Er lachte und ließ sich wie selbstverständlich in ein Sitzkissen fallen. Ich bewunderte seine Selbstsicherheit. Er kreuzte hier auf. Sprach lässig mit meinen Eltern. War zu einem Helden für Nick geworden... Weil ich nicht so unschlüssig herumstehen wollte, zog ich das zweite Sitzkissen näher und setzte mich darauf. Ich spürte seinen Blick deutlich auf mir ruhen und wurde nervös. Noch nervöser. Was sollte ich nur sagen? Es war, als ob mein Gehirn einen vollkommenen Black Out hätte. „Also?" Roy sah mich erwartungsvoll an. „Also?", fragte ich kleinlaut. Ich mochte es überhaupt nicht dazu gezwungen zu werden, etwas zu sagen. Ich wusste so schon nicht, über was ich reden könnte, aber extra dazu aufgefordert zu werden, war immer wieder hart. Roy lächelte und irgendwie strahlte er Ruhe aus, als ob er gar nichts von mir erwarten würde. „Weißt du was? Ich glaube, es wird mal wieder Zeit für ein Steckbrief- Gespräch" „Ähm...ein was?" Oje. „Du willst mir gerade sagen, dass du noch nie ein Steckbrief-Gespräch geführt hast?" „Ein was?", wiederholte ich alarmiert, doch er lachte über mein verunsichertes Gesicht. „Ein Steckbrief- Gespräch. Ich stelle dir Fragen, die du so schnell wie möglich beantworten musst. Möglichst, ohne vorher zu lange über die Antwort nachzudenken. Einfach grad heraus, was dir durch den Kopf geht" Oh oh. Klang, als wolle er meine Psyche analysieren. Ich konnte aber nicht spontan sein. Überhaupt nicht! „Also gut, willst du beginnen oder soll ich?" Der Gedanke, mir auch noch unterhaltsame Fragen ausdenken zu müssen, machte mir noch mehr Angst, als die seinen einfach zu beantworten. „Du" „Okay" Er machte es sich in Nicks Sitzkissen gemütlich. Ich rutschte unruhig hin und her. „Also..." Seine Augen blitzten auf. „Name?" „Den kennst du doch schon" Ich lachte erleichtert auf. Eine machbare Frage. „Jeder Steckbrief beginnt mit dem Namen! Aber keine Angst, die Fragen werden schwieriger" Super! „Summer" Ich rollte mit den Augen. „Nachname?" „Brighton" „Spitzname?" „Spitzname?" „Jap" „Nick und Ronny nennen mich manchmal Sum, aber-" Er schien einen Augenblick lang irritiert. „Wer ist Ronny?" „Meine beste Freundin" Er schien beruhigt. „Gut. Dann...Geburtsdatum?" „31.Juli 1998" „Haarfarbe?" „Offensichtlich Dunkelblond" „Augenfarbe grün...hm...", murmelte er. „Größe?" Er kannte meine Augenfarbe! Ganz ruhig Summer, du weißt schließlich auch, dass er dunkelbraune Augen hat! „1 Meter 61" „Alter 17, Hobbies sind lesen, spazieren, schwimmen und schreiben...hm...Welche Klasse?" „Im Herbst bin ich in der 4. Klasse der Highschool" „Lieblingsfach?" „Englisch.  Literatur." „Ich dachte, du würdest Geschichte sagen" „Geschichte?" „Deine Mom ist doch Professorin für Geschichte" Er hatte aufgepasst! „Freundeskreis?", fragte er weiter. „Eigentlich nur Ronny" Er sah mich ein bisschen ungläubig an. „Siehst du sie oft?" „Früher schon" „Wieso jetzt nicht mehr?" „Sie ist in Europa" „Wow! Urlaub?" „Nein. Austauschjahr"  „Oh" „Mhm" „Lieblingsbuch?" „Stolz und Vorurteil?" Wieso formuliere ich das als Frage? „Jane Austen?" Ich nickte. „Lieblingsmusik?" „Ich hör nicht so viel Musik. Aber wenn, dann meistens Filmmusik von Hans Zimmer. So im Hintergrund" „Cool! Okay...du hast im Lotto gewonnen. Was machst du damit?" „Komische Steckbrieffrage" „Tja, mein Steckbrief ist auch kein gewöhnlicher" „Wie viel hab ich gewonnen?" „Bleibt dir überlassen" „Okay...Roadtrip durch die USA bis nach Kanada und Alaska. Einfach mal abhauen" „Wow! Zu Fuß?" „Nein. Lieber mit unserem Truck. Ich könnte auf der Ladefläche schlafen..." „Würdest du die Sonne nicht vermissen in Alaska?" „Nein, ich denke nicht" „Die Sonne lässt uns aber lächeln, weißt du?" „Die Sonne?" „Mhm. Hast du eine Ahnung, wie sehr die Selbstmordraten von den Sonnenstunden abhängen?" Ich runzelte die Stirn. Woher wusste er das? „Hält dich denn auch sonst nichts hier? Könntest du einfach so abhauen?" „Was meinst du?" „Familie...andere Freundinnen...ein Freund?" Mein Herz machte einen Luftsprung. „Vielleicht würde ich Nick mitnehmen. Mom und Dad schicke ich Postkarten. Außer Ronny erträgt mich nur schwer jemand und...ich hab keinen Freund" Ein Lächeln breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus. „Was würdest du mit dem Geld tun?" „Das Gegenteil von dir. Ich würde endlich mal sesshaft werden. Mit einem eigenen Haus, Garten und Pool" „Und Elefanten", ergänzte ich. Er lachte. „Und Elefanten natürlich"„Denkst du manchmal daran, den Zirkus zu verlassen und sesshaft zu werden?" „Ja, aber eigentlich darf ich nicht daran denken. Meine Familie...Lynn würde das nicht verkraften" Lynn... „Aber es ist dein Leben" Als ob er das nicht wüsste, Sum! „Ja mag sein. Aber ich kann sie nicht im Stich lassen. Mein Grandpa zählt auf mich" Ich nickte. „Hast du etwa vor, später Zirkusdirektor zu werden?" Er lachte. „Nein, Clown reicht völlig" Er schien überlegen. „Okay...du hast noch tausend Worte ehe du stirbst. Was sagst du wem?" „Ist das nicht aus irgendeinem Film?" Er nickte lachend. „Ich hab keine Ahnung...Vielleicht würde ich sie mir auch einfach aufbewahren" „Geht leider nicht. Und niemand will unsterblich werden. Also?" „Ich denke mal, ich sage den Menschen, die mir wichtig sind, dass sie mir wichtig sind" „Und was wären die letzten, sagen wir mal, vier Worte?" Es. Tut. Mir. Leid. Ich räusperte mich. Das konnte ich ihm nicht sagen. „Ich hab euch lieb. Wahrscheinlich würde ich das sagen" Ich sah ihn an. „Und du? Was würdest du sagen?" Er grinste. „Immer schön weiter lachen" Ich musste lächeln. Immer schön weiter lachen? „Das wirst du auf deinem Sterbebett murmeln?" Er nickte. „Vielleicht sage ich aber auch Wir sehen uns wieder oder so" „Glaubst du das denn?" „An ein Leben nach dem Tod?" Ich nickte. „Nein eigentlich nicht. Aber es macht den Gedanken an den Tod doch wirklich ungemein leichter, wenn man sich einredet, dass es noch weiter geht, findest du nicht?" „Ja. Wahrscheinlich" „Ziemlich sicher sogar. Ist doch schrecklich sich eingestehen zu müssen, dass man umsonst gelebt hat" „Nur weil man begrenzte Zeit zu leben hat, lebt man doch nicht umsonst!" „Meinst du nicht?" „Nein! Ich meine so eine Fruchtfliege kriegt doch auch keine Hysterieanfälle, weil sie nur so kurz leben darf. Sie nutzt einfach zufrieden ihre Zeit" Er hob seine Hand. „Also erstens, bin ich gerade zum ersten Mal durch eine Fruchtfliege hinter den Sinn des Lebens gekommen: nutze deine Zeit, denn dann krepierst du eh. Und zweitens, glaubst du dann an Schicksal, wenn du sagst, dass jeder eine gewisse Zeit zu leben hat? Und meinst du die Fruchtfliege wäre auch so zufrieden, wenn sie wüsste, wie kurz ihr Leben sein wird? Meinst du, wir Leben unser Leben gar nicht frei sondern einfach unbewusst nach den Plänen eines anderen? Und wer wäre dann dieser andere? Gott?" „Ja ich denke schon, dass ich an Schicksal glaube. Ich meine, irgendwas muss unser Leben ja geplant haben. Zum Beispiel wen wir während unseres Lebens kennenlernen, in welcher Beziehung wir zu den anderen stehen, was unsere Aufgabe ist, wo unsere Prüfungen versteckt sind... Und ja, ich glaube auch, dass wir das Leben viel bewusster leben, wenn wir wüssten, wie lange wir noch haben. So rechnen wir ja damit, immer noch wenigstens ein Morgen zu haben. Allerdings hab ich keine Ahnung, ob man es wirklich Leben nennen kann, wenn der Tod stets mit atmet. Und das mit Gott...ja ich glaube an ihn. Aber es ist etwas kompliziert" „Und zwar?" Er horchte aufmerksam zu.  „Ich glaube an meinen eigenen Gott. Vielleicht ist er ja eine Mischung oder eine Zusammenführung von allen guten Eigenschaften aus allen Religionen. Jedenfalls halte ich mich nicht sonderlich an Gottesdienste oder an das, was in der Bibel steht. Manche Passagen sind dort echt schockierend und so etwas würde mein Gott nicht wollen. Und was Messfeiern angeht- was bringt es mir eine Stunde lang komplizierten Gleichnissen zu lauschen? Ich wette, fast niemand hört da noch zu. Ist es nicht viel sinnvoller, für sich allein mit Gott zu reden?" „Tust du das denn?" „Ja. Jeden Abend" Wow. Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich jemandem so viel über mich erzählt habe. Auch das erste Mal, dass ich über solch persönlichen Gedanken spreche. Habe ich ihn jetzt gelangweilt? Erschreckt? Ich runzelte die Stirn. „Tut mir...tut mir leid. Du wirst dir sicher denken, dass-" „Das ein wahnsinnig tiefgreifendes aber nicht minder faszinierendes Gespräch ist? Ja. Genau das denke ich" Ich sah ihn unsicher an. „Tatsächlich?" Er nickte. „Einsame Insel oder New York?" Ich musste lachen. „Einsame Insel" „Dachte ich mir. Rennen oder Schwimmen?" „Schwimmen. Ganz klar" „Dein Vorbild?" „Nick" Ich musste lachen. „Niemand kriegt es so gut hin, den Tag auszukosten wie er. Und er lacht immer! Und er kann andere zum Lachen bringen. Manchmal auch zur Verzweiflung, aber das ist als kleiner Bruder wohl seine Aufgabe" Er musste lachen. „Lieblingszitat?" „Mmh...You never know how strong you are, until being strong is the only choice you have" Ich sah ihn neugierig an. „Und deines?" „Never be ashamed of a scar. It simply means that you're stronger than whatever tries to hurt you" „Wow" „Sind beide ziemlich krass" Ich stimmte ihm zu und ohne das ich eine Chance hätte, mich zu bremsen, fragte ich: „Hast du denn Narben?" Er warf mir einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte, dann sah er einen Augenblick lang auf den Boden. „Jedenfalls keine sichtbaren, nein" Warum lächelte er jetzt? Wollte er damit das überspielen, was er zugegeben hatte? Ich konnte mich schon immer recht gut in Personen hineinversetzen, aber ich war auch schon immer sehr vorsichtig, wenn ich persönliche Fragen stellen wollte. Und so sehr ich ihn nach seinen nicht-sichtbaren Narben fragen wollte, blieb ich still. „Lieblingsessen?" Er wollte offensichtlich vom Thema ablenken. Ich stellte mich entrüstet: „Was- so eine persönliche Frage?" Er lachte und- oh Gott- wie gerne hätte ich die Zeit in dem Moment angehalten? Wie gerne würde ich diesen Moment eine Ewigkeit lang auskosten! „Pancakes"  „Lieblingsfrucht?" „Orangen natürlich. Und bevor du mich nach meinem Lieblingsgemüse oder -Kraut oder –Blume fragst. Ich mag Auberginen, Minze und Sonnenblumen" Er nickte anerkennend, dann lehnte er sich entspannt im Sitz zurück. „Ich glaube dein Steckbrief ist so gut wie ausgefüllt" Weil ich auf keinen Fall wollte, dass er schon ging und dieses verdammt gute Gefühl mitnahm, fragte ich schnell: „Und dein Steckbrief?" „Ein anderes Mal würd ich sagen" Ich versuchte, nicht allzu enttäuscht auszusehen. „Hör mal...morgen wäre am Vormittag eine Kindervorstellung...vielleicht hast du ja Lust, Nick dorthin zubringen?" Er räusperte sich. „Also ich meine eigentlich, ob du Lust hast, noch mal hinzugehen?"Ich versuchte, nicht zu breit zu lächeln. Er sah es nicht, weil er sich mit den Händen über das Gesicht rieb. „Weißt du, unter normalen Umständen würde ich das hier nicht so nach vorne drängen, nur drängt mich die Zeit weil...wir ja auch bald wieder weiter fahren und-" „Ich bin mir sicher Nick kommt gerne. Und ich begleite ihn gerne" Er lächelte. Dann stand er auf und reichte mir die Hand. Ich sah kurz unsicher zu ihm hoch, dann nahm ich sie und ließ mich von ihm hoch ziehen. Ich zuckte zusammen, denn als ich dann endlich auf meinen Beinen stand, berührten sich unsere Nasenspitzen fast. Und er machte auch keinen Schritt nach hinten. Ich starrte auf den V-Ausschnitt seines T-Shirts, während ich seinen Blick ganz deutlich auf mir spürte. Ich fühlte seinen heißen Atem auf meinem Haaransatz und überhaupt wurde ich von Elektrizität durchströmt, weil ich seine Anwesenheit so dermaßen wahrnahm.

Die Kunst des ClownsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt