10. Kapitel

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Ich wurde durch einen hellen Sonnenstrahl, der durch die Gardinen drang geweckt. Vögel zwitscherten draußen fröhlich ihre Lieder. Welch schöner Tag, nur ich fühlte mich als wäre ich durch den Fleischwolf gedreht worden. Zu dem Gesang der Vögel war fortwährend der gleiche Ton des Liedes zu hören, welches ich gestern Abend angeschaltet hatte: „Pain", „Pain", „Pain"...

Als würde es mir nicht schon schlimm genug ergehen, unterstützte das Lied auch noch das, was mir sowieso die ganze Welt zufügen wollte.

Ich nahm meine Brille vom Tisch und setzte sie mir auf. Seufzend schwang ich die Beine vom Sofa. Kaum hatte ich eine aufrechte Stellung eingenommen, kam Sophia in den Raum mit duftenden Waffeln und Orangensaft auf einem Tablett. Der herrliche Duft stieg mir in die Nase. Wirklich Hunger hatte ich nicht, aber als mein Gehirn meinem Magen meldete „Lecker, Essen." grummelte dieser aus Protest, dass das Tablett zu weit entfernt war.

Sophia kam zögerlich auf mich zu, als wäre ich ein wildgewordenes Tier, welches jeden Moment um sich beißen könnte. Nicht weiter auf sie eingehend, machte ich den Musikplayer meines Handys aus. Dabei sah ich, dass Anne mir gestern Abend noch geantwortet hatte.

Anne: Naja, ist das nicht normal zwischen Bruder und Schwester? :)

Sie musste mich echt für total bescheuert halten.

Sophia hatte sich mittlerweile neben mich gesetzt. Sie hatte die Nachricht und die von gestern Abend mitgelesen. Tröstend legte sie einen Arm um mich. Nach all den Jahren hatte sie noch Verständnis für mein Verhalten, was ich ihr hoch anrechnete.

„Mach dir nichts draus. Hier, iss erstmal dein Frühstück."

Ich tat, wie mir geheißen, doch viel konnte ich nicht essen. Mein Magen gab nach einigen Bissen auf nach Füllung zu schreien, da mein Gehirn ihm meldete: „Du hast keinen Hunger. Du möchtest nichts verdauen. Sei einfach zufrieden mit dem, was du hast."

Sophia aß den Rest auf, obwohl ich mir sicher war, dass sie schon gegessen hatte. Sie brachte das Geschirr in die Küche und kam danach zu mir zurück ins Wohnzimmer.

„Ich treffe mich in der Stadt mit meinem Professor und geh danach noch etwas einkaufen. Kommst du hier alleine klar?"

Sie schaute mich besorgt an.

„Na klar. Ist ja nicht so als wäre ich selbstmordgefährdet", erwiderte ich.

Das änderte jedoch nichts an ihrem Gesichtsausdruck.

„Ok. Ruf mich an, wenn etwas passieren sollte. Soll ich dir was mitbringen?", fragte sie, während sie sich ihre Schuhe anzog.

„Eine Tonne Vollmilchschokolade."

„Schokolade ist keine Lösung für deine Probleme, Ariana!"

Sie stand im Türrahmen mit den Händen in die Hüften gestützt.

„Aber keine Schokolade auch nicht", brabbelte ich.

„Na gut, ich bring dir zwei Tafeln mit, aber mehr nicht!"

Damit ging sie aus der Wohnung.

„Jawohl, Chefin", sagte ich, obwohl sie längst weg war. Wahrscheinlich wäre sie für diesen Satz auf mich losgegangen, aber manchmal klang sie echt wie ihre Mutter.

Ich fläzte mich ins Sofa, nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.

Beim ersten Sender lief eine Reality-TV-Show. Beim zweiten eine Liebestragödie. Beim letzten Sender, den ich mir antat, ein Horrorfilm. Ich schaltete den Fernseher aus und legte die Fernbedienung auf den kleinen Tisch vor mir. Dann war es ruhig in der Wohnung. Gott, war mir langweilig. Ich legte mich wieder unter meine Decke und versuchte einzuschlafen. Es blieb beim Versuch, denn jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich Dmitris Gesicht vor mir. Schnell setzte ich mich auf und schlug die Decke von mir. Endlich kam mir eine wirklich blendende Idee. Ich griff nach meinem Handy und schrieb Marrex eine Nachricht. Prompt antwortete er. Schnell zog ich mir meine Arbeitssachen an und lief zur Tür hinaus. In meiner übermäßigen Freude vergaß ich Sophia einen Zettel zu schreiben oder ihr wenigstens eine Nachricht zu schreiben. Aber, wenn sie sich Sorgen machte konnte sie mich schließlich immer noch anrufen.

Als ich in der Bar ankam, war sie schon gut besucht. Die meisten Männer und Frauen kannte ich, die heute hier waren.

Sie begrüßten mich alle stürmisch und fragten, wie es mir ginge. Ich sagte, dass es mir gut ginge, doch das war eine reine Lüge. Obwohl man mir bestimmt ansehen konnte, dass ich gelogen hatte, benahmen sich alle weiterhin wie vorher.

„Na, Kleine", begrüßte mich Marrex, als ich hinter den Tresen trat.

„Na, Großer", gab ich zurück.

Der Tag verlief wundervoll. Ich wurde von all den Gästen und der Arbeit wirklich gut abgelenkt. Nach wenigen Stunden konnte ich sogar wieder lauthals lachen. Bis dann die Tür mit einem großen Geräuschkonzert geöffnet wurde.

„Ariana Bley!", brüllte es umher.

In der Tür standen eine aufgebrachte Sophia, eine besorgte Anne und zwei genauso besorgt aussehende Männer. Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich sah, dass es Dmitri und Mason waren.

Automatisch versteckte ich mich unter dem Tresen. Marrex tauchte auch ganz unauffällig zu mir hinab und schaute mich verständnislos an.

„Wehe du sagst das ich hier bin, dann kündige ich!", flüsterte ich ihm drohend zu.

Er verdrehte die Augen und stellte sich wieder hin.

„Hallo Sophia, was kann ich für dich tun?"

Ich hörte wie Sophia mit lauten Schritten zu ihm ging.

„Wo ist sie?"

Das klang gar nicht gut, so wie sie das sagte. Ich glaube, ich bekomme Haue, wenn ich zurück in die Wohnung gehe.

Das glaube ich aber auch.

Du bist ich!

Nein, nein. Du musst anders herum denken. Du bist eigentlich ich.

Ich hatte jetzt keine Nerven dafür mit dieser bescheuerten Stimme zu reden.

„Wo ist wer?", hörte ich Marrex fragen.

Er spielte den Nichtwissenden. Ob das gut gehen würde, wusste ich nicht. Nymphen hatten extrem erstklassige Ohren, wenn es darum ging, Lügen herauszuhören.

„Oh, du weißt ganz genau wen ich meine. Wo hat sie sich versteckt?"

„Ich weiß wirklich nicht, von wem du redest, Sophia."

„Ach nein, dann lese mir doch bitte deine Antwort auf ihre Nachricht vor!"

Ich nahm an, dass sie Marrex irgendetwas entgegenstreckte. Aber mein Handy konnte es nicht sein. Das hatte ich doch in meiner Hosentasche... Oh Gott, ich hatte es in der Wohnung liegen lassen. Kein Wunder, dass sie sauer war. Moment mal, woher kannte sie meinen Handy - Pin?

„Ja, na schön, sie war hier."

„Und wo ist sie jetzt?"

Ich konnte hören, wie Sophia langsam die Kontrolle verlauf.

„Keine Ahnung. Seit ein paar Minuten ist sie einfach verschwunden."

Sehr clever, Marrex, ich sitze seit einigen Minuten unter deinem Tresen.

„Ach, nein. Wirklich? Ich warne dich, Marrex, wenn du weiter so machst, verwandele ich dich in einen sehr unmännlichen Schmetterling."

„Das können Baumnymphen gar nicht."

„Willst du es darauf anlegen?", fragte Sophia bedrohlich.

„Sie sitzt unterm Tresen."

Oh, Marrex. Du verdammter Verräter!

Mein Ende kam soeben um die Ecke des Tresen.

Green Ice - Scharfe KrallenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt