15. Kapitel

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Ich erwachte in einem mir vollkommen fremden Zimmer. Verwirrt schaute ich mich um, bis ich mich letztendlich auf meine Ellenbogen hievte.

Die Gardinen waren noch zugezogen, sodass das Zimmer in ein Schummerlicht getaucht war. Durch eine Lücke zwischen den Vorhängen konnte ich eine leichte Röte erkennen. Demnach musste die Sonne gerade am Himmel erscheinen oder sie verabschiedete sich vom Tag.

Mein Blick wanderte durch das Zimmer. Es war schlicht gehalten, kaum eingerichtet.

Eine kleine Kommode stand in der Nähe einer Tür in einer abgeschiedenen Ecke des Zimmers. Diese Tür war eine von zweien, welche ich erkennen konnte.

An jeder Seite des Bettes, auf welchem ich lag, stand ein Nachttisch mit einer Lampe darauf. Gegenüber vom Bett, an der Wand, hing ein Fernseher. In der entgegengestellten Ecke der Kommode stand ein Spiegel. Als ich mich in eine aufrechte Haltung mühte, erkannte ich darin mein Spiegelbild. Ich war blasser als sonst. Meine Haare hingen mir ins Gesicht und waren so durcheinander, dass man mich glatt für eine Vogelscheuche hätte halten können. Unter meinen Augen waren dunkle Schatten. Meine Augen... Sie waren nicht mehr nur in einem leichten Grün, sondern in einem stechenden Grün.

Was war nur mit mir passiert?

Ich hab doch gesagt, ich bin ein Teil von dir.

Die Stimme. Ich wusste noch, dass ich sie nicht gehört hatte, als die Hyänen mich verfolgten. Sie war weg gewesen, hatte mich allein gelassen.

Ich habe dich nicht allein gelassen. Ich bin schließlich dein eigentliches Ich. Ich bin das, was beim Anblick unserer toten Eltern in das tiefste Innere dieser Seele gesperrt wurde, um ein kleines, unschuldiges Mädchen zurückzulassen, welches nicht sofort getötet wird, weil es ein Todesengel ist.

Ein Todesengel...Todesengel...

Die Schallplatte in meinem Kopf hatte einen Sprung bekommen. Ich fiel zurück in die Kissen und bemerkte es kaum. Nichts nahm ich wahr, außer dieses eine Wort.

Das Quietschen einer Tür riss mich aus meinen Gedanken und die Schallplattenwiederholung verbannte sich in die letzte und kleinste Ecke meines Kopfes.

„Ist sie wach?", fragte eine zarte sanfte Stimme.

„Naja, sie hat die Augen auf", erwiderte eine tiefere Stimme.

Ich hörte Rascheln. Die Stimmen schienen sich zu bewegen. Doch ich konnte nicht nachsehen zu wem diese Stimmen gehörten. Mein Blick war starr auf die Decke gerichtet, ließ sich nicht abwenden. Etwas in mir war zerbrochen. Ein Teil meiner Seele und der Rest versuchte zu retten, was noch zu retten ging. Zu heilen. Zu reparieren. Zu überleben.

Ich sah Schatten näherkommen. Ein großer und ein kleiner Schatten. Sie schienen nebeneinander zu stehen, denn sie verschmolzen beinahe.

Ein stechender Schmerz zog durch meinen gesamten Körper, doch dieser bewegte sich kein Stück. Niemand anderes hätte es wahrnehmen können, wäre nicht eine einzelne Träne meine Wange hinuntergeschwommen.

„Hol Dmitri!", sagte die sanfte Stimme.

Ich mochte sie. Sie klang wie die meiner Mutter.

Süße kleine Ana.

Mama?

Ach, Süße. Was machst du denn dort unten?

Ich wollte mich vor Papa und Cade verstecken und bin hier rein gefallen. Kannst du mir helfen rauszukommen, ohne dass sie mich finden? Ich will nicht schon wieder verlieren.

Natürlich kann ich dir helfen, Süße. Mommi kommt runter, ja?

Pass bitte auf, Mommi. Papa wird sauer, wenn du verletzt wirst.

...Siehst du, kleine Ana, so schnell waren wir draußen. Jetzt suchen wir dir mal ein ordentliches Versteck. Wir müssen den Männern ja zeigen, dass sie nicht immer die Oberhand haben. Besonders deinem Bruder kann es nicht schaden mal auf die Nase zu fallen.

Die Erinnerung ging so schnell wie sie gekommen war und doch ließ sie Spuren zurück. Sichtbare für andere und unsichtbare nur für mich. Die Tränen, die mir über die Wangen liefen, riefen ein Keuchen von dem Schatten neben mir hervor.

In meinem Kopf wurde die nächste Schallplatte abgespielt: Ich hatte einen Bruder. Einen Bruder....

Green Ice - Scharfe KrallenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt