43. Kapitel

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•Lisas Sicht•
  Ich habe die ganze Nacht kein Auge zubekommen. Als ich nun auf mein  Handy sehe ist es bereits sieben Uhr morgens. Müde werfe ich einen  letzten Blick auf Calum. Er sieht so verletzlich aus, wenn er schläft.  Zögernd beuge ich mich über ihn. Ich streichle zaghaft aber zärtlich  über seine Wange, die er instinktiv im Schlaf gegen meine Hand drückt.  Meine Kehle beginnt sich zuzuschnüren,  doch es interessiert mich nicht. Zitternd lege ich meine Lippen auf die  seinen. Er schmeckt unglaublich süß. Wie sehr habe ich dieses Gefühl nur  vermisst? Tränen bahnen sich den Weg in die Freiheit, doch noch bevor  sie von meiner Wange kullern ziehe ich mich leise schlucksend von Calum  zurück. Ich werfe noch einen letzten Blick auf Calum und streiche ihm  eine kleine Locke aus der Stirn, bevor ich den Raum weinend verlasse.
  Ich hole so leise wie möglich meine Jacke, weswegen ich eigentlich  gekommen bin und schleiche mich seufzend aus der Villa. Erschöpft setze  ich mich in Bewegung und jogge den gesamten Weg zurück nach Hause.

  Etwa eine halbe Stunde später stehe ich endlich unter der kalten  Dusche. Nachdem ich auch dies erledigt habe und bereits frische  Unterwäsche trage, widme ich mich endlich meinem schmerzenden Arm. Blut  fließt immer noch aus der tiefen Schnittwunde. Jake der kleine Mistkerl  hat sie mir vorhin zugefügt als er mich von Cal weggezerrt hat.  Verzweifelt versuche ich die Wunde zu reinigen, es brennt wie Feuer.  Wimmernd stütze ich mich auf dem Waschbecken ab und sehe zu Boden, als  die ersten Tränen bereits fallen. Mein Atem geht nur stoßweise und ich  merke wie es mir immer schwerer fällt, nicht komplett in Tränen  auszubrechen. Ich presse das in Alkohol getränkte Tuch an die Wunde und  sehe wie es sich immer weiter rot färbt. Na toll, wie soll ich das bitte  Noahs Mutter erklären. Aber eigentlich ist mir das auch relativ egal.  Weitere laute Schluchzer entfahren mir und der Tränenstrom auf meinen  Wangen wird immer schlimmer. Und warum? Nicht nur wegen den körperlichen  Schmerz. Ich halte es einfach nicht mehr aus. Ich belüge nicht nur  meine Freunde, nein, ich belüge auch mich. Ich gebe allen vor ich wäre  glücklich. Doch im Gegenteil, ich zerbreche jeden Tag auf's Neue. Und  jetzt? Jetzt bin ich am Ende meiner Kräfte. Ich hebe meinen Kopf und  blicke somit in mein Spiegelbild. Doch ich erkenne mich nicht wieder.  Ich sehe blass und abgemagert aus, mit dunklen Ringen unter den Augen.  Es ist ein grauenhafter Anblick. Ich ekle mich vor mir selbst. Wie in  Trance greife ich nach dem erst besten was mit in die Finger kommt und  werfe es dann schreiend gegen den Spiegel. Er zerbricht in hunderte  Scherben. Doch es reicht mir noch lange nicht. Ich schreie, randaliere  und weine. Erst als mich jemand grob am Arm packt höre ich auf und sinke  leise schluchzend zu Boden.
"Lisa?", steht Noah neben mir. Er kniet  sich zu mir nieder und versucht mit mir zu sprechen, als ihm mein Arm  auffällt: "Was machst du denn für Sachen?"
"Du solltest mal Calum sehen. Wenn ich Jake in die Finger bekomme.", antworte ich kaum hörbar.
"Ich denke mal Liam hat ihn versorgt. Warum hast du nichts gesagt?"
  "Ich konnte nicht, Calum war schon fertig genug. Ich hab ihn schreien  hören, als Liam ihn behandelt hat. Es war schrecklich!", schluchze ich.
  "Na gut, aber jetzt müssen wir uns echt mal darum kümmern.", er hilft  mir hoch und gemeinsam setzen wir uns auf mein Bett. Er holt den Erste  Hilfe Koffer und beginnt sorgfältig damit meine Wunde zu behandeln.
"Du machst das echt gut, fast schon so gut wie Liam!", grinse ich irgendwann, nachdem ich mich etwas beruhigt habe.
"Wieso warst du plötzlich in meinem Bad?"
"Ich hab dich gehört, ich höre dich jede Nacht Lisa. Wie du dich in den Schlaf weinst."
"I..ich"
  "Ist schon okay. Du kannst vielleicht den anderen Vorspielen, dass es  dir gut geht. Aber mir nicht und jetzt zieh dich an, wir müssen gleich  los. Die anderen warten bestimmt schon. Oh und Liam muss das auf jeden  Fall nähen!", sagt Noah und steht auf, wissend das mir das Thema echt  unangenehm ist.
"Schon okay, fahr ruhig vor. Wir treffen uns dann an der Schule."
"Na gut.", er beugt sich zu mir herunter und drückt mir einen Kuss auf die Stirn "Bis dann."
"Bis dann, und danke."

  Nachdem er weg ist ziehe ich mir eine Jeans Hot Pant und ein weißes  Tank Top an. Um den dicken Verband um meinen rechten Oberarm zu  verdecken beschließe ich noch ein schwarz-weiß kariertes Hemd darüber zu  tragen. Schließlich ziehe ich mir noch meine Jordans an und setze eine  Snapback von Noah auf. Ich schnappe mir meinen Rucksack und gehe aus dem  Haus. Jedoch nicht ohne vorher ein Messer von Noah in meinen Rucksack  und eines in meiner Hose zu verstauen.  Ich schnappe mir mein Skateboard  und fahre Richtung Schule.

Schon von weitem kann ich sehen,  wie meine Freunde auf mich warten. Calum sieht trotz den Verbänden und  der Krücke mal wieder verdammt gut aus. Und ich? Ich sehe aus als hätte  ich drei Tage lang nicht geduscht und hätte unter 'ner Brücke gepennt.  Na vielen Dank auch. Als ich endlich bei Ihnen angekommen bin, springe  ich sofort von meinem Board, lasse es hochschnellen und fange es mit der  rechten Hand. Ein großer Fehler. Sofort schießt eine erneute Woge des  Schmerzes durch meinen Arm. Ich zucke zurück und lasse das Skateboard  fallen. Noah sieht mich sofort beunruhigt an, doch ich gebe ihm ein kaum  merkbares Zeichen, dass es mir gut geht. Ich begrüße die anderen, die  mich misstrauisch begutachten und folge ihnen schließlich in das  Schulgebäude. Mitten auf dem Gang zu meiner Klasse treffe ich auf Jake.  Und ich weiß sofort, dass dies nichts gutes zu bedeuten hat. Ohne ihn  eines Blickes zu würdigen gehe ich an ihm vorbei. Doch er packt mich  sofort am rechten Oberarm. Natürlich merke ich sofort wie neues Blut aus  der Wunde fließt. Keuchend beiße ich meine Zähne zusammen um den  Schmerz in meinem Arm zu lindern.  Ich kann gar nicht so schnell  reagieren schon zucke ich erneut zusammen und lasse alles sich in meinen  Händen befindende fallen. Erst jetzt bekommen die Anderen mit was  hinter ihnen los ist. Sie drehen sich schlagartig zu mir um und sehen  mich und Jake geschockt an. Verzweifelt taste ich nach dem Messer in  meiner Hosentasche.
"Lass sie los!", brüllt Luke wütend und will mir  zur Hilfe kommen. Jedoch wird er von Amy zurück gehalten. Endlich  bekomme ich das Messer zu fassen und ziehe es heraus. Ich klappe es auf:  "Lass mich los, du weißt genau was sonst passiert!"
"Das traust du dich doch sowieso nicht!", lacht er gehässig.
  "Warum sagt das immer jeder?", frage ich wütend und ramme ihm das  Messer ins Bein. Sofort lässt er mich los. Ich ignoriere den Schmerz in  meinem Arm einfach so gut es geht und drücke ihn damit gegen die Spind.  Ich ziehe das Messer mit einem Ruck aus seinem Bein und halte es ihm an  die Kehle. Zwischen zusammengepressten Lippen zische ich: "Wenn du mich  verletzt ist das eine Sache, aber wenn du meine Freunde verletzt ist das  eine ganz Andere! Fass jemanden von ihnen an und ich mach dich fertig!"
  Mit diesen Worten wende ich mich von ihm ab, wische mein Messer an  meinem ohnehin schon ruinierten Hemd ab und stecke es zurück in meine  Hose. Anschließend ziehe ich mir das Hemd aus und stopfe es in meinen  Rucksack der direkt neben mir liegt. Erst jetzt bemerke ich die  Menschenmenge, die sich um uns gesammelt hat...

"Wetten dass..?" - Band 4 der "Forbidden"-Reihe - Calum Hood FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt