Das Feuer brennt alles nieder, zehrt an der nach Blut riechenden Luft, lächzt nach mehr und findet doch nichts mehr, was es unter seiner Hitze zerstören könnte. Das alte Mauerwerk der Stadt beginnt zu bröckeln, hinterlässt nichts als Staub und zeugt vom Beginn einer neuen Ära. Die Erschütterungen sind selbst in einigen Kilometern noch spürbar. Schon lange sind die Schreie verstummt.
Und der erste Schnee fällt langsam auf unsere Häupter. Wir sehen uns eine halbe Ewigkeit in die Augen.
Du auf der Seite der Vampire.
Ich auf der Seite der Menschen.
Wissend, dass wir niemals irgendeiner Seite angehörten.
Meine Beine zittern furchtbar, geben nach wenigen Minuten nach und die Kraft verlässt mich endgültig. Was haben sie bloß aus uns gemacht?
Noch immer rinnt mir das Blut aus dem Auge, das ein deutliches Zeichen dafür ist, dass auch ich ein Monster geworden bin.
Unser Blickkontakt bricht noch immer nicht ab. Wir wissen beide nicht recht was wir einander sagen sollen. Wir haben einem Krieg gedient, der niemals etwas mit uns zu tun gehabt hat. Wir folgten Führern, die nach immer mehr Macht strebten.
Ein Sieg für die Vampire.
Ein Sieg für die Menschheit.
Ist es das, was wir symbolisieren, wenn wir uns nun gegenüber stehen?
Du bist der Erste der plötzlich den Blick abwendet. Die Zerstörung ist ungeheuerlich, fällt es dir erst jetzt auf? Mit einem Seufzer überbrückst du die Distanz, die zwischen uns liegt, kniest dich vor mich hin und legst, wie in alten Tagen, deine Hand auf meine Wange.
Ich senke den Blick, starre auf die kleinen Steine, die am Boden liegen. Sehe das Blut, das das meine ist und sehe dann die Tropfen, die aus deiner Wunde stammen. Die Verletzung wird dich nicht töten...Vielleicht werde ich irgendwann in dieser Position stehen und dich töten... Bei diesem Gedanken schüttle ich abrupt den Kopf, hebe den Blick, sehe in strahlend blaue Augen.
Leise flüsterst du meinen Namen, schlingst einen Moment später deine Arme um meinen Hals, vergewisserst dich wohl somit, dass wir beide noch leben.
Nicht nur du...
Nicht nur ich...
Und in diesem Moment wird mir klar, dass ich dich niemals würde töten können - auch wenn du zu einer Gefahr werden solltest.
Du presst mich so fest gegen deinen eigenen Körper, der gegen meiner Erwartungen eine solche Hitze ausstrahlt, dass auch mir plötzlich ganz heiß wird, doch scheint dir diese Nähe nicht genug. Mir wird die Luft aus den Lungen gepresst, doch es ist okay.
Was in diesem Moment zählt, sind nur wir zwei. Unsere beiden Herzen, die im Takt miteinander schlagen- mal langsam, mal heftig.
Ich lege ebenfalls meine Arme um deinen Körper. Wir verlieren das Gleichgewicht und sinken zu Boden. Ich vergrabe das Gesicht in deiner Halsbeuge. Fühle den Puls. Höre dein Herz schlagen. Du drückst deine Lippen gegen meinen Kopf.
Der Geruch von verbranntem Fleisch und Eisen verfliegt. Das Knistern der lodernden Flammen rückt in weite Ferne und verstummt schließlich ganz.
Vorsichtig ziehst du mich zu dir hoch, so dass wir wieder auf Augenhöhe miteinander sind. Verwundert über deinen Gesichtsausdruck, will ich irgendetwas sagen, aber meine Stimmbänder versagen mir den Dienst. Du siehst aus als würdest kurz davor stehen gleich loszuheulen.
„Ich liebe dich wirklich, Yuu. Ich liebe dich so sehr."
Ich bin vollkommen sprachlos.
Und einen Augenblick später stehen mir die Tränen in den Augen. Wut und Hass, Verzweiflung und Traurigkeit, das alles fällt nun endlich wie eine schwere Last von meinen Schultern. Wir sind gemeinsam durch die Höhle gegangen, haben uns mit Gegnern angelegt, die vielleicht nicht immer einfach zu töten waren, und doch liegen wir nun beide hier. Und niemand sonst ist mehr da, um uns als Waffe zu benützen. Niemand lebt mehr, um sich einen Vorteil aus unserer bloßen Existenz zu verschaffen.
Deine Stirn lehnt an der meine. Wir sehen uns in die Augen, sehen unsere Spiegelbilder in den jeweils anderen Iriden - blau trifft auf grün.
Und die ersten Sonnenstrahlen erhellen das Schlachtfeld. Tauchen die Leichen und die Asche der Vampire in goldenes Licht. Die Dämonenklingen lösen sich in Luft auf. Eine sanfte Brise weht die Überreste und den Staub hinaus ins offene Land...von dem wir sooft geträumt haben und das nun endlich bereit ist von uns entdeckt zu werden.
Nie mehr verstecken...
Nie mehr weglaufen...
Einfach frei sein.
Du ziehst mich mit dir hoch, hältst meine Hand ganz fest und führst uns fort von hier. Wir steigen über eingestürzte Gebäude, gehen an unzähligen Leichen vorbei und ich versuche krampfhaft wegzusehen.
Dein Händedruck wird stärker. Betrauerst du sie auch?
Denn im Endeffekt waren sie doch alle nur Menschen... Menschen, wie wir.
Obwohl dieser Gedanke sich so falsch anfühlt, ist es wichtig uns daran zu erinnern, was wir einmal waren und was uns, auch wenn wir nun andere Fähigkeiten haben, daran erinnert, was es bedeutet menschlich zu sein.
Ich würde nun gerne laufen. Wieso gehen wir überhaupt? Warum beschleunigst du deine Schritte nicht, Mika?
Dein Blick ist, ebenso wie meiner, stur geradeaus gerichtet. Verschließt du also auch die Augen?
Abrupt bleibst du stehen, drehst dich zu mir um und packst mich bei den Schultern.
„M-Mika...?"
„Es ist vorbei, Yu!"
Irritiert sehe ich dich an. Realisierst du es erst jetzt? Galt der Satz mir oder dir selbst?
Ich flüstere ein leises „Ja"...
... und du lächelst plötzlich wieder. Und dieses Lächeln treibt mir die Tränen in die Augen.
Und ich lächle zurück und weine gleichzeitig...
...weil dieser Ausgang so wunderschön herzzerreißend ist.
*
Deine Fangzähne graben sich tief in mein Fleisch, reißen die Halsschlagader auf. Warmes Blut tropft auf meine Kleidung, versickert in dem dicken Wintermantel, den ich aufgrund der eisigen Temperaturen trage.
Der erste Schluck ist schmerzhaft. Ich zische leise und drücke deine Hand fester. Du presst dich noch näher an meinen Körper. Die Scheide meines Katanas schneidet durch deine inneren Organe, rutscht noch tiefer und mehr Blut tropft plötzlich aus der Wunde. Kurz hältst du inne, leckst über die Wunde und siehst zu mir hoch. Deine Iriden sind von einem tiefen Rot. Meine Atmung wird schneller. Ich lockere den Griff um das Katana. Langsam versagt mir die Kraft.
Erneut graben sich deine Zähne in meinen Hals. Mir wird schon schwindlig. Die Kälte, die meinen Körper eingenommen hat, verschwindet langsam. Ich fühle nichts mehr. Das Magenknurren verstummt.
Das Lagerfeuer, das du entzündet hast, erlischt allmählich. Noch immer beugst du dich über mich, obwohl dein Organismus bereits viel zu viel Blut verloren hat.
Die Freiheit, die wir uns so hart erkämpft haben, war nur von kurzer Dauer.
Ich wusste, dass mich diese unmenschliche Kraft irgendwann umbringen würde.
Meine Augenlider werden schwer. Sag Mika, kommen wir in den Himmel?
Ich lächle noch ein letztes Mal.
Bevor ich sterbe, legst du mir noch einmal die Hand auf meine Wange, flüsterst mir beruhigende Worte zu und drückst mir ein einziges Mal deine Lippen auf die meinen.
Ich bündle noch einmal meine Kräfte.
Und als das letzte Blut an meiner Seite hinab rinnt, erlöse ich dich. Bevor dein Körper zusammensackt, verwandelt er sich in feine Asche. Deine strahlend blauen Augen sind das letzte, das ich sehe, bevor die Ohnmacht mich in einen traumlosen Schlaf zwingt.
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Wir waren so naiv.
Und doch bereue ich nichts.
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Und wüsste ein Geschichtsschreiber von uns, er hätte uns wohl als Helden für immer in den Büchern verewigt.
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Du sollst wissen, dass die Momente der letzten Wochen kostbarer waren als mein Leben.
Das ich in diesem Augenblick loslasse, um im nächsten noch immer an deiner Seite zu verweilen.
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Um meine Freunde noch einmal zu sehen.
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Und in einem Land zu leben, in dem kein Krieg herrscht... Keine Angst...Keine Not.
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Hier endet unser Leben und irgendwo beginnt ein neues.
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Ich habe dich wirklich geliebt.
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Book of Love ~ Yūmika
Short StoryAchtung boyxboy. Wer es nicht mag, sollte es nicht lesen. Die verwendeten Charaktere gehören nicht mir. Book of Love Reihe