Tag 1
Es polterte unter mir. Verdammt laut. Es hörte sich fast schon so an, als würde jemand einen Besen von unten in die Decke rammen wollen.
So ging das täglich, jeden verdammten Morgen. Eine sanftere Weckart gab es nicht – es schien seit jeher Tradition zu sein.
Ich streckte mich unter dem Poltern genüsslich, gähnte wie ein Nilpferd und stand auf, trat mit dem Fuß gegen den Holzboden, als Antwortzeichen, dass ich wach war. Klappte immer super.
Und das jeden verdammten Morgen... Der Boden hatte bereits kleine Dellen von meinen harten Tritten.
Weiterhin gähnend, schlurfte ich in Shorts und T-Shirt die Treppe herunter und begab mich durch den Flur ins große Esszimmer, an dessen Tisch bereits ein paar Gestalten hockten.
Shinoa kam geradewegs mit der heißen Pfanne aus der Küche geeilt und stieß beinahe mit mir zusammen.
„Ey pass auf! Ich will keine Verbrennung dritten Grades am Morgen! Haste dieses Mal die Pfanne gegen die Decke geschlagen?“
„Morgen auch, Yuu-san! Ich mach hier Frühstück und du beschwerst dich?! An den Tisch mit dir, los los~ sonst gibt’s nichts für dich~“
„Läuft. Nerv nicht!“, patzte ich zurück und ließ mich auf meinen Lieblingsstuhl fallen, dem einzigen mit Sitzpolster.
„Moin Yoichi. Alles klar?“, grüßte ich den Lappen gegenüber am Tisch, welcher gerade dabei war, sich ein Marmeladentoast zu schmieren.
„Morgen Yuu-kun! Klar wie Kloßbrühe.“ Er kicherte und lächelte mich dämlich an. „Gut geschlafen?“
„Wie ein Stein! Bis mich mal wieder das übliche Gepolter geweckt hat.“
„Ohne mich würdest du deine ganzen Vorlesungen eiskalt verschlafen!“, keifte es aus der Küche, sie hatte ihre Lauscher immer überall. Ich sah auf die alte Standuhr und erstarrte.
„Verdammt, ich muss heute ja früher los!“ Eilig schaufelte ich die Rühreier in mich hinein und trank den glücklicherweise nur noch pisswarmen Grüntee auf ex, bevor ich in mein Zimmer zurück und in meine Hosen sprang. Noch ein Hemd vom Vortag übergeworfen und fertig – ah noch Socken. Ich stolperte die Treppe herunter, während ich mir den zweiten, nicht zum ersten passenden Socken überzog und der Rucksack quer über meiner Brust hing.
„Schon wieder verpennt? Was kannst du eigentlich?“, schnakte ein zu meinem Leidwesen meinen Weg kreuzenden Kimizuki, der an seinem Gewehr herumpolierte.
„Ach halts Maul, nur weil du keinen Job hast!“
„Hast du etwa einen?! Studierst dich nur blöd für nichts. Was bringen dir die Fächer überhaupt?“
„Wissen!“, spie ich aus. „Und Wissen ist bekanntlich Macht! Ich bin weg, ciao!“
Die Tür war zu. Hatte ordentlich geknallt. Aber die war massiv, hielt schon einiges aus. Ich rannte quer über unseren Vorgarten, an den alten Gräbern vorbei und durch das schäbige Haupttor, landete letztendlich noch pünktlich bei der Bushaltestelle. Endlich meinen Hintern im Bus auf den bequemen Sitzen geparkt, kramte ich meine Kopfhörer aus der Tasche und lehnte mich zu Lordi's neuem Album entspannt zurück, beobachtete die Alleen, die Menschen, die Fahrzeuge. An sich führten meine „Familie“ und ich ein Leben am Rande der Stadt, wir waren alle nicht besonders reich, doch teilten wir uns eine uralte, gigantische Villa. Könnte das perfekte Geisterhaus aus einem Horrorfilm sein. Es gehörte der Großmutter von Shinoa, die es an sie vererbt hatte, demnach war sie auch die Herrin des Hauses. Sie hatte damals in einem Aushang nach „umgänglichen“ Mitbewohnern gesucht, die sich alle mit dem einem Thema auskannten: BDSM.
Scherz. Wollte auch mal einen Witz ziehen lassen.
Die Untoten natürlich. Es gab unterschiedliche Varianten von ihnen. Einige schimmelten in aller Ruhe vor sich hin, die anderen schwebten gelassen durch Wände und die wieder anderen taten auf überheblich und elitär, obwohl sie auch nur armselige Blutsauger waren.
Schöne Sache. Ich hatte bereits mit einigen von ihnen zu tun gehabt, und alle wollten sie mich am Spieß braten, zerfleischen, aussaugen, heimsuchen, verfluchen, whatever. Aus welchen Gründen auch immer, ich war wirklich kein schlechter Mensch, wohl einfach nur ein gutes Opfer. Kurz nach meinem Einzug hatte ich zum Beispiel versehentlich einen Klempner zur Tür reingelassen, der gar kein Echter war, der wollte wohl einfach nur an meiner Wirbelsäule herumklempnern. Passierte. Shinoa wollte mich dafür braten (obwohl sie ein Mensch war).
Es gab eben diesen einen dummen Nachteil, den ich gegenüber dem Großteil der menschlichen Bevölkerung unserer Welt hatte – eine Art Unverträglichkeit des Impfstoffes gegen die Viecher. Um's verständlicher zu machen: Für gewöhnlich wurde dieses Mittel jedem Menschen injiziert, der in äußerst befallenen Gebieten lebte. Städte gehörten auch dazu, weil sich dort einige Kreaturen tarnen konnten. Wer dieses Gemisch in sich hatte, war für ein halbes Jahr gegen jegliche Angriffe geschützt. Es beinhaltete Irgendetwas, dass unser Fleisch und Blut für sie ungenießbar machte. Doch hatte mein dummer Körper nach der ersten Dosis bereits erhebliche Abwehrreaktionen gezeigt (die Symptome wollt ihr nicht wissen) und seitdem durfte ich mich anderweitig schützen. War ja nicht so, dass die Allergiker alle sofort einen Freifahrtschein ins offene Maul der Monster hatten. Wir Menschen waren ja schon immer verdammt erfinderisch. Ein geimpfter Mensch hatte Pfefferspray in der Tasche, ein Allergiker eine Dose Knoblauchspray. Zusammen mit Weihwasserdeo, Tageslichttaschenlampe und einem schicken Silberkettchen, welches ich so hässlich fand, dass es seither in meiner Nachttischschublade herumflog (und besonders Party hard machte, wenn Shinoa morgens den Besen in die Decke rammte). War ja nicht so, dass es keine echten Waffen gab! Pistolen, Gewehre, Armbrust („Armbrüste“ klingt naja), Silberdolche, Katana, alles mögliche. Ich liebte mein Katana über alles, aber es durfte leider nicht mit in die Uni geschleppt werden. Doch besaß ich allerlei anderer Asse im Ärmel, sollte wirklich eins von denen aufmucken wollen. Was seit Monaten nicht mehr vorgekommen und ich seitdem nicht mehr sonderlich achtsam war, die geschärften Sinne waren also etwas am pennen. Aber klar, wenn man sie nicht gebrauchte. Am allerliebsten würde ich mal mitten in der Nacht shoppen gehen. Da trieben sie sich nämlich alle auf den Straßen herum und man könnte mal ordentlich schnetzeln! Doch ich durfte nicht...war zu riskant, usw. Außerdem brauchte man eine Lizenz zum öffentlichen Monsterjagen und die bekam ich natürlich nur in meinen Träumen. Kimizuki durfte! Und ich nicht!? Nur weil Allergiker bla, Bockmist! Ich brauchte mehr Nervenkitzel! Dieser öde Unialltag machte mich echt noch zu einem einfältigen Streber, der sonst keine Hobbys hatte.
Der Bus hielt an und ich sprang hinaus, begab mich in meine erste Vorlesung in Latein, im Anschluss kamen Mythologie und Monsterologie. Spaßige Fächer, bei denen ich des öfteren einschlief. Das meiste wurde mir schon von meinen Mitbewohnern oder sämtlichen Ärzten vorgekaut. Doch wenn es um praktische Forschung ging, war ich sofort ganz vorne mit dabei. Heute jedoch war es ein langweiliger Theorietag wie die meisten anderen. Fast. In Monsterologie durften wir Fischzombie-Augen untersuchen, yay. Aber es war verdammt öde, und ich hasste es mit solchem Kleinkram herumzufriemeln. Dafür hatte ich absolut kein Händchen. Und es war noch zusätzlich verdammt heiß und schwül in dem Raum, konnte man beinahe schon als Gewächshaus bezeichnen. Gerade schnappte ich mir ein weiteres Reagenzglas vom Pult (nur um den Ventilator vorne zu genießen) als ich bemerkte, dass jemand auf meinem Stammplatz saß. Leicht angeknackst schritt ich auf ihn zu, blieb direkt vor ihm stehen und blickte ihn von oben herab an.
„Da war ich gerade.“, sagte ich mit wichtigem Ton. Der Blondschopf starrte mich mit einer Mischung aus Entsetzen und Unsicherheit im Gesicht an.
„Ahh sorry, ich bin neu hier. Ich...habe den Kurs gewechselt.“ Er versuchte sich an einem lächeln, scheiterte aber kläglich. Was für ein Waschlappen, machte Yoichi schon Konkurrenz. Nur dass er wesentlich besser aussah. Ah, ich wurde schon wieder so verdammt wertend! Das ging garnicht, besonders bei fremden Personen. Aber ich musste wissen mit welcher Sorte Mensch ich es zu tun hatte, um selbst nicht unsicher zu werden. Also alles nur Fassade, wir hatten ja alle unzählige Schwachpunkte.
„Kein Ding, musst nur damit leben, dass ich an diesem Mikroskop rumgepfuscht und es vermutlich zwecklos verkackt hab mit dem Glubschauge.“
Er blickte mich daraufhin noch immer merkwürdig an und musste dann plötzlich lachen, vergrub das Gesicht in den Händen und sah dabei eher aus als hätte er einen heftigen Heulkrampf.
„So schlimm nun auch nicht! Ich hab nur keinen „Durchblick“ verstehste?“ Ich grinste stolz über meinen eigenen Wortwitz, die Blondine lachte/weinte noch immer, fing sich jedoch schnell wieder und rutschte einen Stuhl weiter, um mir meinen Platz wiederzugeben.
„Ich schau mal was ich tun kann.“ Sagte er schlagartig ernst, nachdem ich mich gesetzt hatte und blickte durch die Linse, drehte an ein paar Rädchen und piekste mit der Pinzette auf dem Objektträger herum, drehte abermals und sah dabei verdammt professionell aus.
„Sag mal...kommst du aus der Chemie oder Bio oder so?“
„Nein, warum?“
„Nichts...sieht nur aus als wüsstest du was du da tust.“
Daraufhin sah er auf und wurde leicht rötlich im Gesicht. Ernsthaft?
„Danke...ich mikroskopiere hobbymäßig gerne.“ Perfekt! Ich strahlte ihn überglücklich an.
„Oh bitte, sei immer mein Nachbar wenn wir das hier tun. Ich hasse es von Herzen!“
Wieder musste er lächeln und quälte sich dabei. Komischer Kauz.
„Hey wie heißt du eigentlich? Ich bin Yuichiro. Nenn mich Yuu.“ Ich hielt ihm die begummihandschuhte Hand hin. Er starrte sie nur an und behielt seine eigene bei sich. Wie unhöflich!
„Ich...ich bin... Mikaela.“
Ach du scheiße! Nun hatte er auch noch einen wahnsinnig weibischen Namen. Passte aber zu einem Waschlappen wie ihm.
„Okaaay äh... Mika?“ Ich versuchte dem Namen etwas mehr Männlichkeit einzuhauchen, klappte aber nicht sonderlich gut. „Du musst mir nicht die Hand reichen wenn du dir zu fein dazu bist!“, zickte ich und schnipste überheblich mit den Fingern.
Seine Miene verdüsterte sich schlagartig. Was ging jetzt?
„Verzeihung.“, flüsterte er, sodass ich es nur geradeso vernehmen konnte, erhob sich schlagartig und schob sich am Tisch vorbei, verließ zügig den Raum.
Der konnte ja garnichts ab... Womöglich heulte er sich auf der Toilette aus, weil ich ihn dumm angemacht hatte, oh mein Gott.
Ich schüttelte nur grinsend den Kopf und widmete mich dem verhassten Mikroskop. Die Sicht war glasklar und ich konnte alle Einzelheiten der Iris erkennen. Perfekte Arbeit hatte er auf jeden Fall geleistet und dafür war ich ihm schon extrem dankbar.
Als die Stunde zu Ende war und ich alle meine Unterlagen einpackte, war er noch immer nicht zurück. Seine Tasche lag noch auf dem Boden. Ich blickte mich nach allen Seiten um, ob keiner mehr im Raum war und hob sie anschließend auf. Es tat doch keinem weh, wenn ich nur mal reinspähte? Ich war nicht der Typ Mensch, der Geldbeutel klaute und benutzte Frauenunterwäsche oder Kondome erwarteten mich womöglich auch nicht unbedingt. Wobei...
Ich öffnete gespannt den Reißverschluss, sah mich nochmals nach allen Seiten um und spähte dann hinein. Nichts Sonderbares. Ein Block, ein paar lose Stifte, eine Flasche Traubensaft. Langweilig. Aber was hätte man auch erwartet?
Erneut blickte ich mich um. Wo sollte ich sie abgeben? Ich zog den Reißverschluss wieder zu und ging zum Sekretariat...welches seit einer halbe Stunde geschlossen war. Perfektes Timing.
Und nun? Ich hoffte einfach, dass er morgen auf dem Campus herumhing oder am Tag darauf wieder in Monsterologie war. Dann konnte ich sie ihm einfach mitbringen. Er schien wohl auch nichts zu vermissen, ein Geldbeutel oder Handy waren ja nicht drin.
Mit Rucksack und Tasche bepackt, machte ich mich auf den Heimweg und bequemte mich wieder mit Lordi auf den Ohren in den Bus. Der Tag war nicht sonderlich spannend gewesen, bis auf den Neuen. Er war echt seltsam. Aber bei dem Namen und der Frisur kein Wunder. Bestimmt ein klassisches Mobbingopfer in der Schule gewesen. Dennoch hatte sein Blick irgendetwas...Tiefgründiges an sich. Etwas, dass einem eine leichte Gänsehaut verpasste. Vielleicht versteckte sich ein Psycho hinter der hübschen, unschuldigen Fassade? Einer, der Embryos in Einmachgläsern züchtete und Leichenteile in der Tiefkühltruhe aufbewahrte. Das verrieten mir seine düsteren Augen. Aber schön waren sie. No homo.
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Book of Love ~ Yūmika
Short StoryAchtung boyxboy. Wer es nicht mag, sollte es nicht lesen. Die verwendeten Charaktere gehören nicht mir. Book of Love Reihe