Teil 4

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Die Schule am nächsten Tag war schneller vorbei, als ich dachte. Wie verabredet traf ich mich mit Justin vor dem leeren Gebäude nach der letzten Stunde. Ich begrüßte ihn mit einer kurzen, freundschaftlichen Umarmung und er sah ein bisschen überrascht aus. Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her. Ich genoss Justins Nähe sehr – sein Geruch, seine Art und Weise mich zum Lachen zu bringen, indem er mich einfach nur ansieht und und und. Ich fragte mich, ob er mich wohl auch noch so nett anlächeln würde, wenn er von meinem psychopatischem Verhalten jeden Nachmittag erfuhr, aber ich schob den Gedanken schnell beiseite.
„Lust auf Eis?“, fragte er mich nach einer Weile.
„Klar, warum nicht?“

Der Nachmittag mit Justin verlief gut. Echt gut. Nach dem Eis essen gingen wir gemeinsam ein Stück durch die Altstadt und ich zeigte ihm alle möglichen Bauwerke und Geschäfte. Mich überraschte es selbst, wie gut ich mich hier eigentlich auskenne. Ich konnte mal wieder alles um mich vergessen, all die Sorgen und Probleme, alles Dunkle. Und ich hatte mir auch fest vorgenommen, mich heute nicht in den Spiegel zu sehen. Wirklich. Aber es ist wie eine Sucht. Als würde er mich anziehen, mich provozieren. Und nun saß ich hier am Badewannenrand, meine schwarz getuschten Augen geschwollen, die Farbe bahnte sich einen Weg zwischen den kleinen Lachfältchen (wohl eher Heulfalten) auf meinem Gesicht und rann nach unten. In der rechten Hand die scharfe Rasiermesserklinge meines Vaters, die linke Hand zu einer Faust geballt. Um ehrlich zu sein, ich war mir selbst nicht im Klaren, warum ich das alles tat. Aber das war ich nie. Es war einfach eine Sucht und ich konnte sie nicht besiegen. Unschlüssig darüber, was ich tun sollte, schrieb ich eine Sms an Sofi.
„Komm vorbei, bitte!“
Auch wenn ich mit Sofi über all das nicht sprechen konnte, war ich mir sicher, dass sie die einzige ist, die mich in diesem Moment ablenken könnte. Meine Nachricht an sie blieb unbeantwortet, woraus ich schließen konnte, dass sie bald vor meiner Türe steht. Sofi antwortete nie auf Sms. „Mein Vater tickt sonst völlig aus, wenn ich andauernd neues Guthaben brauche“, predigte sie mir dann immer vor.
Es klingelte.
„Shit.“, murmelte ich vor mich hin.
Hastig sprang ich auf, lief zum Waschbecken und wusch mir mein Gesicht. All die Spuren müssen beseitigt werden, dachte ich. Sofi dürfe auf keinen Fall was mitbekommen.
Erneutes klingeln.
„Ich komme ja schon!“, rief ich, obwohl ich wusste, dass man es draußen nicht hören konnte.
Meine Füße trugen mich bis zur Türe, ich öffnete und wäre am liebsten im Erdboden versunken.
„Hi, ich ähm.. also. Ich wollte fragen, ob du mir eventuell -“ , er stockte kurz und fügte dann mit etwas tieferer Stimme hinzu, „- also nur wenn du Zeit hast natürlich, bei -“
Er tat mir ein bisschen leid, wie er da stand, mich anscheinend um etwas bitten wollte, rot wie eine Tomate anlief und zu stottern begann wie ein kleines Kind, aber irgendwie fand ich genau das verdammt süß. Und erst jetzt fiel mir sein außergewöhnlicher, kanadischer Akzent auf.
„Hallo Justin, komm erstmal rein.“
Ich lächelte. Er lächelte zurück. Dann kramte er hektisch ein orangenes kleines Heft aus seiner Tasche. Ich sah, wie er tief Luft holte, als würde er seiner großen Liebe einen Heiratsantrag machen.
Dann setzte er fort: „Danke! Ja also ich wollte fragen, ob du mit mir die Deutsch Vokabel durchgehen könntest. Du weißt, ich tu mir da nicht so leicht.“
Justin grinste, was ihn gleich viel entspannter aussehen ließ. Auch wenn gerade ein verdammt blöder Zeitpunkt war, um mit einem kanadischen Jungen deutsche Vokabel zu lernen, tat ich es. An meine beste Freundin tippte ich noch schnell eine Nachricht und schrieb, mir sei etwas dazwischen gekommen, dann widmete ich mich voll und ganz den Vokabeln – und natürlich Justin.

Lifesaver - A Justin Bieber StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt